Sie ist klein und handlich und passt erstaunlicherweise doch nicht durch meinen Briefschlitz. Die Literarische Diverse versteht sich als „Magazin für junge und vielfältige Literatur“. Das Format – etwas größer als A5 – erinnert an ein Zine, der Hintergrund auch. Wenn Gründerin Yasemin Altınay einen Open Call ausschreibt, haben BIPOC (Black, Indigenous, People of Colour) und LGBTIQ* Personen den Vortritt.
Warum ist das notwendig?
Weil die Literatur- und Verlagsszene weiß und cis-heterosexuell geprägt ist. Marginalisierte Perspektiven werden ausgeklammert, queere und trans Menschen und BIPOC dürfen selten für und über sich selbst schreiben. „Mir wurde gesagt, mein Magazin »Literarische Diverse« wäre zu politisch, ich solle es lieber sein lassen und an meine Sicherheit denken. Aber ich werde nicht schweigen und weiter einstehen für mehr Vielfalt in der Literaturszene“, schreibt Altınay im Neuen Deutschland.
Politisch geht es auch her beim Thema Sprache. Denn – Überraschung – Sprache ist immer politisch besetzt, auch die vermeintlich neutrale Landessprache Deutsch. Das Magazin bietet ein Mosaik an Gefühlen. So macht Solinda Morgillo den Auftakt mit einem „Liebesbrief an die Sprache“: „Ja, sprich‘ zu mir, ich bin offen für deine Worte.“ Morgillo ist nicht alleine damit, die Spracherfahrung der Leser*innen im Text widerzuspiegeln. Diana Canay begibt sich weiter hinten komplett auf die Metaebene und fragt sich: Worüber schreibe ich, wenn ich über Sprache schreiben soll?
Es finden sich verschiedene Texte in kontrastreichen Stilen, die sich mit Mehrsprachigkeit und Dominanzkultur auseinandersetzen. Da ist Wut gegenüber dem eigenen Vater, der mit ihr nur Deutsch gesprochen hat, und dem Land, dass ihm das Gefühl gegeben hat, dass seine Sprache nicht wichtig ist (Linh Müller). Ebenso thematisiert werden Klassismus und ganz generell die Unfähigkeit, Worte zu finden und die Unmöglichkeit, Sprechen zu können. Liebe zur Sprache fließt genauso aufs Papier wie Schmerz. Mehrere Autor*innen nehmen Bezug auf den rassistischen Anschlag in Hanau, wie Yasmin Darian mit ihrem Gedicht „Hanau – Kein Vergeben, kein Vergessen“, das ich in der Überschrift zitiere.
Ganz im Sinne des Magazinleitbilds geht es nicht nur darum, was gesagt wird, sondern auch wer es sagt. Nicht nur ums Sprechen, sondern auch ums Schreiben. Und zu guter Letzt auch um die Stille, davor, danach, zwischen Wörtern und Zeilen.
Manchmal ist der Stil essayistisch-erzählend, manchmal journalistisch, mal poetisch-assoziativ. Die Texte sind so kurz, dass mensch sich wünscht, einige wären länger. Vor allem Gedichtfans kommen bei den sprachlich berückenden Texten von Deborah F. („Gespräche“), Jessica Agirman („Mama macht Musik“) oder Ozan Zakariya Keskinkılıç („uns in ihren worten berauschen“) voll auf ihre Kosten. Dass die Texte von Illustrationen ergänzt werden, würde den Grafiker*innen nicht gerecht werden. Besonders angetan haben es mir das Bild von Piotr Depta-Kleśta – die Blütenblätter sind Lippen, auch sie werden irgendwann abfallen – und die Cartoons von Louie Läuger, die tierische Zuschreibungen aufgrund von Sprechverhalten (stille Maus, sturer Esel…) aufgreifen.
Auf knapp hundert Seiten bietet sich ein breites Bild davon, was junge Autor*innen zu Sprache zu sagen haben. Es ist ein Verlust für die Literaturwelt, dass solche Stimmen fast nur in alternativen Formaten Gehör finden, aber ein großer Gewinn für Yasemin Altınay und die Literarische Diverse.
Literarische Diverse: Magazin ZWEI, Thema: Sprache
Berlin 2020
100 S., 15,00 €
Erhältlich unter: https://www.literarischediverse.de/shop/zwei/ oder in ausgewählten Buchhandlungen in Berlin.