Kevin* ist 31 Jahre alt und hatte noch nie eine Beziehung: Er sucht Hilfe bei den Absoluten Beginnern. Und wie gehen andere Männer mit dem Gefühl um, Zurückweisung zu erfahren?

„Ich werde alle Frauen vernichten, weil ich sie niemals haben kann. Ich werde sie alle leiden lassen, weil sie mich ablehnen. Ich werde mich mit tödlichen Waffen ausrüsten und einen Krieg gegen alle Frauen führen, und die Männer, zu denen sie sich hingezogen fühlen. Und ich werde sie wie die Tiere abschlachten, die sie sind.“ Das schrieb der 22-jährige Elliott Rodger in seinem Manifest. Wenige Tage später, am 23. Mai 2014, tötete er bei einem Amoklauf im kalifornischen Isla Vista sechs Kommiliton*innen. Offenbar aus puren Frauenhass. Rodger hatte zuvor noch nie eine Beziehung, geschweige denn Sex gehabt. Mit seiner Tat wollte er sich an der Gesellschaft rächen, die ihm das aus seiner Sicht angetan hatte.

Es gibt Menschen, die Rodger bis heute für seine Tat feiern. Sie nennen sich Incels – involuntary celibacy also unfreiwillig zölibatär Lebende. Es sind Männer, die noch nie oder seit sehr langer Zeit keinen Sex oder eine Beziehung mit Frauen mehr hatten. Sie vernetzen sich in Foren, wie zum Beispiel 4chan und manche, wie Rodger, greifen zu den Waffen. Einer, der sich mit dem Phänomen der Incels aus wissenschaftlicher Perspektive beschäftigt, ist der Soziologe Andreas Hechler. Er beschreibt das Weltbild der Incels: Diese Menschen wollen einen staatlich organisiertes Matching von Männern und Frauen. Jeder Mann soll eine Frau für Sex haben. 

Zentraler Punkt, der viele Incels vereint, ist ein militanter Antifeminismus. Es ist in ihren Augen die gesellschaftliche Selbstermächtigung der Frau, die für ihre „Probleme“ sorgt. Doch statt an sich selbst zu arbeiten, um eine Frau zu finden, wollen sie ihren vermeintlichen „Anspruch“ auf eine Frau mit Gewalt durchsetzen.

Wunsch nach Liebe

Kevin* hatte noch nie eine Beziehung. Doch von Incels hat er noch nie gehört. Der 31-Jährige blickt häufig über seine Schulter. Leise erzählt er von sich. Gewalt und Aggressionen gegen Frauen lehne er klar ab und ist befremdet über die Geschichte Rodgers. Dass er bislang keine Beziehung hatte, „liegt schon an mir“, stellt er fest. Sein Psychologe riet ihm die Selbsthilfegruppe der Absoluten Beginner aufzusuchen. Seit ungefähr drei Jahren geht er nun regelmäßig, alle ein bis zwei Wochen zu den Sitzungen.  

Kevin ist ein sogenannter „Absoluter Beginner“. Absolute Beginner sind Frauen und Männer, die noch nie oder seit einer sehr langen Zeit keine Erfahrungen mit Liebesbeziehungen hatten. Sex ist dabei nicht ausgeschlossen. Auch Kevin ist nicht mehr jungfräulich.  Seit einigen Jahren geht er regelmäßig zu Prostituierten, seltener auch in Swingerclubs. Primär ginge es ihm aber nicht um den Sex, sagt er, vielmehr wünsche er sich eine romantische Beziehung.

„Liebe, Gefühle, Zusammensein sind das wichtigste Grundbedürfnis des Menschen”, sagt Kevin. Nur leider bliebe ihm das verwehrt. Verliebt sei er zwar schon häufiger gewesen, sagt er, aber erwidert wurden seine Gefühle bisher nie. Seine „große Liebe“ lernte Kevin bei einem Workcamp kennen. Während eines Theaterprojekts gewann er den Eindruck, dass sie ihn anflirte. Sie anzusprechen und sich mit ihr zu unterhalten, das traute er sich jedoch nicht. Am Ende hatte er weder ihre Telefonnummer, noch kannte er ihre Adresse, lediglich ihren ungefähren Wohnort – irgendwo in Südeuropa. „Ich hatte Sehnsucht“, erzählt er und reiste kurzerhand zu ihr. Vor Ort suchte er sie auf und war überrascht: „Sie hatte einen Freund und Kinder.“ Kevin scheint einem Missverständnis aufgesessen zu sein. Die Frau konnte es nicht fassen, dass er ihr hinterher gereist war.  

Es wäre falsch Kevin lediglich als schüchtern zu beschreiben. Frauen anzusprechen sei für ihn grundsätzlich kein Problem. Wenn ich mir das vornehme, dann ziehe ich das auch durch.“ So nahm er sich mit Freunden aus der Selbsthilfegruppe vor, Frauen auf der Straße anzusprechen. Das Problem sei, dass er irgendwann nicht mehr weiter wisse, wie er das Gespräch am Laufen halten kann, meint Kevin.

