Mehr Klimaschutz an der Humboldt-Universität, weniger Limousinen in der Friedrichstraße und ein radikales Umdenken in der Gesellschaft. Die Fridays-For-Future-HU-Gruppe hat bei einer studentischen Vollversammlung am Dienstag einen Forderungskatalog an Uni-Leitung und Berliner Senat vorgestellt. Außerdem gab es ein Update zu #HUgegenStudis
Im altehrwürdigen Emil-Fischer-Hörsaal ging es am frühen Dienstagabend um die Zukunft der Humboldt-Universität und nicht zuletzt auch um das Schicksal unseres Planeten. Viele Studierende, nach Angaben der Veranstalter*innen zeitweise mehr als 600, waren zu der studentischen Vollversammlung gekommen. Nach Angaben der Hochschulgruppe handelte es sich um die „größte Vollversammlung in der jüngeren Geschichte“ der HU. Die Fridays-For-Future-Gruppe der HU stellte sich vor und präsentierte fünf Forderungen an das HU-Präsidium und an den Berliner Senat. Anschließend hatte jede*r Studierende Rederecht. Im Plenum wurden die Forderungen erweitert und diskutiert.
„Wir befinden uns am Anfang einer globalen Klimakrise und wir müssen reden“, leitete Johanna Ehl von Fridays-For-Future ein. Seit der Industrialisierung habe sich die Erde bereits um einen Grad erwärmt. Falls das so weitergehe, werde der Temperaturanstieg im Jahr 2050 bei drei Grad liegen. Viele Gebiete der Erde, so Johanna, würden dann nicht mehr bewohnbar sein. Ein Horrorszenario, das die Aktivist*innen verhindern wollen. Der Einfluss des Menschen auf das Klima sei eindeutig: vom Schmelzen der Polkappen an der Arktis bis zur Wüstenbildung in Brandenburg. Und trotzdem handle er so, als habe er alle Zeit der Welt, um das rückgängig zu machen. Die Wahrheit ist: Der Mensch hat genau zwölf Jahre, um einen radikalen Verhaltenswechsel hervorzurufen. Sonst – hier ist sich die Wissenschaft einig – wird alles zu spät sein. „Das Absurde ist: seit den 80er-Jahren sind die verheerenden Folgen der Erderwärmung bekannt“, so Johanna. Passiert sei aufgrund des Drucks großer Konzerne jahrelang nichts.
Konkrete Forderungen an HU-Leitung und Berliner Politik
An dieser Stelle kommen die Kinder und Jugendlichen von Fridays-For-Future ins Spiel. „Wir sprechen von einer Krise und diese Krise erfordert sofortiges Handeln in allen Ländern dieser Erde“, sagte Johanna. Dann sprach sie über die Forderungen, die kürzlich an die deutsche Politik überbracht worden sind: Die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, allen voran das 1,5-Grad-Ziel. Hierfür notwendig: Kohleausstieg bis 2030, hundert Prozent erneuerbare Energien bis 2035. Und konkret: Realistische Maßnahmen, die kurzfristig umsetzbar sind, um Treibhausgase einzusparen. Die Einstellung von Subventionen für fossile Brennstoffe bis Ende 2019, die Abschaltung von jedem vierten Kohlekraftwerk in Deutschland bis Ende 2019 sowie eine sofortige CO2-Steuer.
Diese Forderungen sind vor allem an die Politik gerichtet. Die Bewegung will jedoch auch an den Universitäten Fuß fassen und die Treibhausemissionen auch dort reduzieren. „Denn was bringt uns ein Studium, wenn das System, auf das unsere Zukunft beruht, nicht mehr länger existiert?“, fragte Johanna. Die Gruppe habe sich aus drei Menschen gegründet, mittlerweile bestehe sie aus 50 Aktivist*innen. Bei einer Solidaritäts-Petition erreichte die Bewegung mehr als 2000 Studierende aus allen Fakultäten und bewirkte damit die Einberufung einer studentischen Vollversammlung. Das Ziel: Konkrete Forderungen an die Uni-Leitung und den Berliner Senat zu stellen. Den Punkt übernahm Eva-Lotte Schwarz von Fridays-for-Future im Anschluss. Sie stellte fünf Forderungen vor, die dann zur Diskussion standen (siehe unten).
