Das Gerücht hält sich hartnäckig – wer eine Therapie gemacht hat, könnte nach dem Studium Probleme bei der Verbeamtung bekommen. Doch seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts muss jeder Fall einzeln geprüft werden. Ein Grund zum Aufatmen? Die Sachlage bleibt schwammig.
„Dadurch dass ich weiß, dass Gesundheitsfragen nicht weiter als fünf Jahre zurück in die Vergangenheit gestellt werden dürfen, und meine Therapie schon länger als fünf Jahre her ist, mache ich mir keine Sorgen.“ Der Lehramtsstudent Tobias ist sich sicher, seine Psychotherapie wird für ihn nicht zum Hindernis bei der Verbeamtung werden. Er geht offen mit psychischen Problemen und seiner eigenen Erkrankung um. Als Tobias sein Lehramtsstudium begann, war er austherapiert. Während seiner dualen Ausbildung zur Führungskraft im Einzelhandel ist er schwer krank geworden und musste diese abbrechen. Darauf folgten die lange Suche nach einer ambulanten Psychotherapie und ein Klinikaufenthalt.
Dass es sich gelohnt hat, möchte er nun an seine Kommiliton*innen weitergeben. Denn obwohl die Therapie für ihn immer auch Arbeit bedeutete, hat sie ihm geholfen, den teils stressigen Alltag zu meistern. „Während mich früher Rückschläge oder emotional aufreibende Momente wochenlang aus der Bahn geworfen haben, habe ich gelernt, das in wenigen Tagen mit mir selbst auszumachen“, sagt Tobias. Er ist nicht der Einzige, der diese Fähigkeiten gut gebrauchen kann, um das Lehramtsstudium zu bestreiten: „Viele haben Angst, das Studium nicht zu schaffen.“
Der Lehramtsstudent engagiert sich seit November 2020 im Fachschaftsrat. Im Rahmen der Ersti-Fahrt 2021 hat er zuletzt einen offenen Workshop zum Thema Stresserkennung, -bewältigung und -prävention angeboten, an dem über die Hälfte der Mitfahrenden teilnahm. „Wir wollen niemandem Angst machen, doch es wird einen gewissen Teil an Studierenden geben, die psychischen Belastungen ausgesetzt sein werden“, sagt Tobias. Gerade deshalb hat er sich in der Ersti-Betreuung, die er seit einigen Semestern macht, immer wieder vorgenommen, „auch über psychische Erkrankungen zu reden und Menschen dafür zu sensibilisieren.“
In den Köpfen vieler Studierenden schwirrt bei dem Gedanken an eine Psychotherapie immer noch die Sorge umher, im Nachgang nicht verbeamtet zu werden. Denn wie im Bundesbeamtengesetz festgehalten, richtet sich die Auswahl der Bewerber*innen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Amtsärzt*innen schauen sich bei der Eignungsprüfung auch die Krankenakte an, in der Einträge, wie gemachte Psychotherapien bis zu zehn Jahre einsehbar sind. Kann sich Tobias also wirklich sicher sein, verbeamtet zu werden?
Aus genau diesem Grund suchen viele Lehramts- und Jurastudierende die Beratungsstelle des Studierendenwerks auf. Gelangen sie dort an Michaela Holte, können sie erst einmal aufatmen, denn diese rät nicht grundsätzlich von einer Therapie ab. „Es muss nachgewiesen werden, dass die Person nicht in der Lage ist, den Beruf auszuführen“, erklärt die langjährige Mitarbeiterin und bezieht sich damit auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2013. Seither sind es nicht mehr die Bewerber*innen , die bei Verbeamtung zeigen müssen, dass sie gesund sind, sondern es ist Aufgabe der Dienstherr*innen, das Gegenteil zu beweisen. Dies als Amtsärzt*in in einem gesundheitlichen Gutachten festzustellen, ist nicht einfach. In der Studierendenschaft scheint sich jene wichtige Information jedoch noch nicht verbreitet zu haben. Selbst auf Seiten der Beratungsstellen gibt es noch Unklarheiten.
Gut gemeint gleich gut beraten?
