„Noch ist Polen nicht verloren“ – so heißt es in der polnischen Hymne. Doch wie denken unsere östlichen Nachbarn wirklich? Ist das Land wirklich so rechts und katholisch wie alle denken? Unser Autor macht sein Erasmus-Semester in Poznań und begibt sich auf Spurensuche.
Viele denken bei Polen immer noch an das rückständige Land im Osten, geprägt von einer sozialistischen Planwirtschaft mit Warenmangel. Mancherorts dominieren noch sozialistische Häuserblöcke und schwefliger Braunkohle-Geruch. Doch spätestens in einem der chaotisch zusammengewürfelten Biedronka-Supermärkte, in denen man immer anstehen muss, wird dieses Bild zerstört. Hier schaut mich die Kassiererin genervt an, während sie mir ein Bündel, kleiner, zerfetzter, 20 Jahre alter Geldscheine als Wechselgeld in die Hand geben muss.

In Polen wird gefühlt alles mit Karte bezahlt. Von den vier Zloty (90 Cent) für das Bier in der Kneipe (wo es in Deutschland ohne Bargeld schwierig wird), bis zu den Schmalzkringeln, die eine alte Frau in der Altstadt von Toruń verkauft. Auch Online-Bezahldienste sind allgegenwärtig.

Polen, das ist das Land der Kontraste zwischen sozialistischen Überbleibseln und Turbokapitalismus: Der muffige Eisenbahn-Waggon ohne Klimaanlage rattert mit 70 km/h durch die Landschaft – aber hey, ich habe High-Speed-Internet! Und wenn ich in Poznań aus einer museumsreifen Straßenbahn der 50er-Jahre steige, kann ich über die aktuelle E-Scooter Debatte in Deutschland nur schmunzeln. Während Verkehrsminister Andreas Scheuer Regelungen für E-Scooter erlässt und Fußgängerverbände von „Elektro-Rasern“ und „Knochenbrechern“ sprechen, brettern diese mit 30 km/h über das Posener Pflaster.

Polen – immer noch der arme Nachbar?

Doch diese digitalen Glanzlichter dürfen über eines nicht hinweg täuschen: Trotz wirtschaftlichen Aufschwungs ist der Lebensstandard hier immer noch geringer als in Deutschland. Viele junge Pol*innen gehen zum Studieren und Arbeiten ins Ausland. Der Mindestlohn liegt bei 13,70 Zloty (rund 3,20 Euro) – mit einem Bruttolohn von umgerechnet 1.700 Euro gilt man schon als vermögend.

Poznań ist eine Ausnahme – kann es die Stadt doch vom Lebensstandard (und auch von den Preisen) mit vielen deutschen Kleinstädten aufnehmen. Hier wurde – auch mit EU-Mitteln – in den letzten Jahren viel investiert. Doch fährt man nur wenige Kilometer aufs umliegende Land, merkt man an den unsanierten Hausfassaden und kaputten Straßen noch immer die Armut. Hier liegt das Gehalt oft nur bei rund 700 Euro brutto im Monat.

Problematisch wird das vor allem im Hinblick auf die Mieten. Denn die können es in Großstädten durchaus mit deutschen Preisen aufnehmen und sind für eine*n Pol*in nur schwer bezahlbar. Viele junge Familien nehmen lange Kredite auf, um sich eine eigene Wohnung zu kaufen.

Die PiS-Regierung schlägt draus Kapital. Mit einem sozialen Wohnungsbauprogramm versucht sie gerade auf dem Land günstigen Wohnraum zu schaffen. Auf großen ungenutzten Flächen der Bahn oder Post wird gebaut – das drückt die Preise erheblich. Zudem verteilt die Regierung Geld in sozialen Programmen. So bekommt jede Familie mit mehr als einem Kind 500 Zloty pro Monat für jedes Kind. Zudem wurde das Rentenalter abgesenkt und alte Menschen erhalten ihre Medikamente kostenlos. Und das natürlich auch nicht ohne politischen Eigennutz im Hinblick auf Wahlen.

Solidarität für die streikenden Lehrer*innen

Doch es gibt auch Gruppen die leer ausgehen. Lehrer*innen etwa verdienen nur rund 2.000 Zloty (rund 470 Euro) – viele brauchen einen Zweitjob. Nun versuchen sie, sich auch ihr Stück vom Kuchen abzuschneiden. Erst gerade haben sie mehrere Wochen gestreikt. Die PiS und die regierungsnahen Sender versuchten sie als „Faulenzer“ zu diffamieren und wiesen auf die langen Ferienzeiten und nur nominell geringe Arbeitszeit hin (in der Korrekturen und Vorbereitungen nicht einberechnet sind).

In den Städten ist die Solidarität mit den Lehrer*innen groß. Viele nahmen während des Streiks gerne in Kauf, ihre Kinder mit zur Arbeit nehmen zu müssen und gingen Woche für Woche mit den Lehrer*innen abends demonstrieren. Wegen der Abiturarbeiten, die die Lehrkräfte nicht gefährden wollten, ruht der Streik gerade.

Doch im Herbst – pünktlich zur Parlamentswahl – soll es wieder losgehen. Auch die soziale Frage bestimmt die politische Lage in Polen.