Wenn es nach dem Basketball-Profi Moses Pölking geht, sind die Namen der U-Bahn-Station „Onkel Toms Hütte” und der „Onkel-Tom-Straße” in Berlin-Zehlendorf bald Geschichte. 

Eine Petition fordert seit Mitte Juli die Umbenennung des U-Bahnhofs „Onkel Toms Hütte“ sowie der angrenzenden „Onkel-Tom-Straße“. Unterschrieben haben bisher knapp 13.000 Menschen, Tendenz steigend. Pölking, der zurzeit bei den Eisbären Bremerhaven unter Vertrag ist, steckt hinter der Petition. Hintergrund und Ansporn für den 22-Jährigen war der Durchbruch im Streit um die U-Bahnstation „Mohrenstraße“ in Berlin-Mitte. Im Interview berichtet er von seinen Beweggründen, Rassismus-Erfahrungen im Sport und erklärt, was sich aus seiner Perspektive ändern muss.

Sarah Vojta und Jan Alexander Casper: Woher kam der Impuls, dich mit dieser Petition in die Öffentlichkeit zu stellen?

Moses Pölking: Der Impuls kam daher, dass nach der jahrelangen Debatte um die Mohrenstraße endlich in eine Umbenennung eingelenkt wurde. Auch der Name der U-Bahn-Station „Onkel-Toms-Hütte” und die „Onkel-Tom-Straße” stören mich schon länger. Meine Freundin wohnt in dem Kiez und jedes Mal wenn ich zu ihr fahre oder am Morgen in der Bahnhofs-Passage Brötchen hole, komme ich daran vorbei. Vor drei Wochen dachte ich dann, dass ich die Petition einfach mal starte, um zu sehen, ob noch mehr Leute meine Meinung teilen. Anscheinend tun sie das, was mich freut.

Warum ist die Bezeichnung für dich problematisch?

Es gibt das Buch „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe. Darin wird der Hauptcharakter „Onkel Tom“ als Sklave beschrieben, der versucht, sich durch Unterwürfigkeit besser mit seinen weißen Besitzern zu stellen und sogar so weit geht, andere Sklaven zu verpfeifen. „Uncle Tom“ steht deswegen in der schwarzen Community für eine Person, die sich bewusst entmenschlicht, um Weißen gegenüber nicht als Bedrohung zu erscheinen oder die sich gegen die eigenen Leute stellt.

Ist den Menschen bewusst, dass der Begriff „Onkel-Toms-Hütte“ rassistisch aufgeladen ist? Und wie reagieren sie darauf?

Vielen ist das nicht bewusst. Wir haben aber auch einfach ein Problem damit, uns über solche Begriffe und unterschiedliche Haltungen dazu zu verständigen. Letztens meinte eine weiße Person, dass sie nichts rassistisches an diesem Namen sieht, wenn sie an dieser Station aussteigt. Ich sagte dann: „Wie auch?“ (lacht). Diese Person fühlte sich dann angegriffen und beruhte darauf, ihre eigene Meinung haben zu dürfen. Natürlich darf sie das und ich finde es auch gut, wenn sie ihre Meinung äußert – aber trotzdem muss sie bedenken, wie viel sie über das Thema weiß und ob sie meine Position nachvollziehen kann. Wenn es zum Beispiel um Sexismus geht, kann ich da als Mann auch nur bedingt meine Meinung äußern.

Wenn ich etwas zu dir sage, und du dann sagst: „Moses, das war sexistisch“, kann ich nicht sagen: „Ach, hab‘ dich doch nicht so, das war doch gar nicht so gemeint“, sondern: „Entschuldigung, ich merke es mir für das nächste Mal, und werde es nicht nochmal machen.“ Selbst das verstehen manche Menschen nicht. Und ich finde, das kann man auch auf den Rassismus übertragen. Einige sagen auch, dass „Uncle Tom” nur in den USA eine Beleidigung wäre, nicht aber in Deutschland. Dabei gab es bereits 2008 eine Debatte zu dem Thema, als die taz einen Artikel zu Obamas Wahlerfolg mit „Onkel Baracks Hütte” betitelte. Der Begriff scheint also geläufig genug zu sein, dass eine große deutsche Zeitung ihn wie selbstverständlich benutzt hat.

Ein Vorwurf in solchen Umbenennungs-Debatten ist, dass durch die Umbenennungen „die Geschichte” ausgelöscht werden würde.