Wer zuerst Holger Walther von der psychologischen Beratungsstelle der Humboldt-Universität aufsucht, bekommt zurückhaltende Worte zu hören: „Man weiß eben nicht, wie groß das Risiko ist, dass man später wegen einer Psychotherapie nicht verbeamtet wird.“ Auch er habe zwar von einer moderateren Haltung der Amtsärzt*innen zum Thema Therapie gehört, dennoch mahnt er zur Vorsicht: „Es immer noch alles sehr schwammig. Das gebe ich auch so weiter. Ich rate den Studierenden, erst einmal zu schauen, ob es nicht doch andere Möglichkeiten gibt.“
Inwiefern sich die Lage um Verbeamtung bei gemachter Psychotherapie seit dem Urteil von 2013 entspannt hat, ist kaum nachvollziehbar. Während Walther keinen gravierenden Einschnitt bemerkt hat, spricht Holte von einer deutlichen Verbesserung der Situation. Auch habe sie noch nie die Rückmeldung bekommen, dass jemand auf Grund ihrer Beratung zu einer Psychotherapie später nicht verbeamtet worden wäre. Walther bekommt dagegen keine Rückmeldung von den Studierenden, was wohl aber ein strukturelles Problem ist: Seit dem Gründungsjahr 1994 engagiert er sich mit ganzem Herzen in der psychologischen Beratungsstelle. Problematisch bleibt dabei jedoch, dass seitdem nicht über das Konzept nachgedacht wurde, mit den Studierenden nur eine Erstgespräch zu führen. Evaluationsbögen für diese Beratung gibt es auch nicht.
Somit stellt das Angebot der HU eher ein ‚Psychocoaching‘ dar und gibt Studierenden Lernstrategien und praktischen Tipps zur Therapieplatzsuche an die Hand: „Gerade, wenn Studierende unsicher sind, ob das jetzt noch normaler Prüfungsstress ist, sollten sie uns erst recht aufsuchen. Dann können wir das herausfinden“, sagt Walther. Das Beratungsangebot kann jedoch bei weitem nicht dasselbe leisten wie mehrere therapeutische Sitzungen. Auch bezüglich der Frage, ob eine Psychotherapie im Einzelfall sinnvoll ist, kann der Diplom-Psychologe und approbierte Psychotherapeut nur eine erste Einschätzung geben.
Das Studierendenwerk dagegen kann Studierende, die unter psychischen Erkrankungen leiden, bis zu fünf Sitzungen lang betreuen, in Krisensituationen und wenn sie keine Krankenversicherung besitzen auch ausnahmsweise länger. Falsche Hoffnungen sollten sie sich aber nicht machen: „Es kommen auch immer wieder Studierende zu uns in der Annahme, wir könnten hier eine komplette Psychotherapie als Heilbehandlung durchführen, die müssen wir dann in der Regel leider enttäuschen“, betont Holte. Dabei sei eine Psychotherapie häufig erforderlich, um eine Chronifizierung der psychischen Probleme zu vermeiden, so Walther. Laut ihm gibt es jedoch einen Weg, eine Therapie zu machen, ohne dass diese später in der Akte auftaucht: „Wenn Sie die Möglichkeit haben, bezahlen Sie die Therapie selber. Dann wird sie nicht registriert.“
Bemühungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen
Therapiestunden kosten in der Regel zwischen 50 und 150 Euro. Welche*r Studierende sich das über mehrere Monate hinweg leisten kann, fragt sich auch Holte. Möglicherweise ist auch aus diesem Grund der Bedarf an kostenlosen Beratungsangeboten so hoch. Für das Studierendenwerk ist es zeitweise schwer, diesem gerecht zu werden. Hoffnung bietet dabei die Tatsache, dass die Beratungsstelle ihre Ersttermine jeden Montagmorgen telefonisch neu vergibt. So kommt es nicht zu monatelangen Wartezeiten.
Wenn die Hürden, sich an eine Beratungsstelle zu wenden, noch zu hoch sind, könnten beginnende psychische Probleme auch übergangsweise durch das Umfeld aufgefangen werde, so Walther. Von einer Stigmatisierung psychischer Erkrankungen sei hier kaum noch die Rede. Auch im Umgang mit Verbeamtung wäre ein offener Umgang mit psychischen Problemen ebenso wünschenswert.
Wie der Fachschaftsrat Lehramt dazu beiträgt, über psychische Gesundheit und Achtsamkeit aufzuklären, zeigen Bemühungen, im laufenden Sommersemester eine aufbauende Workshopreihe mit dem Arbeitstitel ‚Lehramt Plus‘ zu starten. „All die Workshops, die wir als Fachschaft anbieten, sollen als erste Sensibilisierung verstanden werden, als eine Art Türöffner fürs Thema Mental Health“, sagt Tobias. Für ihn ist klar, dass es im Interesse aller sein sollte, „dass wir emotional gefestigt in solche Berufe gehen. Denn es gäbe wohl nichts Schlimmeres für die nächste Generation als emotional instabile Pädagogen.“
Dieser Text ist in der UnAufgefordert #260 zum Thema „Aktenzeichen HU“ im Juni 2022 erschienen.
Illustration: Klara Heller