An dieser Stelle berichten wir von studentischen Initiativen und Gruppen der Humboldt-Universität. Diesmal geht es um den Verein „Kopfsachen“, der sich der Förderung mentaler Gesundheit von Schüler*innen widmet.

„Unsere Herzensangelegenheit ist die mentale Gesundheit von Jugendlichen“, sagt Leonie vom Verein „Kopfsachen“. Im Interview mit der UnAuf erzählt sie, wie die Corona-Pandemie ihre Arbeit an Schulen herausgefordert hat und warum es wichtig ist, beim Gründen einer Initiative auf die eigene mentale Gesundheit zu achten. Mittlerweile fasst „Kopfsachen“ mehr als 55 Teammitglieder, 30 ausgebildete Workshpleiter*innen an den Standorten Berlin und Köln. In diesem Sommer feiert die Initiative ihr zweijähriges Bestehen. Leonie Müller ist neben Carolin Blanck und Willi Weisflog eins von drei Gründungsmitgliedern.

UnAuf: Neben dem Studium einen Verein zu gründen, bedeutet das viel Stress?

Leonie Müller: Ich glaube, eine Doppelbelastung bedeutet immer ein extra Maß an Stress, weil man sich kognitiv zwei Dingen gleichzeitig widmen muss. Dingen, denen man jeweils mit viel Energie nachgehen will und die man gut machen möchte. Denn: Wir tragen als Gründer*innen mehr Verantwortung. Wir stecken sehr viel Herzblut in unsere Arbeit, daher ist es manchmal schwieriger Grenzen zu setzen. Aber es funktioniert irgendwie.

Wie wuppt ihr die Doppelbelastung aus Studium und Verein?

Man braucht ein gutes Zeit-, Stress- und Prioritätenmanagement. Mir hilft es, eine klare zeitliche Trennung an Arbeitstagen vorzunehmen. Außerdem versuchen wir, uns gegenseitig zu unterstützen. Wir greifen uns unter die Arme, wenn etwas zu viel wird oder man an anderer Stelle viel zu tun hat. Wir probieren auch, in unserer Organisationskultur das zu leben, was wir auch mit Kopfsachen vermitteln wollen. Deswegen achten wir auf unsere eigene mentale Gesundheit bei der Arbeit und supporten uns dabei. Genauso, wie wir es eben auch bei Schüler*innen verbreiten wollen.

Du hast es gerade schon erwähnt, aber wofür genau setzt sich euer Verein „Kopfsachen“ denn ein?

Unsere Herzensangelegenheit ist es, die mentale Gesundheit von Jugendlichen zu stärken und gegen Stigmata zu wirken. Anders als es noch bei uns früher war, wollen wir dafür sorgen, dass Jugendliche wissen, wie sie sich helfen können. Ihnen zeigen, wo sie Unterstützung finden, was ihre Gefühle eigentlich bedeuten und wie sie damit umgehen können. Und ihnen vermitteln, wie viel Lösung in ihnen selbst stecken kann. Aber es ist eben auch klar: Jugendliche können die Verantwortung nicht komplett allein tragen, sondern befinden sich in einem System, das einen wahnsinnig großen Einfluss darauf hat, wie es ihnen geht. Genau da sollte man ansetzen.

Wie sieht euer Angebot für Schüler*innen konkret aus?

An die Jugendlichen richtet sich vor allem ein Workshop-Angebot. Wir bieten drei verschiedene Workshops mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten an. Aber in allen geht es darum, die eigene mentale Gesundheitskompetenz zu stärken und Selbstfürsorge zu erlernen. Und zwar interaktiv spielerisch in einem Workshop-Setting in der Schule. Zusätzlich dazu entwickeln wir gerade in Kooperation mit der TU Berlin eine App, die unser Angebot ergänzt.

Werdet ihr dann von den Schulen beauftragt?

Genau, Schulen sind unsere Kund*innen sozusagen. Die Schule bucht sowohl Workshops für Schüler*innen als auch für Lehrkräfte. Das meinte ich eben auch mit System – wir bieten nämlich auch Workshops für Lehrkräfte an. Vor allem um sie darin zu schulen, wie sie mit den psychischen Problemen ihrer Schüler*innen umgehen können. Die Workshops sollen helfen, wenn sie selbst mit der zusätzlichen Belastung überfordert sind. Jugendliche sind mental viel stärker herausgefordert als noch vor der Pandemie, dafür sind Lehrkräfte natürlich nicht immer ausgebildet. Darum kümmern wir uns auch und bieten zum Beispiel Elternabende zur Unterstützung an.

