Die Debatte um das novellierte Berliner Hochschulgesetz ist schwer zu durchschauen. Was bedeutet die prekäre Lage, in der sich die Wissenschaft befindet, eigentlich für die Lehre an der Universität?

Ein großer Teil der Lehre wird an der Humboldt-Universität vom sogenannten akademischen Mittelbau gestemmt. Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, pre- oder postdoc, geben Seminare und forschen gleichzeitig. Der Großteil von ihnen ist nur befristet an der Universität angestellt. Wo in anderen Branchen eine Befristung von maximal zwei Jahren üblich ist, sind Wissenschaftler*innen oftmals zwölf Jahre und länger befristet angestellt. Danach müssten sie eigentlich entfristet werden. Das passiert aber so gut wie nie.

Knappes Lehrangebot für Studierende

Die meist einzige Chance, eine unbefristete Stelle zu bekommen, ist die Professur. Doch die Professuren an den Fakultäten und Instituten sind rar. Dementsprechend gibt es eine hohe Fluktuation von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an den Instituten. Deutlicher beschreibt die Initiative #ichbinhanna das Problem für die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen: „Entsprechend ist die derzeit stattfindende ‚Bestenauslese‘ und Berufung der ‚Profiliertesten‘ eine, die nach höchst fragwürdigen Kriterien erfolgt: Selektiert werden so gerade nicht die besten, sondern die leidensfähigsten unter denjenigen Personen, die sich die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft überhaupt leisten können.“ Wissenschaft an der Universität ist also auch eine Frage des Geldes.

Für uns Studierende heißt das konkret, dass der*die Lieblingsdozent*in leider nach einiger Zeit, also nach der Befristung, nicht mehr lehren kann. Das ist auch für die Abgabe von Seminararbeiten ein Problem. Wenn Studierende für ihre Arbeit mehr Zeit benötigt und die Deadline schieben möchten, könnte das kompliziert werden.

Und außerdem: Ohne den Mittelbau funktionieren Universitäten nicht. Das Lehrangebot schrumpft oder entspricht nicht den Wünschen der Studierenden, weil die spannendsten Seminare nur kurzweilig angeboten werden. Wer bereits als Student*in auf eine Promotion hinarbeitet, müsste im schlimmsten Fall das angestrebte Thema ändern, wenn der*die Betreuer*in lediglich einen befristeten Vertrag hat. Auch bei Bachelor- und Masterarbeiten könnte es schwierig werden.

Neues Berliner Hochschulgesetz verpflichtet zu unbefristeten Post Doc-Stellen

Um angehenden Wissenschaftler*innen sicherere Perspektiven zu bieten, hat der Berliner Senat am bereits bestehenden Hochschulgesetz gefeilt. So regelt der Paragraph 110 das Beschäftigungsverhältnis von wissenschaftlichen Mitarbeitenden im Mittelbau. Diese könnten, so heißt es, im Falle einer Habilitation oder eines ähnlich hohen Abschlusses eine Anschlusszusage erhalten und somit unbefristet angestellt werden.

Im Laufe eines längeren Prozesses ergänzte der Berliner Senat dieser Absatz um einen wichtigen Punkt, welcher zum eigentliche Streitpunkt um das neue Berliner Hochschulgesetz wurde. Denn in Absatz 6, Satz 2 heißt es nun ergänzend, dass mit dem Qualifikationsziel einer Habilitation eine unbefristete Stelle seitens der Universität angeboten werden muss.

Somit steht wissenschaftlichen Mitarbeitenden nach ihrer Habilitation eine unbefristete Stelle zu. Die Universität ist laut des novellierten Berliner Hochschulgesetzes dazu verpflichtet, eine sichere Ausgangslage für Post-Doktorand*innen zu schaffen und eine Anschlusszusage zu garantieren. Davon würden auch das Lehrangebot der Berliner Universitäten und somit die Studierenden profitieren.