In Gastbeiträgen schilderten zwei Verbündete ihre Perspektiven. Gregor Hagedorn vom Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung sprach über Scientists-For-Future, die Schülerin Zoe erzählte ihre Eindrücke von den Schülerdemos (die UnAuf war im Februar bei der ersten großen Berlin-Demo dabei). „Vor einigen Wochen Anfang Februar war ich mit einigen Wissenschaftler*innen frustriert darüber, dass diese tolle Bewegung in den Medien diffamiert wurde“, sagte Hagedorn. Zu Unrecht, denn: Die Bewegung stütze sich ausdrücklich auf wissenschaftliche Grundlagen, die seit langem bekannt seien. Genauer gesagt seit dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre im Jahre 1988. „Wir sind nur im Schneckentempo in die richtige Richtung gekrochen“, führte er fort.
Humboldt entdeckte, wir zerstören – die Studierenden beriefen sich in ihrer Kritik auch auf den Naturforscher Alexander von Humboldt. Fotos: Tim Stripling
Um das zu ändern und den Tatendrang von Fridays-For-Future zu unterstützen, habe er beschlossen, eine Stellungnahme zu schreiben. Relativ nüchtern und ohne Forderungen, dafür aber mit wissenschaftlichen Fakten. Die Botschaft: Die jungen Menschen haben Recht, sie berufen sich auf valide Wissenschaft. Die Stellungnahme verbreitete sich wie eine Lawine. Zunächst national. Dann international. Schließlich kamen über 26.800 Unterschriften von Wissenschaftler*innen zusammen. „Es gibt viele Lösungsansätze, wenn wir wollen, wenn wir ernst machen“, sagte Hagedorn. „Wir leben hier in Deutschland, als hätten wir drei Planeten zur Verfügung“, ergänzte er.
„Ältere Menschen werden bedient, jüngere ignoriert“
„Wir müssen uns nach vorne orientieren“, führte er fort. „Mit einer Konsequenz, als würden wir von einer Nation mit Krieg bedroht werden“, sagte er. Dann würden Dinge keine Jahrzehnte dauern, sondern zwei Wochen. „Wir leben in einer Demokratie, in der es möglich ist, mit Wahlen alle Menschen unter 40 Jahren zu ignorieren und die Wahlen mit Menschen über 50 zu gewinnen“, so Hagedorn. So laufe die Politik: Ältere Menschen würden bedient, jüngere ignoriert. „Ihr müsst für eure Zukunft kämpfen, denn die Betroffenen seid ihr, die jungen Menschen.“
Die Schülerin Zoe berichtete von ihren Erfahrungen bei den Schulstreiks. „Wir haben die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf uns und auf die Klimakrise gelenkt“, sagte sie. Doch trotz der Aufmerksamkeit werde nichts getan. Sie kündigte an: Es werde gestreikt, bis gehandelt werde. „Doch anscheinend müssen wir größer und gefährlicher werden“, sagte sie. Am Freitag werde wieder weltweit demonstriert. Das Ziel: „Die alten Menschen ganz oben sollen Angst bekommen, denn es stehen die Europawahlen an.“ Die Schüler*innen seien zwar nicht wahlberechtigt, die Studierenden aber schon. Zoe erinnerte an die Wichtigkeit der Wahlen und appellierte: „Ich denke mal, ihr wollt auch eine Zukunft.“
Studierende fordern Überwindung des Kapitalismus
Im Anschluss an die Redebeiträge wurden die Forderungen diskutiert. Jede*r anwesende Studierende*r konnte reden. Von den ungefähr 700 Anwesenden nutzten 16 Studierende das Rederecht. Die Ideen waren sehr bunt: Ein Student forderte beispielsweise die Berücksichtigung der Atomkraft bei der Suche nach Kohle-Alternativen und stieß damit auf Unverständnis. Viele Änderungsanträge bezogen sich auf die dritte Forderung: eine Studierende forderte einen Kampf gegen das Auto und die Förderung von ÖPNV und Fahrrad. „Dann erkennen wir vielleicht bald die Friedrichstraße nicht mehr, weil da anstatt von scheiß Limousinen und SUVs Bäume wachsen“, sagte sie. Eine Kommilitonin forderte eine Art BahnCard 100 für junge Menschen zur günstigen Nutzung des DB-Fernverkehrs.