Hat die Pandemie eure Arbeit sehr verändert?

Naja, wir haben kurz vor der Pandemie angefangen, also uns zu einem ganz komischen Zeitpunkt gegründet. Das hat unsere Arbeit erst einmal insofern verändert, dass die Schulen plötzlich geschlossen waren. Dann haben wir sehr schnell auf digitale Workshops und Online-Angebote umgestellt. Jetzt ist es schön, wieder in Präsenz mit den Jugendlichen zusammenzuarbeiten, auch weil es eine ganz andere Art der Begegnung ist. Natürlich hat sich auch unser persönliches Arbeiten verändert: Wir arbeiten remote im Team und sind deswegen nicht nur auf unsere zwei Standorte Berlin und Köln verteilt, sondern auf ganz Deutschland. Dass das möglich wurde, zeigt, dass die Pandemie auch gute Seiten hatte.

Dass ihr mittlerweile auch außerhalb von Berlin im Einsatz seid, ist ein großer Schritt. Hättet ihr damit gerechnet?

Zu Beginn nicht, denn „Kopfsachen“ ist als Studierendeninitiative entstanden. Wir haben aber schnell entdeckt, wie viel Potenzial in der Idee steckt und wie viel Bedarf bei dem Thema herrscht. Deswegen arbeiten wir auch weiter daran, unseren Impact zu vergrößern. Also daran, noch mehr Jugendliche und Lehrkräfte außerhalb von Berlin und Köln zu erreichen.

Wie ist euch die Idee gekommen, Kopfsachen zu gründen?

Tatsächlich habe ich diese Idee schon ziemlich lange mit mir herumgetragen, wenn auch nicht so konkret wie das, was wir heute tatsächlich machen. Aber da war diese vage Idee, dass Jugendliche früh Handwerkszeug, also Methoden und psychologisches Wissen brauchen. Im Psychologiestudium lernt man viele Dinge, die auch für andere Menschen wissenswert wären. Vor allem haben uns sehr viele Personen die Rückmeldung gegeben, dass sie ein Angebot wie unseres früher in ihrer eigenen Schulzeit gebraucht hätten. Das hat uns in unserer Idee bestätigt. Schlussendlich haben sich drei Menschen gefunden und beschlossen, Zeit und Energie in das Projekt zu stecken.

Was ist der schönste Moment, den ihr mit Kopfsachen je erlebt habt?

Da muss ich kurz überlegen! Es gibt nämlich viel Auswahl auf vielen verschiedenen Ebenen. Das erste Mal vor einer Klasse zu stehen, erinnere ich als einen sehr besonderen Moment. Wegen dem Beginn der Pandemie und der Schulschließungen hat sich das etwas hinausgezögert. Aber dann endlich mit den Jugendlichen zusammen in der Klasse zu sein und zu merken, dass sie Lust haben sich zu öffnen und sich auszutauschen, das war ein sehr besonderes Gefühl. Außerdem war es sehr schön, als wir das erste Mal ein gemeinsames Teamwochenende machen konnten. Wegen der Pandemie konnten wir uns davor teilweise gar nicht live sehen. Als wir dann im November in einem Haus am Wannsee zusammen mit dem ganzen Team gearbeitet, aber auch die Zeit genossen und gefeiert haben, war das richtig schön. Da haben wir gemerkt, dass wir Teil eines großen Ganzen sind und zusammen für die gleiche Sache kämpfen.

Was würdest du anderen Studierenden empfehlen, die Lust haben, eine Initiative zu gründen?

Das erste, was ich allen raten würde, ist Austausch! Das hat uns richtig geholfen und tut es auch immer noch. Gerade im sozialen Bereich ist es hilfreich, wenn man sich mit anderen Leuten und Organisationen, die aber ähnliche Visionen haben und im gleichen Feld unterwegs sind, vernetzt. Das A und O im sozialen Unternehmertum ist eben nicht gegeneinander zu arbeiten, sondern Synergien zu finden und gemeinsam zu arbeiten. Außerdem sollte man sich vor Augen führen: Am Ende ist es eben auch ein Job, bei dem man sich Arbeitsbedingungen schaffen muss, in denen man sich wohlfühlt. Ab Tag eins entwickeln sich die Arbeitskultur und das Team – auf beides sollte man natürlich auch Wert legen.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #260 zum Thema „Aktenzeichen HU“ im Juni 2022 erschienen.

Foto: Nils Lucas