Kritiker*innen befürchten durch die Möglichkeit zur Anschlusszusage aber einen versteckten Zwang, Postdocs unbefristet einzustellen. Der Berliner Senat reagierte darauf und veröffentlichte im Rahmen des 100-Tage-Programms Ende April eine sogenannte Reparatur-Novelle. In dieser überarbeiteten Fassung ist das gesteckte „Qualifikationsziel‟ ausschließlich an eine Professur gebunden und keinen gleichwertigen Äquivalent, wie es zuvor beschlossen wurde. Den Professor*innentitel zu erlangen, ist aber schwierig, da diese Stellen knapp sind. Durch Drittmittel finanzierte Projekte werden von der Anschlusszusage ausgenommen. Drittmittel sind Gelder, die nicht durch die Grundfinanzierung von Universitäten gedeckt sind. Sie werden zur Förderung von Forschung von privaten oder öffentlichen Stellen bereitgestellt. Die Universitäten sind auf sie angewiesen, da die Grundfinanzierung oft nicht ausreicht.

Wie ist es so weit gekommen?

Seit 2007 regelt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), wie die Arbeitsverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zeitlich befristet werden können. Damit kommt den wissenschaftlichen Institutionen ein erhebliches Sonderbefristungsrecht zu – das, unter anderem, zu den prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft geführt hat.

Wo in anderen Branchen das Teilzeit- und Befristungsgesetz gilt, das in der Regel eine Entfristung nach maximal zwei Jahren vorsieht, darf wissenschaftliches Personal durch das WissZeitVG maximal sechs Jahre bis zur Promotion und sechs Jahre danach befristet beschäftigt werden. Diverse Sonderbestimmungen wie aktuell die sogenannte „Corona-Verlängerung‟ können die Befristung sogar noch verlängern. Wer nach diesen zwölf Jahren keine feste Stelle hat, fällt entgültig aus dem System heraus.

Dieses Sonderbefristungsrecht kritisiert auch Jana Seppelt, Landesfachbereichsleitung bei verdi für den Fachbereich Gesundheit, soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft: „Die hohen Befristungsraten führen dazu, dass die Beschäftigten ihr Leben nicht gut planen können und unter Existenzangst leiden.‟ Die Sicherheit, die eine unbefristete Stelle biete, gäbe die Möglichkeit einer langfristigen Perspektive. Somit hätten Forschende sowie Lehrende die Ruhe, sich wirklich mit ihren Themen zu beschäftigen, sodass sich diese nicht immer wieder umschauen müssen, wo sie als nächstes unterkommen könnten.

Von der „Verstopfung der Wissenschaft‟

Im Jahr 2019 waren 87 Prozent des wissenschaftlichen Personals befristet angestellt – ganz im Sinne des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (BMBF). Wie das BMBF auf ihrer Website zum WissZeitVG schreibt, seien gerade in der Phase der Qualifizierung junger Wissenschaftler*innen befristete Arbeitsverträge sinnvoll und notwendig. „Insbesondere wäre ohne eine durch Befristung begünstigte Rotation für nachrückende Generationen der Zugang zu wissenschaftlichen Tätigkeiten erheblich erschwert‟, heißt es weiter.

Dem widersprechen Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon vehement. Im vergangenen Jahr riefen sie den Hashtag „IchbinHanna‟ ins Leben, als Kritik an einem Video des Forschungsministeriums, das anhand der fiktiven Biologin Hanna die Vorzüge des WissZeitVG zeigen sollte. Schon nach kurzer Zeit teilten tausende Wissenschaftler*innen unter dem Hashtag ihre Geschichten über die Folgen ihrer prekären Arbeitssituation in der Wissenschaft.