Einige Forderungen bezogen sich auch auf die Universität. Ein Studierender forderte eine Selbstverpflichtungsaktion zu weniger Fleisch und weniger Flügen, eine Studierende die Solidarisierung mit Bewegungen wie Ende Gelände oder Extinction Rebellion. Der StuParlamentarier Bengt Rüstemeier (Jusos und StuPa-Präsidium) forderte die Überwindung der kapitalistischen Ordnung, da Konsumkritik nicht ohne Kapitalismuskritik auskomme. Eine Diskussion entbrannte auch bei der Passage zum Studi-Ticket. So solle die Passage erweitert werden und auch auf Bezieher*innen von Sozialleistungen Rücksicht nehmen. Eine Vertreterin des Nachhaltigkeitsbüros forderte ein Kompetenzzentrum, um eine Klimaschutz-Strategie nach dem Vorbild der FU zu erarbeiten.
Dann wurde abgestimmt. Eine absolute Mehrheit von 50 Prozent war nötig, ausgezählt wurde nach Augenmaß. Bis auf den Atomstrom-Antrag wurden alle Anträge angenommen. Nachgezählt werden musste nur ein Mal. Zur Abstimmung stand der Änderungsantrag, ausschließlich veganes und regionales Bio-Essen an den Mensen anzubieten: 186 Studierende stimmten dafür, 167 dagegen.
Die Forderungen von der Fridays-For-Future-HU-Gruppe im Wortlaut:
1. Wir erklären uns solidarisch mit den Forderungen der Fridays For Future Bewegung und fordern das Präsidium der HU auf, dies im Namen der gesamten Universität ebenso zu tun.
2. Wir fordern die Humboldt-Universitätsleitung dazu auf, bis 2022 eine klimaneutrale Universität zu werden. Konkret heißt das, eine universitäre Klimaschutzstrategie partizipativ mit der Studierendenschaft zu entwickeln, konsequent umzusetzen und halbjährlich Rechenschaft abzulegen. Wir fordern die HU-Leitung dazu auf, den eigens formulierten Umweltleitlinien von 2005 gerecht zu werden und konsequent die Belange des Klimaschutzes über die kurzfristigen ökonomischen Belange zu stellen. Dafür fordern wir die Bereitstellung von ausreichend Ressourcen und Personalmitteln für ein Kompetenz- und Koordinierungszentrum für Nachhaltigkeit an der HU. Die HU soll sich zu Selbstverpflichtungsaktionen bereit erklären, wie beispielsweise der Reduktion des Fleischkonsums. In Zukunft soll in den Mensen des Studierendenwerkes ausschließlich veganes, regionales und bio-Mensaessen zu denselben Preisen angeboten werden.
3. Wir fordern den Berliner Senat auf, den Klimanotstand für die Stadt Berlin auszurufen und auch danach zu handeln! Als Maßnahme fordern wir, den Nahverkehr und die Fahrradinfrastruktur großflächig auszubauen. Wir fordern, der nächsten Generation die Chance zu bieten, ohne motorisierten Individualverkehr aufzuwachsen. Deswegen fordern wir vom Berliner Senat das kostenlose Ticket der Schüler*innen auf Studierende und Auszubildende auszuweiten. Das wäre ein erster Schritt in Richtung kostenloser ÖPNV für ganz Berlin. Perspektivisch soll auch der Fernverkehr ausgebaut werden und für Studierende, Azubis und Schüler*innen vergünstigt werden.
4. Wir rufen die Organisationen der Erwerbstätigen – die Gewerkschaften – auf, gemeinsam mit uns für eine ökologische und sozial gerechte Zukunft zu kämpfen, und sich am Climate March zu beteiligen. Fridays For Future soll eine noch breitere gesellschaftliche Bewegung werden!
