Ein wegen Machtmissbrauch und sexueller Belästigung in der Kritik stehender Geschichtsdozent ist nicht länger an der HU beschäftigt. Die Sprecher*innen der studentischen Vollversammlung an seinem alten Institut erzählen, welche Forderungen die Studierendenschaft jetzt stellt.

 Aylin* und Charlotte* studieren Geschichte, arbeiten als studentische Hilfskräfte und unterhalten sich Anfang Dezember 2023 mit der UnAuf über ihre Vollversammlung, zu der sie im letzten Herbst eingeladen haben.

UnAuf: Ihr habt am 7. November zu einer studentischen Vollversammlung am Institut für Geschichtswissenschaft (IfG) aufgerufen. Monate zuvor startete die Diskussion um einen Geschichtsdozenten, dem sexuelle Belästigung von Studierenden und Machtmissbrauch vorgeworfen wird. Wie war die Situation, als ihr mit der Planung begonnen habt?

Charlotte: Die Idee kam im Sommer auf, bei einem Treffen der Vernetzungsgruppe der studentischen Hilfskräfte (SHKs), wo es ursprünglich mehr um Streikvorbereitungen für die Verhandlung um den studentischen Tarifvertrag ging. In den Semesterferien kam die Diskussion um besagten Dozenten an die Öffentlichkeit, was für alle komisch war, weil wir keinen Austausch unter den Studierenden hatten. Dann gab es ein Statement von der Uni, aber es kam nichts von unserem Institut. Deshalb kam bei unserem Treffen die Idee auf, eine VV zu machen, um unter Studis miteinander zu reden. Gerade am Geschichtsinstitut ergibt sich der Austausch räumlich wenig.

Aylin: Es war ein Moment des Chaos. Alle fühlten sich unwohl und wussten, dass etwas Schlimmes passiert ist, aber eine Antwort konnte niemand formulieren. Es hätte beispielsweise ein Statement vom Professorium oder gemeinsamen Austausch über die Situation gebraucht. Aber niemand hat sich verantwortlich gefühlt. Dann haben wir uns als sogenannte „Orga-VV“ gegründet.

UnAuf: Was war eure Motivation dahinter?

Charlotte: Wir wollten sichtbar machen, dass nicht alles von Institutsseite getan wird, um die Studierenden auf den aktuellen Informationsstand zu bringen oder das Problem anzuerkennen. Unsere Absicht war, mehr Studierende am IfG zu informieren und mit ihnen zusammen zu erarbeiten, was wir uns für die Zukunft an Aufarbeitung wünschen. Wir wollten uns gegenseitig zeigen, dass wir die Betroffenen und das Problem sehen und etwas ändern möchten. Es gibt wahnsinnig viele Studierende, die sich vom Institut sehr allein gelassen gefühlt haben. Die Studis, die sich vom Institut abgewandt haben, weil sie das Gefühl haben, nicht gehört zu werden, wollten wir erreichen. Wir vermuten eine größere Anzahl, weil sehr viele Studierende Kurse bei diesem in der Kritik stehenden Dozenten belegen mussten.

Aylin: Wenige Studierende identifizieren sich heute noch mit unserem Institut, außer vielleicht, wenn man SHK oder Teil der Fachschaftsinitiative (FSI) ist. Gleichzeitig gibt es eine große Masse unter uns Studierenden, die dann von Machtmissbrauch oder Übergriffigkeiten betroffen sind. Wir wollten Unzufriedenheit darüber ausdrücken. Und darauf aufbauend die Studierendenschaft politisieren und radikalisieren, wenn es darum geht, was wir für unseren Universitätsalltag fordern und wünschen dürfen. Die Stimmung gerade ist schon schlecht. Aber wir machen ein positives Moment daraus.

“Mit dem aktuellen Streik sowie der allgemeinen Stimmung hat sich ein explosives Gemisch ergeben”

UnAuf: Erzählt mal, was ist bei der studentischen Vollversammlung passiert? Wie war die Stimmung?

Aylin: Ungefähr 60 bis 70 Studierende sind gekommen. Wir als „Orga-VV“ waren fast 20 Leute, die im Vorfeld die Themen und die Versammlung vorbereitet haben. Vor Ort haben wir zu den Themen Gruppen gebildet, in denen Forderungen erarbeitet wurden. Viele Personen die da waren, sind von Sexismus, Queerfeindlichkeit oder Rassismus betroffen.

Charlotte: In meiner Gruppe waren ein paar Erstsemester, die von den Vorwürfen in der Zeitung mitbekommen haben. Als sie hier ankamen, waren sie schockiert davon, dass es gar nicht angesprochen wurde. Eine Person hatte Kurse von besagtem Dozenten besucht. Ein Teil der Leute war zudem von der Fachschaftsinitiative und es gab eine Gruppe studentischer Hilfskräfte.

UnAuf: Ergebnis eurer Vollversammlung ist ein fünfteiliger Forderungskatalog. Könnt ihr kurz die Forderungen zusammenfassen?

