Seit anderthalb Jahren begleitet uns nun schon die Pandemie: Fehlende Kultur-Veranstaltungen, Kontaktbeschränkungen und Online-Lehre waren prägend. Wie haben sich die Zeit im Lockdown und die zahlreichen Lehrveranstaltungen über Zoom auf die Psyche von Studierenden ausgewirkt und was für Gefühle kommen bei dem Gedanken an die geplante Rückkehr zur Präsenzlehre auf?

Anna* studiert Deutsch und Spanisch auf Lehramt. Sie berichtet, sie sei teilweise über Wochen so isoliert gewesen, dass die einzigen Personen, die sie außerhalb ihres Haushalts gesehen hat, die Erzieher*innen ihrer Kinder gewesen seien. Die restliche Kommunikation, etwa mit Kommiliton*innen und Dozierenden, fand ausschließlich über das Videokonferenz-Tool Zoom statt. ,,Ich bin eigentlich ein sehr geselliger Mensch und lade gerade bei sozialer Interaktion meine Akkus auf.” Hinzu kam die Mehrbelastung durch die Schließung der Kitas. Anrecht auf eine Notbetreuung habe sie als Studentin nicht: ,,Ich musste irgendwie mein Vollzeit-Studium und die Kinderbetreuung unter einen Hut bringen. Das hat dazu geführt, dass mein Partner und ich uns den Tag stundenweise aufgeteilt haben, damit er arbeiten und ich studieren konnte, weil wir gesagt haben: Wir können uns weder leisten, auf die Arbeit noch auf das Studium zu verzichten.”

Stress und Frustration

In Annas Fall resultierte das Ganze in extremem Stress, der durch die fehlenden Freizeitangebote sowie das konstant hohe Arbeitspensum während des Semesters kaum ausgeglichen werden konnte: ,,Ich bin in die erste Prüfungsphase nach dem ersten Digitalsemester gegangen und hab gemerkt – das fühlt sich wie ein Burn-Out an, wie es mir gerade geht. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich einfach nicht mehr konnte. Ich hatte mich während des Semesters schon so reingehängt wie in der Prüfungsphase und jetzt war mein Akku leer.” Danach sei sie in eine Art Funktionier-Modus geraten, den sie zwei Semester lang gut durchgehalten habe. Doch ihr fehle die Begeisterung für die Dinge, die sie einst geliebt habe: „Ich erinnere mich noch, wie ich vorher war, dass ich für meine Fächer gebrannt habe, dass ich mich darauf gefreut habe, wenn das Semester wieder losgeht. Diese ganze Energie, diese Kraft ist weg und ich kann Menschen, die unter Depressionen leiden, jetzt deutlich besser nachvollziehen.“

Auf die Frage, wie sie sich bei dem Gedanken fühle, dass es in vielerlei Bereichen – etwa Kultur oder Reisen – bereits Öffnungen gab, sagt sie, sie freue sich, dass die Menschen, deren Existenzen in Bedrängnis geraten sind, wieder arbeiten dürfen. Auch ihren Freund*innen und ihrer Familie gönne sie die Lockerungen sehr. Gleichzeitig könne sie jedoch auch nicht verstehen, dass Konsum und Freizeit so viel höher gestellt werden als Bildung. „Ich fühle mich verraten von der Gesellschaft. Ich würde sagen, wir wurden vergessen.“

Große Herausforderungen

Dieses Gefühl von Frustration kann Diplompsychologin und Psychotherapeutin Gesche Wattenberg gut nachvollziehen. Sie arbeitet viel und gerne mit Studierenden und jungen Erwachsenen zusammen, da sie diese Lebensphase als eine besonders spannende mit vielen Herausforderungen und Möglichkeiten ansieht.
Ähnlich wie die NAKO-Gesundheitsstudie von 2020 schätzt Wattenberg die Herausforderungen für junge Menschen besonders hoch ein: Sie hätten im Vergleich zu großen Wirtschaftsunternehmen nur eine geringe Lobby und seien so weniger präsent in den Entscheidungen der Maßnahmen. Weitere Schwierigkeiten für Studierende und junge Menschen in der Pandemie stellen für die Psychologin die finanzielle Situation, das Wegfallen von Freizeitangeboten sowie von zuvor erarbeiteten Strukturen und das fehlende Gefühl, Teil von etwas zu sein, dar.

Die Leiterin der psychologischen und psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks Berlin, Irina Theisen, ergänzt diese Liste noch durch den Umgang mit der Einsamkeit. Dies sei besonders schlimm für Leute, die neu im Studium sind oder extra dafür die Stadt gewechselt hätten. Auch sie macht auf die Frustration vieler Studierender aufmerksam und auf jenes Gefühl, so wenig ernst genommen zu werden. Sie betont: „Ich bin überhaupt nicht gegen Maßnahmen an sich, aber ich finde schon, dass da vieles nicht gut gelaufen ist, besonders für die jüngeren Gruppen.“
Die Trennung von Arbeits- und Lebensbereich, gerade in einer kleinen Ein- oder Zweizimmerwohnung, sowie Prokrastination seien ebenfalls häufige Probleme von Studierenden in der Pandemie.