5. Wir beteiligen und selber am Climate March am 24.5. vor der Europawahl und rufen alle HU Studierenden auf, sich uns anzuschließen. Werdet aktiv gegen die Klimakatastrophe!
6. Wir erklären uns solidarisch mit friedlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie „Ende-Gelände“, die für mehr Klima- und Umweltschutz kämpfen.
7. Wir erkennen an, dass die Natur des Kapitalismus auf grenzenlosem Wachstum basiert, weshalb es zur Rettung des Klimas letztlich unabdingbar ist, die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu überwinden.
Quelle: Fridays-For-Future HU Berlin, Pressemitteilung vom 22.05.2019
Weiterhin massive Spannungen zwischen Studierenden und Uni-Leitung
Neben Fridays-for-Future und den Forderungen der Studierendenschaft ging es auf der Vollversammlung auch um die noch immer anhaltenden Streitigkeiten von Studierendenvertretung und HU-Präsidium. Die Referentin für Lehre und Studium, Juliane Ziegler, brachte alle Anwesenden auf den aktuellsten Stand. Von Seiten der verfassten Studierendenschaft werden die verschiedenen Auseinandersetzungen unter der Überschrift #HUgegenStudis beschrieben. Beginnend mit der Klage der Uni-Leitung auf Herausgabe der Namen aller Referent*innen, waren zwischenzeitlich vier Klagen an Berliner Gerichten anhängig. Im Streit um das übergangene Statusgruppenveto im Akademischen Senat scheiterte der Refrat mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht Berlin (VG). Mittlerweile wurde dieses Urteil durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zweitinstanzlich bestätigt.
Daneben wurde von der Unileitung per Bescheid ein Quotierungsantrag des 26. StuPas aufgehoben, der männlich dominates Redeverhalten unterbinden sollte. Außerdem forderte die Unileitung das StuPa auf, seine Satzung zu ändern. Zukünftig sollen unter Anderem Wahlergebnisse von Referent*innen, ausgenommen des queerfeministischen und LGBTI-Referats, universitätsintern veröffentlicht werden. Gegen beide Bescheide klagte der Refrat vor dem VG. Beide Verfahren lägen wegen der zwischenzeitlichen Wahl zum 27. StuPa momentan auf Eis, erklärte Ziegler. Für weitergehende Informationen und Erläuterungen zum gesamten „HU gegen Studis“-Komplex verwies die Referentin auf die violetten Broschüren, die der Refrat seit einigen Tagen an der Universität austeilt.
Ausgang der Semesterticket-Verhandlungen offen
Nach Ziegler übernahm Ökologie-Referent Andreas Krämer. Dieser nahm als Vertreter der HU an den Verhandlungen mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) für ein verbessertes Semesterticket für Berliner Studierende teil. Ziel war eine Kostenreduzierung und eine Ausweitung auf das VBB-Gesamtgebiet. Nach rund zweijährigen Verhandlungen wurden diese nun vorerst abgebrochen. Grund dafür sei das neue Azubiticket. Dies ermöglicht Auszubildenden ab 1. August 2019 für 365 € im Jahr, also einem Euro am Tag, das VBB-Gesamtnetz in Berlin und Brandenburg zu nutzen. Studierende zahlen derzeit 193,80 € pro Semester und dürfen damit nur das Berliner Verkehrsnetz nutzen. Man gönne den Auszubildenden diese Konditionen, so Krämer. Es sei allerdings nicht ersichtlich, warum ein Ticket zu denselben Konditionen nicht auch für Studierende möglich sein soll. Ob oder wie die Verhandlungen nun weitergehen, steht noch aus. Fest stehe nur, dass das Semesterticket in den nächsten vier Semestern zumindest nicht im Preis steigen werden.
Hintergrund: Zur weiteren Lektüre und Vertiefung wurden einige Links eingefügt. Die finale Version der Forderungen wurde ergänzt. Eine entsprechende Pressemitteilung der Fridays-For-Future-HU-Gruppe liegt der UnAuf vor.