Wehe, ihr lasst uns weiter so hängen!

Drei Corona-Semester liegen hinter uns. Es reicht! Viele Studierende sind nur schwer über die Runden gekommen — finanziell, weil der Job weggefallen ist, sozial, weil wir unsere Freund*innen, unsere Kommiliton*innen nicht sehen, nicht gemeinsam mit ihnen diese eigentlich so spannende Zeit unseres Leben erfahren konnten. Unser Unileben hat sich eineinhalb Jahre zu Hause vor dem Laptop abgespielt. Aber das wisst ihr schon lange, das ist nichts Neues für euch.

Und was habt ihr gemacht? Mediale Plauderstündchen mit uns gehalten und nach außen hin gezeigt, wie sehr wir euch leidtun. Wir wollen und brauchen euer Mitleid nicht. Wir wollen Veränderung! Wir wollen nicht länger ignoriert werden. Wir wollen nicht länger, dass ihr unsere Ideen, Vorschläge und Versuche, etwas in diesem Land zu bewegen, abtut.

Uns geht es aber nicht nur um ein „echtes“ Unileben oder um unsere berufliche Zukunft — die Ängste, die uns quälen, sind viel globaler. Wie wollt ihr den Klimawandel aufhalten? Wie wird es mit der Digitalisierung vorangehen? Wann tut ihr endlich mehr gegen rechte Hetze und für ein demokratisches Miteinander? Die Studie „Zukunft? Jugend fragen!“ des Umweltministeriums und -bundesamtes aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass Umwelt- und Klimaschutz neben sozialer Gerechtigkeit und dem Zustand des Bildungswesens zu den wichtigsten Problemen für uns junge Menschen zählt.

Ihr macht also Studien über uns – und ignoriert unsere Sorgen dann doch weitestgehend. Ihr seid die nächsten vier Jahre in der Pflicht, diese Themen anzugehen. Für wen wollt ihr Politik machen, wenn nicht für uns? Unsere Zukunft steht auf dem Spiel. Ihr seid daran Schuld, wenn sie in die Brüche geht.

Wir wollen Veränderung!

Bei der Bundestagswahl haben die Stimmen der Jungwähler*innen im Alter von 18 bis 24 Jahren nur knapp acht Prozent ausgemacht. Mehr als die Hälfte der Wähler*innen war über 50 Jahre alt. Im neuen Bundestag werden nur sechs Politiker*innen über die Zukunft dieses Landes mitentscheiden, die jünger als 25 Jahre sind. Unsere Stimmen zählen zu wenig. Was sollen wir noch tun, um von euch gehört zu werden?

Wenn ihr nicht endlich einen Schritt auf unsere Forderungen zumacht, werden viele von uns aufgeben, weil sie nicht mehr die Kraft haben, gegen eure Wand zu reden, zu protestieren, zu kämpfen. Ist es das, was ihr wollt?

Eine repräsentative Umfrage der Generationen Stiftung, bei der 1.500 junge Menschen zwischen 16 und 26 Jahren befragt wurden, zeigt: Wir fühlen uns von der Politik nicht vertreten, ja sogar ignoriert. Beim Gedanken an unsere Zukunft plagt die Mehrheit große Angst. Bei über 70 Prozent der Befragten hat das Vertrauen in die Politik in den letzten vier Jahren stark gelitten. 83,4 Prozent sagen, dass die derzeitige Regierung die Interessen junger Menschen trotz vieler Proteste in den letzten Jahren übergeht. 70 Prozent von uns haben große Angst beim Gedanken an unsere Zukunft in 50 Jahren. Macht euch das keine Sorgen?

Vor einigen Wochen haben sieben junge Menschen gezeigt, wie verzweifelt sie sind. Für eine klimaneutrale Politik und die Erfüllung der Ziele des Pariser Klimaabkommens traten sie in einen mehrwöchigen Hungerstreik. Ihre Forderungen: Eure Rechtfertigungen für eure fatale Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte in Sachen Klimaschutz zu hören — und von euch angehört zu werden.

Braucht ihr einen Aufschrei wie diesen von uns? Wird uns nur zugehört, wenn wir zu solch drastischen Mittel greifen und unser eigenes Leben riskieren? Das kann nicht die Lösung, nicht euer Ernst sein.

Der französische Schriftsteller Henry de Montherlant sagte einst: „Die Welt vergöttert die Jugend, aber regieren lässt sie sich von den Alten.“ Das darf nicht so bleiben. Entweder ihr gewinnt mit eurem „weiter so“ und wir können nicht mehr gegen eure Ignoranz ankämpfen oder wir packen die nächsten vier Jahre gemeinsam und auf Augenhöhe an.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #258 zum Thema „Back to old school“ im November 2021 erschienen. 

Illustration: Dorothea Müller