Es könnte einfach sein: Nicht alle Frauen menstruieren. Nicht nur Frauen menstruieren. Warum Aussagen wie die von J. K. Rowling transfeindlich und realitätsfern sind. 

Es gibt nur wenige Menschen, deren Tweets es in das deutschsprachige Feuilleton schaffen. Einer davon ist blond, spricht Englisch und heißt J. K. Rowling. Die Erfolgsautorin teilte einen Artikel, der die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf menstruale Gesundheit beschreibt. Sie bemängelt dabei nicht die These an sich, sondern die Formulierung „people who menstruate“ – auf Deutsch „menstruierende Menschen“.

Sie wurde daraufhin von LGBTIQ Aktivist*innen und den Schauspieler*innen der Harry-Potter-Filme, wie zum Beispiel Daniel Radcliffe und Emma Watson, scharf kritisiert. Es ist auch nicht das erste Mal, dass Rowlings Fangemeinde wegen ihren transfeindlichen Äußerungen Erklärungen fordert. 

Aber was ist überhaupt das Problem an ihrem Tweet? 

Rowling wehrt sich dagegen, dass Begriffe wie „Frauenhygiene“, „Frauengesundheit“ etc. ausgeweitet werden. Warum ist das aber nötig? Weil nicht alle Menschen, die menstruieren, Frauen sind. Umgekehrt scheint es noch leichter zu akzeptieren: Nicht alle Frauen menstruieren. Manche haben nie einen regelmäßigen Zyklus, haben keine Eierstöcke (mehr) oder kommen sehr früh in die Menopause. Wäre es nur die Menstruation, welche Frau Sein definiert, könnten die meisten Über-Fünfzigjährigen nicht dazu gezählt werden. Nun ist es umgekehrt auch so, dass es Personen gibt, die menstruieren und daher auf Hygieneprodukte und gynäkologische Versorgung angewiesen sind, die gar keine Frauen sind. Das sind zum Beispiel trans-Männer, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde. Oder inter Personen, deren geschlechtliche Merkmale nicht in eine der beiden medizinischen Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ passen. 

Das klingt alles verwirrend? 

Im Grunde ist es ganz einfach: Menschen, die bestimmte Organe besitzen, können menstruieren. Das bedeutet, dass nicht nur Frauen von Regelbeschwerden, PMS, Endometriose oder der Tamponsteuer betroffen sind. Im Gegenteil sind trans und inter Personen, die menstruieren, nochmal anderer struktureller Diskriminierung ausgesetzt, weil ihre Lebensrealität gar nicht mitgedacht wird – das geht vom Anmeldeformular in der gynäkologischen Praxis bis hin zu Spott und Respektlosigkeit durch Ärzt*innen. 

Auf den medialen Shitstorm reagierte Rowling prompt mit einem langen Essay auf ihrer Website. Die Autorin nennt ihre Gründe, an der Kategorie „biologisches Geschlecht“ (englisch: sex) festzuhalten, die der „neue trans Aktivismus“ abschaffen wolle. Sie zieht ihre eigenen Erfahrungen geschlechtlicher Unsicherheit heran, die als Teenagerin in den 1980ern durch Sexismus verstärkt wurden. Es ist in unserer Gesellschaft noch immer leichter, ein Mann zu sein und genau deswegen muss Frau Sein eine politische Kategorie bleiben. Frau™, oder so ähnlich. 

Ist das Leben nicht leichter als trans-Mann?

In einigen Aspekten und unter gewissen Umständen vielleicht. Wenn trans Personen nicht als solche von ihrem Umfeld wahrgenommen werden, mag das stimmen. Wenn ich als trans männliche Person (mit männlichem Personenstand) mich auf einen Job bewerbe, in der Nacht auf einer schlecht beleuchteten Straße nach Hause gehe oder in einer Diskussion meine Meinung sagen will, genieße ich sicherlich männliche Privilegien. Sobald jemand jedoch Zweifel an meinem Geschlecht hat oder mein trans Sein irgendwie sichtbar wird, dreht sich das Blatt. Was würde wohl passieren, wenn die „anderen Jungs“ in der Umkleide mitkriegen, dass sich neben ihnen ein Mann mit Vulva umzieht? Vor allem trans und inter Personen, die männlich gelesen werden, haben größere Probleme im Gesundheitssystem. Wenn sie einen Vorsorgetermin bei der Gynäkologin wollen, wird ihnen nicht geglaubt. Das Gesundheitssystem und die Gesellschaft sind mit schwangeren Menschen, die keine Frauen sind, nicht nur überfordert, sie erfahren Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt. 

Anzunehmen, dass sich trans Menschen ihren Weg aussuchen, sich dafür entscheiden oder auf einen Trend aufspringen, verkennt ihre Lebensrealität und negiert ihre Unterdrückungserfahrungen. Dass statistisch gesehen immer mehr Personen mit ursprünglich weiblichem Geschlechtseintrag transitionieren, wie Rowling betrauert, hat vor allem damit zu tun, dass sich trotz allem das gesellschaftliche Klima ändert. Es gibt immer mehr trans Charaktere in Film und Fernsehen, die Rechtslage bessert sich, auch wenn noch viel Luft nach oben ist, und einige trans Personen sind auch im Mainstream sichtbar. Kinder und Jugendliche werden nicht indoktriniert, weil sie schon früh geschlechtliche und sexuelle Vielfalt kennenlernen. Damit werden ihnen Jahre erspart, in denen sie sich selbst hinterfragen und ablehnen, weil sie in einer Gesellschaft aufwachsen, die ihnen weismacht, falsch zu sein. 

Geschlecht abschaffen?

Trans und inter Personen führen keine heimliche Agenda, in der sie Geschlecht oder Frau Sein abschaffen wollen. Es ist weiterhin wichtig, von Frauen und ihren spezifischen Erfahrungen zu reden, gerade im Kontext von Gewalt und Benachteiligung. Dieses Frau Sein soll nur weiter, offener gedacht und die besonderen Diskriminierungserfahrungen von trans Frauen anerkannt werden. In Deutschland gibt es seit 2011 keinen Operationszwang mehr, um den Geschlechtseintrag zu ändern. Das bedeutet also, dass das biologische Geschlecht (sex) bereits hinter das soziale Geschlecht (gender) tritt. Da wir glücklicherweise nicht mehr in Zeiten leben, wo trans Männer zwangssterilisiert werden und deshalb rechtlich menstruierende Männer unmöglich sind, ist diese Argumentation überholt. Abgesehen davon, dass sich die Geschlechtsidentität weder über den Eintrag im Pass noch die Geschlechtsmerkmale definieren lässt. 

Argumente wie die von Rowling basieren auf einer Grundeinstellung von „Ich unterstütze trans Personen, aber…“. Danach kann nichts folgen, was den ersten Satzteil glaubwürdig erscheinen lässt. Es widerspricht der Realität zahlreicher Menschen in Großbritannien, Deutschland und der Welt, die menstruieren und keine Frauen sind. Solche Debatten unterstützen ein System, wo trans und inter Personen bereits mehr als unsichtbar sind. Medien setzen Transfeindlichkeit in Gänsefüßchen und wittern eine Debatte zwischen Feminismus und trans Aktivismus. Diese Diskussionen, die in feministischen Kreisen seit Jahrzehnten geführt werden, erreichen den Mainstream. Die Einstiegsfrage sollte nicht sein „Ist es denn transfeindlich, was J. K. Rowling getweetet hat?“, sondern „Warum ist es transfeindlich?“. Es muss niemand Judith Butler gelesen haben, um in solche Debatten einzusteigen. Zuhören wäre ein guter Anfang. 


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