Dieser Punkt wird gerne gebracht. Die Leute verstehen nicht, dass es nicht darum geht, „Geschichte auszulöschen“, sondern anstelle der Täter den Opfern zu gedenken, womit die Geschichte ja erhalten bleibt. Nach der Logik dieses Vorwurfs könnte an der Stelle des Denkmals für die ermordeten Juden am Brandenburger Tor ja entweder etwas stehen, was an die Juden erinnert, oder eben eine Figur von Adolf Hitler – nur ist das eine eben angemessen und das andere eben nicht (lacht).

Woher kommt deiner Meinung nach das Unverständnis in diesen Debatten? Beruht Rassismus auch auf Unwissenheit? Findest du, dass in den Schulen mehr zur Kolonialgeschichte unterrichtet werden sollte?

Auf jeden Fall! Ich sage oft, dass wir in einem Land leben, in dem es schlimmer ist, Antisemit zu sein als Rassist – dabei ist beides gleich schlimm. Wir hatten in Deutschland die Zeit des Nationalsozialismus, die sehr grausam war und worüber wir von der dritten bis zur zwölften oder 13. Klasse lernen. In der Kolonialzeit wurden von den Deutschen aber auch mehrere Völkermorde begangen und über drei Millionen Afrikaner umgebracht. Der Unterschied ist, dass wir über die eine Sache zehn Jahre etwas hören und die andere nur kurz mal oberflächlich angekratzt wird. Für dieses Kapitel der deutschen Geschichte muss sich mehr Zeit genommen und dafür sensibilisiert werden.

Wie kamst du dazu, dich mit der deutschen Kolonialgeschichte zu beschäftigen?

Meine Mutter stammt aus Kamerun und seit meiner Kindheit war ich immer mal wieder dort. Das Land ist eine ehemalige deutsche Kolonie, was man sofort an den vielen Kolonialbauten erkennt. Meine Urgroßmutter erzählte, dass sie noch ein kleines Mädchen war, als die Deutschen kamen. Kolonialgeschichte hat mich dann sehr interessiert und weil wir in der Schule nichts darüber gelernt haben, habe ich mit 18 Jahren angefangen, mich in das Thema einzulesen. Außerdem verbrachte ich 2016 ein Auslandsjahr in den USA. Damals war die Präsidentschaftswahl von Donald Trump und das Thema Rassismus sehr präsent in den Medien. Aber auch Kolonialismus wurde dort stärker thematisiert und die „Black Lives Matter”-Bewegung war bereits sehr aktiv.

Die Rassismusdebatte, die seit dem Mord an George Floyd auch in Deutschland angekommen ist, dreht sich einerseits um Straßennamen oder Statuen. Andererseits geht es aber auch um die Frage, inwiefern Rassismus in unserer Alltagskultur, unseren Institutionen verankert ist. Wie empfindest du die Situation?

In Deutschland habe ich keine Angst auf die Straße zu gehen und von einem Polizisten getötet zu werden. Aber nur weil in Deutschland Schwarze nicht auf den Straßen sterben, heißt das nicht, dass wir kein Rassismusproblem haben. Ich mache ständig Erfahrungen mit Rassismus – ob die jetzt unterschwellig sind oder direkt all up in your face.

Welche Erfahrungen sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Viele. Es fängt damit an, dass ich in der Grundschule als Neger beschimpft wurde, da war ich sieben. Als ich dann wütend wurde und den Jungen geschlagen habe, habe aber nur ich Ärger bekommen – ich musste einen Zettel schreiben auf dem stand, dass ich ihn nicht schlagen darf und der wurde dann allen Eltern gezeigt. Als ich der Lehrerin gesagt habe, dass er mich davor fünf Mal Neger genannt hat, meinte sie nur, das Schlagen nicht die richtige Reaktion darauf sei. In Bremerhaven wurde mir auf der Straße manchmal von Wildfremden an den Kopf gepackt, als ich noch längere Haare hatte. Oder als bei einer Routine-Verkehrskontrolle mal direkt sechs Beamte angerückt sind.

Im Fußball sind rassistischen Äußerungen von Fans häufiger Thema; wie ist das im Basketball?

