Frauen werden in der rechten Szene systematisch unterschätzt. Aber sie sind gefährlich und einflussreich. Warum das so ist und welche Bedeutung das Geschlecht für rechte Ideologien hat, erklärt Esther Lehnert vom Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus.

Zur Person: Esther Lehnert ist Mitarbeiterin der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeo Antonio Stiftung und Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. An der Alice-Salomon-Hochschule lehrt die Professorin Theorie, Geschichte und Praxis Sozialer Arbeit.

UnAuf: Welche Vorstellungen machen sich Rechte und Rechtsextreme von Geschlechterrollen?

Esther Lehnert: Man kann nicht pauschal von der rechtsextremen Szene oder dem Rechtsextremismus sprechen. Grundsätzlich ist das durchaus eine ausdifferenzierte, sehr große und auch heterogene Szene. Wir können trotzdem festhalten, dass das Geschlechterrollenmodell ein binäres ist. Andere Formen außer die Zweigeschlechtlichkeit sind nicht vorgesehen. Zudem muss das Geschlechterrollenmodell im Kontext der sogenannten Volksgemeinschaftsideologie gesehen werden. Die spielt für viele Teile der rechten Szene nach wie vor eine ganz zentrale Rolle. Und da ist es so, dass es ein traditionelles, völkisch aufgeladenes Geschlechterrollenmodell mit „richtigen“ Männern und „richtigen“ Frauen gibt. Das bedeutet nicht, dass alle Frauen dort Hausfrauen und siebenfache Mütter sind, aber Mutterschaft spielt nach wie vor eine zentrale Rolle. Es geht schon darum möglichst viel gesunden, “deutschen” und “weißen” Nachwuchs zu bekommen – was nicht heißt, dass eine Frau keine Politikerin sein kann.

Was die Männlichkeiten angeht, spielt die Ideologie, die Praxis des soldatischen Mannes, eine ganz zentrale Rolle.

Wie kann die Rolle der Frau als Mutter damit verbunden werden, dass Frauen durchaus Führungsfiguren in den entsprechenden Parteien sein können. Gibt es hier keinen Widerspruch?  

Keine Szene ist widerspruchsfrei. Eine Politikerin der AfD, Wiebke Muhsal, die eine Zeitlang im Landesparlament von Thüringen saß, und zu dem Zeitpunkt sehr kleine Kinder hatte, ist gefragt worden, wie sie das vereinbaren kann – einerseits die Rolle der Mutter, andererseits ihren Job als Abgeordnete. Sie hat gesagt, es tue ihr sehr sehr weh, aber wenn das Volk sie rufe…

In der extremen Rechten und im Rechtspopulismus, ob NPD, AfD oder die Freie Kameradschaft, sind sie sich durchaus bewusst, dass der Effekt ein anderer ist, wenn rechte Frauen politisch aktiv sind. Sie wissen, dass eine rechtsextreme Politikern friedfertiger, angenehmer, vor allem bürgerlicher wirkt – eher als bestimmte Männer, die eventuell eine gewalttätige Vergangenheit haben.

Was macht es für Frauen attraktiv sich der Szene anzuschließen? Welche Angebote unterbreitet diese für Frauen?    

Ich würde sagen, dass das auch sehr differenziert zu betrachten ist. Die Erforschung von Frauen und Rechtsextremismus beginnt so Mitte der 90er Jahre – aber es ist kein Topthema, das gerne gefördert wird. Da ist noch ganz viel Luft nach oben.

Die Rekrutierungsstrategien sind sehr milieuspezifisch. Was absolut nicht zu unterschätzen ist, sind Frauen die in diesen Szenen aufwachsen und die, gerade was die Werbung angeht, eine große Rolle spielen. Ein Beispiel: Es gibt in Nordrhein-Westfalen eine Frauengruppe, die heißt Lukreta. Die hat sich im Kontext einer Kampagne der sogenannten Identitären Bewegung (IB) 120 Dezibel, gebildet. Damit wollten die Nazis auf das Thema sexualisierte Gewalt aufmerksam machen und das Thema rassistisch aufladen. Die Gruppe Lukreta wird geleitet von einer Frau, die bereits aus einer solchen Familie kommt. Die Mutter ist Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin eines AfD-Abgeordneten. Der Großvater war schon rechtsextremer Autor. Solche Familien gibt es. Und die Frau spricht zum Beispiel junge Frauen ganz gezielt über Instagram, über soziale Medien und über ihre Aktionen im öffentlichen Raum an. Dann verteilt man etwa Pfefferspray oder macht ein Event vor dem Freibad, wo es darum geht, ob “unsere” Mädchen hier belästigt werden.

Eine Zeit lang war es sehr modern, dass rechte Frauen kleinere Frauenkameradschaften, die hießen dann Mädelkameradschaften, gebildet haben. Das ist zurückgegangen, aber traditionelle Frauengruppen wie etwa der Ring Nationaler Frauen, die Frauenorganisation der NPD, sind in bestimmten Regionen und Bereichen schon wirkmächtig. Sie organisieren Nachbarschaften, machen bestimmte soziale Angebote usw. und dann gibt es sogenannte kulturelle Organisationen oder Tarnorganisationen, wo zum Beispiel Volkstanz gemacht wird.

Sie haben erwähnt, dass Frauen in der Rechten nicht sonderlich gut erforscht sind. Wird erst nach und nach verstanden, welche Gefahr von Frauen in der rechten Szene ausgeht? 