Hilfe durch einen Flirt-Coach? 

Zwar schaue er viele YouTube-Videos selbsternannter Flirtexperten und versuche verschiedene Strategien anzuwenden,etwa auch mal der harte Mann zu sein. Er nähme aus den Videos zwar einiges mit, erfolgreich sei er aber mit diesen Strategien nie gewesen. Ohnehin ist er skeptisch, ob ein Mann eine dominante, männliche Art verkörpern müsse. „Ich bin halt so, wie ich bin.“

Andreas Lorenz ist Flirt-Coach: „Ich zeige Männern, wie sie Frauen durch ihre Persönlichkeit begeistern”, sagt er über sich. Lorenz arbeitet als „Flirt-Coach” und kommt aus der Szene der sogenannten Pick-Up-Artists. Männer, die zu ihm kommen, wollen an sich arbeiten und lernen wie man Frauen “erobert”. Das habe jedoch nichts mit übergriffigen Methoden zu tun, betont Lorenz. Beim Flirten ginge es um positive Gefühle. „Wenn ich ein Date habe mit einer Frau, dann öffne ich ihr die Tür. Aber sie entscheidet, ob sie mit mir da durchgehen will oder nicht.“ Frauen sollen nicht gezwungen werden, da fehle es Männern häufig an „Feingefühl“. Allerdings müsse man(n) manchmal hartnäckig bleiben, behauptet Lorenz. 

Bei seinen Coachings zeigt er Männern, auf welche Weise sie in der Öffentlichkeit Frauen ansprechen sollen. Häufig sind seine Kunden um die 30 Jahre alt und beruflich erfolgreich. Sie trauen sich nur nicht, Frauen kennenzulernen. So coachte er nach eigener Aussage einmal einen Elitesoldaten, der sagte: „Ich will lieber in den Krieg ziehen, als Frauen anzusprechen.“ Das ist eine Situation, die Lorenz immer wieder beobachtet.

Für ihn ist es der Feminismus, der im Verhältnis zwischen Männern und Frauen vieles komplizierter gemacht hätte. „Ich finde, die Situation führt zu einer Spaltung: Frauen wird suggeriert, dass sie zu wenig Rechte haben und Männer Täter sind.” Viele Männer seien deshalb verunsichert: „Der Mann muss zu seiner maskulinen Energie zurückfinden und sich als Mann akzeptieren lernen. Die Frau muss das umgekehrt auch.”

Toxische Männlichkeit ist tief verankert

Der Soziologe Hechler sieht das Vorgehen von Pick-Up-Artists wie Lorenz kritisch: „Die sagen, mit unseren Methoden kriegst du jede Frau ins Bett und das Aussehen spielt keine Rolle – was oft sehr übergriffig ist.” Gefährlich wird es Hechler zufolge dann, wenn Männer eine Anspruchshaltung haben – das sogenannte Entitlement. „Es gibt Männer die denken, dass ihnen als Mann etwas zusteht, nämlich der Zugang zum weiblichen Körper. Und wenn sie den nicht bekommen, dann gibt es die Wahrscheinlichkeit, dass sie Gewalt anwenden.“

Diese toxische Männlichkeit ist, so der Soziologe, in unserer Gesellschaft verankert und beschränkt sich nicht auf Incels. Hechler sieht die Lösung deshalb in der Bildung und fordert mehr emanzipatorische Jungenarbeit. „Jungen sollten von klein auf lernen, dass sie dominanten Bildern von Männlichkeit nicht entsprechen müssen und sollten in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden, sich gegen patriarchale Normen zur Wehr zu setzen”, sagt er. Es gehe darum nicht-manipulativ zu kommunizieren, Empathie und den Umgang mit Frustration zu lernen. Deshalb hält er Gruppen wie die Absoluten Beginner für eine sinnvolle Form der Selbsthilfe. „Männer sollten sich gegenseitig unterstützen, an sich zu arbeiten und auch lernen sich zu kritisieren”, findet Hechler.

Die Absoluten Beginner geben auch Kevin Halt. Der Leiter der Gruppe ist kein professioneller Sozialarbeiter, sondern ein Laie. Gemeinsam diskutieren sie positive, wie negative Erfahrungen und sprechen über schwere Lebenslagen. Auch gehen sie zusammen in ihrer Freizeit aus. Nur die Kommunikation in der Gruppe sei nicht immer zielführend, meint Kevin. Häufig herrscht „eine gedrückte Stimmung“, manchmal weinten Leute. Die Themen seien sehr ernst, weswegen es  sinnvoller wäre Lösungsvorschläge in den Mittelpunkt zu rücken, anstatt sich in gegenseitiger Trauer zu verstärken. Doch die Lösung für alle gäbe es vermutlich nicht, sagt Kevin. „Ich möchte auch immer ich selber sein und gemocht werden wie ich bin.“ 


*Name von der Redaktion geändert