Unsere Autorin findet, der Begriff „Allgemeinwissen“ impliziere ein Wissen, dass für alle gleichermaßen zugänglich wäre. Ein fataler Trugschluss! 

Es gibt ein allgemeines Wissen. Ein Wissen, das allen Bevölkerungsgruppen und -schichten gleichermaßen zugänglich ist. Ein universales Wissen. Das jedenfalls ist, was der Begriff „Allgemeinwissen“ impliziert und uns somit gewissermaßen vorgaukelt. Denn abgesehen davon, dass der Gedanke eines universalen Wissens sehr eurozentristisch verstanden wird, müsste es ja erst einmal eine allgemeine, universale Bildung geben. Eine Bildung für alle quasi.

Und dass das nicht der Fall ist, sollte nun wirklich allgemein bekannt sein: Es fängt ja schon in der Grundschulzeit an, denn Kindern aus finanziell benachteiligten Familien wird häufig weniger zugetraut als Kindern aus sozial und finanziell gut aufgestellten Familien. Weiter geht es mit dem Wechsel auf eine höhere Schule, bei dem besagten Kindern nahegelegt wird, doch lieber auf eine Gesamtschule zu gehen, als auf ein Gymnasium. Und es endet ganz sicher nicht bei der Frage: Was mache ich, wenn ich die Schulzeit irgendwie hinter mich gebracht habe?

Viele schaffen es nicht auf eine Universität oder haben es dort schwerer. Und wie genau soll jetzt nochmal ein allgemeines Wissen entstehen? Zählt das eben Dargelegte nun zu diesem Allgemeinwissen? Nein! Das klassische Allgemeinwissen meint weniger, sich über den von der Zentrale für politische Bildung beschriebenen „Zustand, wenn Menschen aus gesellschaftlichen Gründen über bestimmte Ressourcen oder Lebensbedingungen mehr oder weniger verfügen“ im Klaren zu sein. Eher sollte man gut informiert sein über Themenbereiche wie Politik oder Kunst, um dann mit seinen Freund*innen bei Wein und Käse darüber schwadronieren zu können oder sich mit seinen Kolleg*innen in hitzige Diskussionen zu verwickeln. Das ist ein Bild, das das Marketing der zahlreichen „Allgemeinwissenstrainer“ schürt, die man zuhauf online oder in Buchhandlungen erwerben kann.

Eine kleine Gruppe von Menschen definiert also ein „allgemeines Wissen“ und fordert den Rest der Gesellschaft mit Titeln wie „Nie wieder keine Ahnung“, „Endlich mitreden!“ oder „Allgemeinwissen – für mehr Erfolg!“ dazu auf, sich genau dieses Wissen anzueignen. Als gesellschaftlich unzureichend angesehenes Allgemeinwissen wird also gleichgesetzt mit Erfolglosigkeit und Ahnungslosigkeit, was vor dem Hintergrund der Bildungsungleichheit sowie der Beschreibung von Allgemeinbildung im Internet sehr problematisch erscheint:

Unsere schlaue Freundin Wikipedia beschreibt Allgemeinbildung nämlich als einen „unscharfen und uneinheitlich definierten Begriff, mit dem die entscheidenden Kenntnisse und Befähigungen bezeichnet werden, die notwendig sind, um aktiv und kritisch an der Gestaltung möglichst aller Bereiche der modernen Gesellschaft teilnehmen zu können“. Aha. Also auf der einen Seite ist der Begriff selbst noch nicht klar definierbar, aber auf der anderen Seite soll er darüber entscheiden, welches Wissen nun gerade in der Gesellschaft von Wichtigkeit ist? Interessant.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #260 zum Thema „Aktenzeichen HU“ im Juni 2022 erschienen.

Illustration: Céline Bengi Bolkan