Produktivität auf der einen Seite, Überforderung auf der anderen

Ab Oktober soll nun eine schrittweise Wiedereinführung der Präsenzlehre mit entsprechenden Hygienekonzepten stattfinden. Etwas, das die überwiegende Mehrheit der Studierenden freuen wird. Laut einer Umfrage, die bereits im April 2020 von den Fachschaften der Universität Lübeck unter allen Lübecker Studierenden durchgeführt wurde, lag der Anteil derer, die sich darauf freuen, den Campus wiederzusehen, damals bereits bei 85 Prozent. Diese Zahl hat sich wahrscheinlich noch vergrößert.

Auch Anna, die inzwischen wieder öfter in der Uni-Bibliothek arbeitet statt an ihrem provisorischen Arbeitsplatz im Schlafzimmer, blickt eventuellen Präsenzveranstaltungen positiv entgegen, betont aber auch noch einmal, dass das ihres Empfindens nach viel zu spät komme.
Obwohl sie merke, dass sie jetzt, da sie regelmäßig nicht von zu Hause arbeite, viel produktiver sei, und ihr die Gespräche, die sie mit anderen Studierenden vor der Bibliothek führe, gut tun, sei sie gleichzeitig auch schneller angestrengt und ausgelaugt.

Laut Irina Theisen sei die Reaktion der Menschen auf das Übermaß an Reizen, das wir alle gerade verspüren, ganz unterschiedlich: So gäbe es Leute, denen es während des Lockdowns zwar schlecht ginge, die sich aber aber gut wieder in die Gesellschaft eingliedern können. Bei anderen funktioniere dies nicht so gut und sie haben noch langfristig mit Symptomatiken, die sie während der Pandemie entwickelt haben, wie etwa Essstörungen oder Depressionen, zu kämpfen. Auch sie würde sich freuen, wenn die Universitäten in diesem Semester möglichst viel in Präsenz anbieten würden. Dieser Schritt sei wichtig für die Tagesstruktur von Studierenden.

Langsamer Einstieg

Für Studierende, die sich lange in Isolation befanden und Schwierigkeiten mit dem Wiedereinstieg in gesellschaftliche Aktivitäten und Veranstaltungen haben, könne es eine Möglichkeit sein, langsamer in den Uni-Alltag zu starten. Sie könnten etwa zunächst Präsenz- und Online-Veranstaltungen mischen oder sich nicht mehrere aufeinanderfolgende Präsenztage in den Stundenplan legen. Auch könne es hilfreich sein, wohlwollend mit sich selbst umzugehen und sich zu sagen: „Das war jetzt anderthalb Jahre völlig anders. Es ist okay, wenn ich keinen Schalter umlegen kann.“, so Theisen.

Psychologin Gesche Wattenberg sieht die Situation ähnlich. Auch sie spricht sich für Präsenzlehre aus, da diese langfristig zum Wohl der meisten Studierenden beiträge. Allerdings könne sie sich vorstellen, dass es kurzfristig zu einer Zunahme an Ängsten kommen könne, gerade bei denjenigen, die schon einmal mit einer Angstsymptomatik konfrontiert waren. Die Online-Lehre diente da als gewisse Entwöhnung und jetzt müsse man sich der Situation, die einem Angst oder Unwohlsein bereitet, stellen.
Was also tun? Lieber ganz auf Präsenz verzichten und nur die weiterhin bestehenden Online-Angebote nutzen? Das sei laut Wattenberg keine Option: „Wenn man etwas vermeidet und nicht in die Situation geht, fühlt sich die Angst wie bestätigt. Also jedes Mal, wenn ich nicht zum Seminar gehe, sagt die Angst: ‘Genau, geh mal nicht hin, das ist gefährlich!’ Danach fühlt sich die Angst bestätigt, weil, wenn es keinen Grund gäbe, würde ich ja hingehen. Die Angst sagt dann: ‘Gut, dass du nicht hingegangen bist!’ “

Stattdessen rät auch sie dazu, sich anfangs nicht zu übernehmen. Oft könne auch ein konkreter Grund, jenseits der Veranstaltungen im Stundenplan, helfen seine Angst vor der Überforderung zu überwinden. Ebenso können Veranstaltungen im außeruniversitären Kontext, die eine*n besonders reizen, als Übung für Präsenz-Seminare dienen.

Ein allgemeiner Tipp – sowohl für Studierende, aber vor allem auch für Dozierende: im Gespräch bleiben, sich mitteilen, nachfragen.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #258 zum Thema „Back to old school“ im November 2021 erschienen. 

*Name von der Redaktion geändert

Foto: Ramsha Asad/ unsplash