Jedes Semester grüßt das Murmeltier mit dem Namen AGNES (im Folgenden: Agnes) spätestens mit Ablauf der Anmeldefristen. Viele sind frustriert, wütend und vor allem ratlos gegenüber ihrer scheinbaren Willkür bei der Verteilung der Kursplätze. Tatsächlich steckt hinter dem System aber mehr, als man denkt. Der Versuch einer Erklärung.

Wer sich an der HU bewirbt, macht in der Einführungswoche eine reizende Bekanntschaft. Agnes nennt sich die Computerdame, die an der Humboldt-Uni die Macht über Stundenpläne und Prüfungsanmeldungen hat. Aber Vorsicht, denn sie kann zickig werden. Verärgert man sie, kann es schnell passieren, dass man genau für den Kurs, den man unbedingt in diesem Semester besuchen muss, nicht zugelassen wird. Oder dass Agnes einen in das einzige Tutorium steckt, das sich mit einer Vorlesung überschneidet. Die Frage, warum Agnes das tut, sparen sich erfahrene Studierende, denn sie glauben: Die Computerdame ist einfach unergründlich und unberechenbar.

Dabei war sie gekommen, um alles einfacher zu machen und eben solche Verwirrungen zu vermeiden. Agnes heißt mit vollem Namen übrigens „elektronisches Prüfungs- und Zulassungsverwaltungssystem der Humboldt-Universität“. Vor mittlerweile sieben Jahren holte man sie an die Uni. Um die Probleme mit der schwierigen Dame zu lösen, wendet sich der frustrierte Studierende am besten an den Agnes-Support. Die Mitarbeiter des CMS-Teams kennen sich mit ihren Marotten bestens aus und können erklären, warum Agnes tickt, wie sie tickt.

Ingo Rauschenberg, Teamleiter des Campus Management des CMS, erklärt, dass nicht er und seine Mitarbeiter Agnes programmiert haben, sondern eine Genossenschaft namens HIS eG, die ihren Sitz in Hannover hat. Die HU hat Agnes nur ihren wohlklingenden Namen gegeben. Glück für die Dame, denn ihr eigentlicher Geburtsname ist „QIS“. Programme dieses Typus werden noch an zahlreichen weiteren Universitäten Deutschlands verwendet. Dort heißen sie dann womöglich Peter, Jessica oder Miriam.

Sandy Pleißner ist Leiter des Referats Prüfungsservice der Studienabteilung, die dem Agnes-Support vorsteht.  Er erklärt, dass Agnes nicht nur eine Dame, sondern im Grunde eine ganze Familie ist. Sie ist ist sozusagen die Mutter vieler kleiner Abteilungen mit ganz unterschiedlichen Bezeichnungen, die sich von ihr ableiten. „QIS POS“ heißt beispielsweise die Prüfungsverwaltung, „QIS SOS“ die Studierendenselbstverwaltung und „LSF“ die Abteilung „Lehre Studium Forschung“, unter welche das Vorlesungsverzeichnis fällt. Die Kursplatzvergabe fällt in den Zuständigkeitsbereich letzterer Abteilung.

Doch auch „LSF“ ist nur eine Oberkategorie. Für das Vergabeverfahren ist wiederum eine ganz andere Dame zuständig, quasi Agnes‘ launische Enkelin, namens GABI (im Folgenden: Gabi). Gabi ist ein eigenständiges Modul und Teil von „LSF“. Sie wägt verschiedene Kriterien, die bei der Platzvergabe eines Seminars eine Rolle spielen, ab und soll so für eine gerechte Platzverteilung sorgen. Dabei spielen sowohl die individuellen Wünsche des Studierenden als auch die Vorgaben der Uni, beispielsweise die Studienordnung des jeweiligen Studienganges, eine Rolle.

Gabi erhält von „LSF“ alle relevanten Informationen über den Studierenden und die jeweilige Lehrveranstaltung. Die Kriterien, nach welchen sie entscheidet, sehen in etwa so aus:

  • Ist der Studierende ein Härtefall, beispielsweise ein Leistungssportler?
  • Welche Priorität hat der Studierende dieser Veranstaltung in Agnes zugeordnet?
  • Ist die Veranstaltung Teil des Studienganges, der Prüfungsordnung und des angestrebten Abschlusses des Studenten?
  • Ist das Seminar für den Studierenden eine Pflichtveranstaltung oder nicht?

Melden sich zu viele Studierende für eine Veranstaltung, muss Gabi anhand dieser Regeln auswählen. Die besten Chancen auf einen Platz im Seminar hat also eine Person, die 1. ein Härtefall ist, 2. ein Seminar belegen möchte, dass in ihrem Studiengang und in der Prüfungsordnung für den jeweiligen Abschluss auftaucht, und für die das Seminar 3. eine Pflichtveranstaltung ist. Dabei werden die einzelnen Regeln unterschiedlich stark gewichtet. So hat eine Person, die ein Sonderfall ist, eine Veranstaltung aber nur als Wahlpflichtveranstaltung besuchen will, schlechtere Chancen als jemand, der kein Härtefall ist, aber das Seminar pflichtmäßig besuchen muss.

Aber warum ist eine Gabi mit ihren komplizierten Rechenverfahren überhaupt nötig? „Ein Windhundverfahren wäre unfair.“, sagt Pleißner und meint damit eine Verteilung nach dem Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. „Es wäre kein Nachteilsausgleich gewährleistet und auch Programmstudierende hätten das Nachsehen.“

Fazit: Agnes ist weit mehr, als Viele glauben. Und oftmals ist gar nicht sie die direkte Übeltäterin, wenn es einmal nicht mit der Zulassung für einen Kurs geklappt hat. Auch wenn man mit den vielen Namen leicht durcheinanderkommen kann, eigentlich sind Agnes und Gabi vor allem eines: Mathegenies. Sie arbeiten nach einem komplexen Algorithmus, mit dem sie versuchen, Kursplätze möglichst gerecht zu vergeben. Wer also das nächste Mal mit den Nerven am Ende ist und die Beziehung zu Agnes gerne für immer und ewig beenden würde – tief durchatmen und daran denken: Die alte Dame meint es nur gut.

Illustration: Svenson


First published in our issue no. 233 in December 2015

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