In der Jugend habe ich in Aschersleben im Harz gespielt. Da wurde ich von Fans als Neger bezeichnet und einige haben Affengeräusche gemacht. Im vergangenen Jahr gab es den Fall von Konstantin Konga. Er ist Deutscher und hieß Konstantin Klein, bevor er eine Mixed-Frau geheiratet und ihren Nachnamen angenommen hat. Bei einem Basketball-Spiel wurde er, nachdem das öffentlich wurde, auch mit Affengeräuschen von den Fans begrüßt.

Daraufhin hat er sich beim Verein und der Liga beschwert, wodurch der Verantwortliche Hausverbot bekommen hat. Dieser Rassismus kommt auch daher, dass die Fans uns nicht als Menschen wahrnehmen, sondern als Sportler. Die denken nicht daran, dass uns so etwas trifft und dass wir am Ende des Tages nach Hause fahren, wie jeder andere auch. Dass wir als Sportler vielleicht sogar einsamer sind, weil wir in einer fremden Stadt wohnen.

Wie schwierig ist es in Deutschland, sich als Profisportler überhaupt zu politischen Themen zu äußern?

In Deutschland ist das noch eher ein Tabu, dabei sollte jeder politisch aktiv werden können, der das will. Gerade als Sportler kann man viele Leute erreichen. Ich merke zum Beispiel, dass sich in Bremerhaven kleine Kids freuen, wenn ich denen „Hallo“ sage und dann kann ich die auch mit wichtigen Themen leichter erreichen.

Hast du von deinem Verein eine Reaktion darauf bekommen, dass du mit einem politischen Thema an die Öffentlichkeit gegangen bist?

Die fanden das, glaube ich, cool – also die haben meine Petition auch re-postet und ihre Fans dazu aufgerufen, zu unterschreiben.

Fühlst du dich grundsätzlich unterstützt von den größeren Verbänden und Strukturen im Profisport?

Nicht wirklich. Man sieht ja auch in den Medien, dass es im Fußball und im Basketball viel Rassismus gibt – nicht nur bei schwarzen Spielern, sondern auch bei türkischen oder arabischen. Dagegen wird wenig getan. Sport ist eigentlich eine Widerspiegelung der Gesellschaft und da darf man Rassismus keine Plattform geben.

Ist das Thema für dich erledigt, wenn deine Petition Erfolg haben sollte?

Ne. Also dieses Ziel wurde dann erreicht, aber ich möchte auf jeden Fall politisch gegen Rassismus und Ausgrenzung aktiv bleiben. Es gibt in Deutschland viele Dinge, die angepackt werden müssen. Durch diese Petition habe ich auch meine Stimme gefunden und sehe, dass ich als „normaler“ Mensch was verändern und andere erreichen kann. Das war mir vorher so nicht bewusst und hat mich motiviert.

Es ist auch wichtig zu verstehen, dass ein System sich nicht in drei Monaten umkrempeln lässt. Die erste Civil Rights-Bewegung gab es in den USA 1903 – das heißt wir kämpfen bereits seit mehr als 100 Jahren. Eine wirkliche Veränderung wird noch Jahre dauern und braucht viele Menschen, die daran glauben. Deswegen ist es wichtig, dass die Leute weiterhin Druck machen. In den USA gibt es noch immer noch Proteste und ich hoffe, dass auch in Deutschland weiterhin Demonstrationen stattfinden.

Was sind deiner Meinung nach die größten Baustellen, die du neben dem Kampf um öffentliche Erinnerung in Form von Straßennamen und Co. siehst?

Die größte Herausforderung meiner Meinung nach ist, rassistische Strukturen innerhalb der Polizei anzugehen. Ich habe drei Freunde, die Polizisten sind; zwei davon haben kurdische Wurzeln, der andere ist halb Nigerianer, halb Deutscher. Die sagen mir alle drei, dass das eine der rassistischsten Einrichtungen ist, die sie jemals erlebt und innerhalb der sie gearbeitet haben. Da muss man mit Sensibilisierungsarbeit ansetzen.

Der Vater meiner Freundin ist Nigerianer und hat lange mit der Polizei zusammengearbeitet und solche Trainings durchgeführt. Er durfte in dem Zusammenhang nicht sagen, dass die Polizei ein Rassismusproblem hat, sondern musste stattdessen von „Diskriminierung verschiedener Menschengruppen“ sprechen. Er musste das Problem also verharmlosen – ich finde, dass das schon einiges zeigt.

Moses, vielen Dank für das Gespräch.


Interview geführt von Sarah Vojta und Jan Alexander Casper (Anm. d. Red.)