Ich würde bezweifeln, dass die überhaupt erkannt wird. Es gibt das Phänomen der “doppelten Unsichtbarkeit”. Das heißt, dass Frauen seltener als politisch aktiv wahrgenommen werden und wenn, dann eben nicht bei den bösen Nazis. Frauen werden in diesen Strukturen unterschätzt. Wenn sie sich mit der Geschichte des Rechtsterrorismus auseinandersetzen, dann gab es auch immer wieder Frauen, die dort aktiv waren. Das weiß kein Mensch, aber das interessiert auch niemanden. Natürlich interessiert jemand wie Beate Zschäpe für eine gewisse Zeit. Es zählt aber weniger ihre Ideologie als die Frage, welchen Anzug sie zum Prozesstag trägt. Dass Beate Zschäpe total auf Waffen abgefahren ist, wird überhaupt nicht problematisiert. Dass ihre Mitstreiter Waffennarren waren, liest man überall. Beate Zschäpe ist zutiefst Antisemitin, hat schon ganz früh, im Alter von 15 Jahren, einer linken Frau das Handgelenk gebrochen. Sie ist gewalttätig.

Ich glaube, dass es nach wie vor so ist, dass Frauen als friedfertiger und harmloser wahrgenommen werden und zwar generell, in der gesamten Gesellschaft. Sie sind große Normalisiererinnen. Das macht uns alle noch blinder, um dieses Phänomen zu analysieren und ernst zu nehmen. Das ist das zentrale Problem, bei der Wahrnehmung von Frauen in der rechtsextremen Szene: Sie äußern sich gleichermaßen rassistisch, aber es kommt anders an.

Stichwort Gewalt: Statistiken zeigen, dass ein Großteil von rechten Gewaltstraftaten von Männern begangen wird – äußert sich weibliche Gewalt anders und wenn ja wie?

Ich würde ungern zwischen weiblicher und männlicher Gewalt unterscheiden, da es sich hierbei um Zuschreibungen handelt. Es gibt erste Erkenntnisse, dass zum Beispiel im Fall von Gruppenstraftaten, Frauen im Laufe der Ermittlung heraus ermittelt werden. Das heißt, dass sie vielleicht noch dabei sind, wenn die Anzeige aufgenommen wird, aber seltener für ihre Beteiligung an Gruppenstraftaten angeklagt werden als Männer. Trotzdem hat das natürlich auch was mit der Sozialisation zu tun. In der weiblichen Sozialisation wird körperliche Gewalt nach wie vor tabuisiert, während ich sagen würde, dass sie in männlichen Sozialisationen ein “Muss” ist. Das heißt nicht, dass alle Männer gewalttätig sind, sondern, dass Gewalt als normale männliche Praxis erlernt wird. Bei Frauen hingegen ist Gewalt eine Überschreitung von Geschlechterrollen und von Geschlechternormen.

Allerdings bedeutet das nicht, dass Frauen nicht an physischen Gewalthandlungen beteiligt sind – besonders im Rahmen von Gruppenstraftaten. Und es darf nicht vergessen werden, dass Frauen eine ganz wichtige Rolle einnehmen, wenn es um die Ermöglichung und Reproduktion von Gewalt geht. Denn die rechtsextremen Gewaltausüber sind in der Regel in Familienverbänden aufgewachsen und somit von ihren Müttern erzogen und mit sozialen Werten ausgestattet worden. Frauen leisten also einen Teil dieser Reproduktionsarbeit, die Gewalt ermöglicht.

Wie könnte präventiv gegen Radikalisierung – besonders bei Frauen – vorgegangen werden?

Es ist schwer, hier eine umfassende Antwort zu finden, weil das von der Zielgruppe abhängt. Geschlechterarbeit und Geschlechteraufklärung sollte bei der sozialen Arbeit einen zentraleren Punkt einnehmen.

Leute die geschlechtersensibel aufwachsen, sind weniger anfällig für eine Radikalisierung, weil sie Partizipation auf allen Ebenen ermöglicht. Es geht im Endeffekt, um einen weiteren kulturellen Wandel, der ja damals schon von dem 68ern angestoßen wurde und um eine weitere Demokratisierung. Das heißt, dass Kindern beispielsweise bereits in der Kita Antirassismus beigebracht wird. Aber auch, dass ihnen gezeigt wird, dass ihre Meinung wichtig ist und dass sie partizipieren können und das kann man dann durch deklinieren, bis hin zu Seniorenfreizeiteinrichtungen.

Was kann konkret eine geschlechtersensible Form von Pädagogik oder Arbeit mit Kindern sein?

Dass zum Beispiel Zuschreibungen wie die Tobeecke für die Jungs und die Kuschelecke für die Mädchen aus den Köpfen der Menschen verbannt werden. Und dann sollte gerade in der Jugendarbeit die Vielgeschlechtlichkeit in den Blick genommen werden. Früher wurde bei der Arbeit mit rechtsgesinnten Jungs beispielsweise nicht an deren Männlichkeitskonzept gearbeitet, sondern dann wurde Fußball gespielt und am besten noch mit einer geflüchteten Mannschaft – aber das ist nicht wirklich zielführend, weil dadurch das Geschlechterverständnis nicht kritisch hinterfragt wird. Das heißt, in der Jugendarbeit sowohl an Schulen sowie auch später an Universitäten müssen Erfahrungsräume geschaffen werden, die zeigen, dass jenseits der Konstruktion von “richtigen Männern” und “richtigen Frauen” anderes möglich ist. Bei Kindern ist diese Diskussion ja ganz oft auch noch möglich.


Diese Interviewreihe ist der Teil des Inlandprojektes 2020 der UnAufgefordert, das sich mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzt.

Dieses Projekt wird gefördert durch die Humboldt-Universitäts-Gesellschaft.