Aylin: Am besten lest ihr den Katalog selbst. Von Alltagsproblemen wie Hausarbeitskorrekturen bis hin zur zu Neoliberalisierung der Uni wird vieles angesprochen.

Besonders deutlich wird, dass die Studis sich ohnmächtig fühlen, weil sie die Strukturen an der Uni mitgestalten möchten, aber nicht können. Die Allmacht des Professoriums, intransparente Strukturen und große Abhängigkeitsverhältnisse machen es marginalisierten Personengruppen schwer auszusprechen, was falsch läuft.

UnAuf: Warum fordert ihr eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der SHKs?

Charlotte: Wir wollen die Forderungen breit anlegen. Das zeigt das Interesse der Studierenden, die nicht in den Gremien sitzen. Wir haben es nicht nur auf den in der Kritik stehenden Dozenten ausgerichtet, weil am Institut in Hinblick auf ihn schon etwas passiert. Dabei wollen wir keine Einzelforderungen priorisieren, denn es gibt an vielen Ecken Baustellen.

Aylin: SHKs sind in einer besonderen, vulnerablen und prekären Situation; eben nicht nur als Studierende, sondern auch als Arbeitnehmer*innen. Hinzu kommt, dass wir andere Einblicke haben. Mit dem aktuellen Streik sowie der allgemeinen Stimmung hat sich ein explosives Gemisch ergeben.

“Das Wichtigste wäre die Solidarisierung des Professoriums mit den Betroffenen”

UnAuf: Ihr sprecht von strukturellem Missbrauch. Was genau meint ihr damit?

Charlotte: Machtmissbrauch liegt nicht nur an den Einzeltäter*innen, sondern auch an den Leuten, die das System stützen. Viele Professor*innen sehen das Problem, wissen aber seit Jahren nicht genau, wie sie damit umgehen sollen. Leider begünstigen die aktuellen Strukturen der Uni Machtmissbrauch und Diskriminierung. Die bleiben auch, wenn der beschuldigte Dozent weg ist. Wir müssen sie überwinden, um ein besseres, sicheres Institut für alle zu schaffen. Aber das ist nicht mit Workshops getan. Wir benötigen angemessene Finanzierung, zum Beispiel für vertrauliche Beschwerdestellen bei denen Studis sich sicher fühlen.

Aylin: Der besagte Dozent ist nicht erst seit drei Monaten am Institut, sondern seit drei Jahrzehnten. In dem System um ihn herum war es in gewisser Weise ‚natürlich‘, dass er am Institut in Ruhe existieren kann, aber eine junge FLINTA*-Student*in nicht. Das System hat ihn mehr geschützt als die Betroffenen.

UnAuf: Was ist der nächste Schritt?

Charlotte: Wir haben jetzt die Forderungen in alle Gremien getragen: Auf Instituts- und Fakultätsebene. Wir sind in Kontakt mit den Studis, die in den Gremien sitzen und den wissenschaftlichen Mitarbeitenden.

Aylin: Es gibt zwei Hauptziele: Öffentlichkeit für die Forderung zu gewinnen, über das Institut und die Uni hinaus; und aktiv in und außerhalb von Gremien am Institut für die Umsetzung der Forderungen zu kämpfen. Was ich Gesprächen entnehme ist, dass die Studierendenschaft verschiedene Organisierungsformen wählen wird. Die FSI bietet Gremienarbeit. Manche, aber nicht alle von der VV, wollen da rein gehen. Es wird wahrscheinlich andere Leute geben, die auf inhaltliche Interventionen in Forschung und Lehre setzen. Es wird auf jeden Fall langfristig zu einer Pluralisierung der politischen Aktionsformen am Institut beitragen.

UnAuf: Was wünscht ihr euch von denen, die nicht direkt betroffen sind? Was ist euch wichtig?

Aylin: Was ich als das Wichtigste in der aktuellen Lage sehe, wäre die Solidarisierung des Professoriums mit den Betroffenen: Die würde in so einem Moment, wo alles von oben kommt, eine Anerkennung bedeuten, dass etwas hier strukturell falsch läuft und geändert werden muss.

Charlotte: Uns ist wichtig zu betonen, dass wir nicht für alle Student*innen sprechen können. Es gibt sicherlich Stimmen, die bei der studentischen Vollversammlung nicht gehört wurden. Für mehr Aufmerksamkeit und Teilhabe am Prozess veröffentlichen wir die Forderungen. Wir haben das Gefühl, dass bisher viele Gespräche und Informationen nur hinter verschlossenen Türen weitergegeben wurden. Das finden wir schade und wollen es anders machen. Man kann uns über Moodle erreichen. Wir suchen die Hochschulöffentlichkeit und haben die Forderungen im gesamten Institut und digital verteilt.

Das Gespräch führte Lisa Mika.


Anm. d. Red.: Die Namen der Sprecher*innen wurden auf ihren Wunsch hin verändert. Ihre Namen sind der Redaktion bekannt.

25.03.24, Anm. d. Red.: Der Artikel wurde nachträglich überarbeitet.

Foto: Heike Zappe