Schuld trägt das jetzige System

Nicht nur das Forschungsministerium befürwortet das derzeitige WissZeitVG. Kritiker*innen der Berliner Gesetzesnovelle behaupten, unbefristete Stellen würden dazu führen, dass es keinen wissenschaftlichen Nachwuchs mehr gäbe. Kommt es also durch unbefristete Arbeitsverträge zu einer „verstopften‟ Wissenschaft? Dies verneint Kristin Eichhorn, und sieht hinter dem Argument eher den Wunsch, die bisherigen Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. Sie sagt auch: „Unbefristet Beschäftigte sind weniger abhängig vom Wohlwollen ihrer Vorgesetzten als Beschäftigte in einer Situation wie der aktuellen, in der sie ständig um die nächste Vertragsverlängerung bangen müssen.‟

Außerdem werde die Logik, dass Entfristung jegliche Personalbewegung beendet, überhaupt erst durch die Bedingungen des derzeitigen Systems erzeugt. „Im Augenblick ist die unbefristete Stelle so selten, dass alle, die eine ergattern, sie erstmal festhalten – es gibt ja kaum unbefristete Alternativen, um die sie sich bewerben könnten. Somit werden Weiterentwicklungsmöglichkeiten jeglicher Art unterbunden‟, erklärt Eichhorn. Wäre jedoch unbefristete Beschäftigung der Regelfall, hätten Wissenschaftler*innen eher die Möglichkeit, von einer unbefristeten Stelle auf eine andere zu wechseln, wie dies in Unternehmen auch jetzt geschehe.

Gesetz würde auch der Lehre helfen

Constanze Baum spricht sich auch für das neue Berliner Hochschulgesetz aus. Sie ist Doktorandin am Institut für deutsche Literatur und Mitglied der Konzils der Humboldt Universität, welches als höchstes Gremium der Universität die Mitglieder des Präsidiums wählt und über Punkte der Verfassung der Universität mitentscheidet. Baum betont, dass eine wie in Berlin angestrebte Gesetzgebung außerdem einen positiven Effekt für die Lehre hätte. Das würde auch der wissenschaftlichen Bildung der Studierenden helfen: „Sollte das Gesetz in Kraft treten, haben wir langfristig Leute im wissenschaftlichen Mittelbau. Das ist ein positiver Effekt für die Studierenden, denn diese sind ja oft genug in Situationen geworfen, wo plötzlich beliebte Dozent*innen interessante Seminare machen und mit einem Mal weg sind, weil sie keine Weiterbeschäftigung bekommen und woanders unterkommen müssen.‟

Für Jana Seppelt von verdi ist die Berliner Hochschulnovelle ein Kompromiss, mit dem sie in Teilen zufrieden, in Teilen aber auch unzufrieden ist. Was ihr fehlt, ist eine Tarifschutzklausel für die Auftragsvergabe an Dritte durch die Hochschulen. Eine solche Regelung würde in der Novelle trotz gleichlautender Bekenntnisse der Koalition gänzlich fehlen, was dazu führt, dass Aufgaben an nicht tarifgebundene Dritte gegeben werden können und damit der Tarifvertrag der Länder unterlaufen werden könne. Außerdem sagt Seppelt:
„Insgesamt ist es natürlich so, dass die Frage der Dauerperspektiven in der Wissenschaft eine ist, die mit der Novelle nicht beantwortet ist‟.

Der Gang vor das Bundesverfassungsgericht

Während sich viele wissenschaftliche Mitarbeitende bessere Arbeitsbedingungen herbeisehnen, stößt das neue Berliner Hochschulgesetz im Präsidium der Humboldt-Universität auf Ablehnung. Die ehemalige HU-Präsidentin Sabine Kunst begründete ihren Rücktritt sogar mit dem neuen Berliner Hochschulgesetz. In einer ihrer letzten Amtshandlungen reichte sie gegen die vom Berliner Senat beschlossene Gesetzesreform eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ein.

Kontrovers diskutiert wird ein weiteres Papier, das im Zuge dieser Klage von der HU veröffentlicht wurde. Kaum hatte Kunst ihre Klage Deutschlands höchstem Gericht übergeben, verfasste Matthias Ruffert, der an der Humboldt-Universität den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht innehat, eine juristische Stellungnahme, in der er die Beschlussfähigkeit des Berliner Senats anzweifelt.

