1992 war ein UnAuf- Autor in der Mensa Süd essen. Ein scheinbar sehr emotionales Erlebnis. Ob sich seither etwas verändert hat, abgesehen davon, dass es keine elektronischen Anzeigetafeln gab und das Studierendenwerk noch Studentenwerk hieß? Der vierte Teil unserer Kolumne Nabelschau verrät es:

 

“Türen springen auf. Studenten quellen zu Hauf heraus und kennen nur ein Ziel. Die frühmorgens gemarterten Mägen fordern ihr Recht und gewinnen im inneren Gefühlskampf über den Verstand. Alles strebt den heiligen Hallen des Kalorientempels studentischer Provenienz entgegen. Es ist 10.45 Uhr. Liebreizend kreidebeschriebene Tafeln künden vom Kommenden. Mit dem Hungerast kämpfende Kreaturen beginnen den Kampf um beste Schlangenplätze. Das Warten beginnt. Hin und wieder verlassen, unter Hungerkrämpfen, beinahe Niedergestreckte, die lechzende, gereihte Wartemasse, auf der Suche nach eßbaren Krumen.

Neuankömmlinge suchen verzweifelt nach bekannten Gesichtern unter den formierten Menschenkörpern, und ziehen resigniert ans weit entfernte, in beengten Gängen liegende, Ende des Hungermolochs oder blähen durch Hinzutreten oder Einschieben unförmig den schmächtigen Schlangenkörper auf. Da plötzlich zeigen sich die weißbekittelten Priester der Großküchenpfannen und Riesentöpfe hinter hochgeschobenen Ausgabefenstern und verteilen schweißtriefend das Wenige auf die hungrigen Mäuler. In die Enge getrieben vom Neubeginn eines Seminars oder einer Vorlesung schon Viertel nach elf, der Platzsuche, der scheinbar zu klein geratenen Mundöffnung und den unmäßig großen Löchern in der Magengegend beginnt ein wahrhaft orgiastisches Freßmahl.

Doch Verluste sind unvermeidlich. Wer die Bedeutung gewisser, eingefärbter und zu bezahlender Papierschnipsel bei der Erlangung des bereiteten Mahles verkannte, wird zurückgeworfen an das Ende eines noch anderen Schlangengebildes, das ausschließlich dem Tausch von Geld gegen bedrucktes, farbiges Papier gewidmet ist. Doch hier wartet man ein Viertelstündchen länger, bis man sich öffnet, was die Abgeschmetterten der Ausgabenreihe ins Hoffnungslose stürzt, ob des Beginns weiterer Veranstaltungen. Und so reihen sie sich ein in die hungervoll Umherirrenden, die zu spät gekommen waren oder die ein fünfminütiges Schlingen, eingezwängt unter ebenso schlingenden und schwitzenden Leibern, schon im vorhinein verwarfen.

Anlaufend nun die letzte Kalorie-Bastionen: Die überquellenden Cafeterien mit ihrer berauschenden Vielfältigkeit (Boulette mit und ohne Salat, mit und ohne Senf, mit und ohne Ketchup. Würstchen mit und ohne……, die Brötchenvielgestaltigkeit mit ihren geschmierten, leicht angetrockneten und damit Reife signalisierenden Oberflächen…) Oder, oh welch Heiligtum der vollkommenen Völlerei, anziehend alle bisher elendig Gescheiterten, überstrahlend bei weitem den Ruhm dieser Universität, Gottfreund „KOMM SUN“ (früher umworben als heiliger KONSUM) All dies bietet sich dem rastlos und eilig Suchenden, wenn er nicht schon vorher sein Heil in der Flucht aus diesen Hallen des Hauptgebäudes gesucht hat, um späterhin frustriert mit dem DÖNER in der Hand überrascht oder am Knoblauchgeruch seines Atems erkannt zu werden.

Wer jedoch versucht trotz aller Anwürfe seines Magens sich einer Nahrungsaufnahme zu entziehen und mit knurrendem Geheul durch die Uni wankt, sollte nicht überrascht sein, wenn er, unter Vernachlässigung aller wichtigsten, unbedingt zu erledigender Termine, sich plötzlich zu ungewöhnlicher Zeit wiederfindet an den altbekannten Orten der Kalorie-Tumulte, und er willig und bereit etwas zu essen, sich nur noch gegenübersieht den Überresten einer groß geführten studentischen Schlacht. Und er nur krampfverzerrt ausrufen kann: „Das ist der STUDENTEN-WERK…“

Bemerkungen zum resignativen Schluß: Wer fliehen kann, soll fliehen. Und zwar in die Mensa-Nord. Wo allerdings auch keine anderen Öffnungszeiten gelten und der Massenandrang ebenfalls vorherrscht, aber wo Auswahl und Umfeld sich sichtbar besser gestalten. Doch wer hat die Zeit?”

Ulrich Miksch in der UnAuf Nr. 33 vom 20. Januar 1992.

 

Vor Kurzem erst schrieb unser Autor Benedikt ebenfalls über die Mensa Süd. Lesen könnt ihr ihn hier. Beide Artikel beweisen: Man kann über die Mensa Süd sagen was man will, aber der kreativen Schreibfähigkeit scheint sie besser zu tun als den Nerven.