So gebe es laut Ruffert eine „konkurrierende Gesetzgebung‟, die der Beschlussfähigkeit des Senats zuwiderläuft. Im Jurist*innen-Sprech bedeutet diese Formulierung nichts anderes, als dass das novellierte Berliner Hochschulgesetz nicht nur an den formalen Recht zwischen Bund und Ländern kratze, sondern es maßgeblich beeinträchtige. Anhand dieser Überschneidung stellt Ruffert fest, dass das Gesetz nicht durchsetzbar sei.

Gesetzes-Reform diene laut HU-Juristen „der Absicherung des eigenen Lebensunterhalts‟

Ruffert sieht im neuen Hochschulgesetz keine Reform der allgemeinen Arbeitsbedingungen im Mittelbau. Das Gesetz unterliege nicht der Hochschulautonomie, sondern dem Arbeitsrecht, das Sache des Bundes sei. Der Jurist hält es für möglich, dass das neue Gesetz die Qualität von Forschung und Lehre gefährde. Promovierte könnten, so Ruffert, „die Anschlusszusage zur Absicherung des eigenen Lebensunterhalts ausnutzen‟.

Constanze Baum jedoch kennt die Widrigkeiten, die durch befristete Beschäftigungsverhältnisse entstehen können persönlich und setzt sich für ein reformiertes Hochschulgesetz ein. Stellungnahmen wie die Rufferts verunsichern sie nicht im Geringsten. „Das ist natürlich eine der juristisch ausgefeilten Unterstellungstaktiken oder Rhetoriken, die Herr Ruffert in seiner Stellungnahme benutzt. Es gehört zu diesem politischen Framing, wie die negative Auslegung des Berliner Hochschulgesetzes in der Hochschulöffentlichkeit platziert wird‟, meint Baum.

Gefährdung des Exzellenz-Status?

Sabine Kunst argumentiert ihren Rücktritt damit, dass das vom Berliner Senat reformierte Hochschulgesetz den Exzellenzstatus der Universität gefährden würde. Baum sagt dazu: „Das wäre zu beweisen. Die Exzellenz der Berliner Universitäten hat sich ja auch nur als Verbundprojekt durchsetzen können‟. Die Humboldt-Universität hat diesen Status nicht allein erhalten, sondern im Rahmen der Berlin University Alliance, der BUA, zu der auch die Freie Universität und die TU Berlin gehören.

Nach Rufferts Urteil hat auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin (GEW) ein Rechtsgutachten erstellen lassen. Die Richterin Rosemarie Will von Landesverfassungsgericht Brandenburg sieht dabei das Land Berlin klar in der Entscheidungsgewalt. Ihr Hauptargument: Entgegen Rufferts Behauptung, das neue Berliner Hochschulgesetz würde gegen das vom Bund geregelte Arbeitsrecht verstoßen, handelt es sich bei den zugesicherten Anschlussverträgen um neue Arbeitsverträge, die „nicht mehr der wissenschaftlichen Qualifizierung, sondern der eigenständigen Wahrnehmung von Daueraufgaben in Lehre und Forschung‟ dienen. Wenn der Gesetzgeber neue Arbeitsverträge ermögliche, würde damit nicht die Hochschulautonomie angegriffen werden.

In dem Streit um das novellierte Berliner Hochschulgesetz wünschen sich einige einen kompletten Systemwechsel. Die Initiative #ichbinhanna sagt: „Im besten Fall kommt es zu einer großen Personalstrukturreform, die etwa durch Vertragslaufzeiten für den gesamten Promotionszeitraum die bestehenden Abhängigkeiten beseitigt und die unbefristete Beschäftigung nach der Promotion zur Regel macht.‟ Das wäre für Bund und Länder aber teuer und deswegen gäbe es auch noch keine politischen Bestrebungen in die Richtung. Allen Stimmen gegen diesen Systemwechsel hält #ichbinhanna entgegen: „So sensationell sind die Ergebnisse der deutschen Wissenschaft im internationalen Vergleich letztlich nicht, dass man hier nicht auch mal neue Wege ausprobieren sollte.‟


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #260 zum Thema „Aktenzeichen HU“ im Juni 2022 erschienen.

Illustrationen: Céline Bengi Bolkan