Unsere Kolumnistin Malin wirft einen Blick auf und hinter die Kulissen der Gegenwartsdramatik. Im Gesprächt mit der Dramaturgin Sibylle Baschung erfährt sie, warum Spannungen und Auseinandersetzung rund um eine Inszenierung so wichtig sind. Folge 3: Theater ist Konflikt.

Theater ist Konflikt – was kann das bedeuten, außer der Warteschleife am Telefon, um Karten für die nächste Premiere zu ergattern? Ein Gespräch mit Sibylle Baschung, Dramaturgin am Berliner Ensemble in Berlin, hat die Aufklärung gebracht. Als Dramaturgin hat Frau Baschung den Durchblick im Theater: Textselektion, -bearbeitung und Konzeption fallen unter ihre Aufgaben, die sie mit Leidenschaft erfüllt. Ich frage Sie, was die Arbeit am Theater für Sie bedeutet. Sie antwortet: Konflikt. Aber im besten Sinne.

Sprechen wir über Konflikt, dann meinen wir zumeist das Negative. Konflikt kann Schwierigkeiten und Ärgernisse bedeuten. Aber, dass es noch eine weitere Bedeutungsebene gibt, ist diesen alltagssprachlichen Äußerungen selten implizit. Konflikt ist Auseinandersetzung, ja, aber auch in produktiven Kontexten. Die gemeinsame Arbeit der Dramaturg*innen, Regisseur*innen und Schauspieler*innen, die für die Entstehung einer Theateraufführung notwendig ist, besteht aus Konflikt, Reibung und Ideen, die scheitern müssen, um Platz für jene zu machen, die wir dann am Abend der Premiere auf der Bühne sehen können. Dass das nicht immer leicht ist, kann dem Begriff des Konflikts auch zugeschrieben werden. Die Vorbereitung eines Theaterstücks erfordert Wochen und Monate, während denen die beständige Selbstreflexion aller Beteiligten essentiell für das Zusammenspiel der Teilbereiche, wie Kostüm, Bühnenbild und Dramaturgie, sind. Sibylle Baschung, die bereits langjährige Erfahrung im Bereich der Dramaturgie am Frankfurter Schauspielhaus und am Berliner Ensemble hat, gibt mir ein paar Einblicke in die Diversität dieser Arbeit. Die Anforderungen an Texte, die durch teils noch lebende Gegenwartsautor*innen, aber auch durch die Rezeption kanonisierter Werke, variieren, bilden die Grundlage jener Intensität der Arbeit als Dramaturgin. In den aktuellen Inszenierungen am Berliner Ensemble, von denen Sibylle Baschung unter Anderem Die Dreigroschenoper und Der Weg zurück betreute, lässt sich das Spektrum der möglichen Arbeitszeiten und auch der Konfliktpotenziale erkennen.

Für den Fall der Brecht’schen Dreigroschenoper in der Regie von Barrie Kosky ist das Konfliktpotenzial oft noch ein bisschen offensichtlicher für mich als Zuschauerin als für die Stücke der Gegenwartsautor*innen. Die Erwartungen, die man bewusst oder auch unbewusst an einen solchen Abend stellt, sind enorm und geprägt von literarischen Vorerfahrungen, Lektüren oder vorherigen Inszenierungen. Anders sieht es bei den Dramen der Gegenwart aus: Die Texte von Sibylle Berg etwa, die sich in ihrer Quantität mittlerweile überschlagen, haben wohl die wenigsten Theaterbesucher*innen vor der Öffnung des Vorhangs gelesen. Hier ist weniger sichtbar, welche Prozesse die Entstehung gefördert oder auch erschwert haben könnten. Das Spektrum des Konflikts zeichnet sich also nicht nur hinter der Bühne und in der Entstehung der Inszenierungen ab, sondern auch zwischen Bühne und Publikum. Man mag sich an dieser Stelle an Elfriede Jelineks herausragenden Essay „Theatergraben“ erinnert fühlen:

Besser, wir springen selber auf die Bühne oder wir werfen das, was wir von uns nicht wissen, aber zu wissen glauben, hinauf zu denen, die auch nichts wissen, aber uns das widerspiegeln, was wir zu sein glauben, wenn wir von unserem wahren Sein (das muß es doch geben, das wahre Sein, aber wo, aber wo?) schon nicht wissen können.

Sibylle und ich sprechen lange über das ihre Arbeit am Berliner Ensemble. Mir wird klar, wie viel Intensität  und Arbeitsumfang in der Vorbereitung einer Spielzeit steckt. Die Koordination des Theaters als Betrieb, vielmehr Organismus, steckt voller Konflikt, aber auch Zufriedenheit, wenn sich die monatelange Arbeit im Ergebnis hunderter begeisterter Zuschauer*innen widerspiegelt. Es wird deutlich, wie ertragreich der Konflikt auf der Bühne ist, von dem wir die ganze Zeit gesprochen haben. Fluktuierende Anforderungen seitens der Regisseur*innen und auch der Autor*innen erfordern ein konstantes Neujustieren der eigenen Arbeitsmodi – ob es die eigenen Recherche als Dramaturgin, Gespräche mit Expert*innen oder die Betreuung der Proben sind.

Sibylle Baschung und ihre Arbeit haben mich nachhaltig beeindruckt und ihre Schilderungen über die Entstehung von Inszenierungen meine Wahrnehmung im Theater intensiviert. Die Doppelbödigkeit des Konflikts auf der Theaterbühne, das wird nach dem Gespräch deutlich, ist für Sibylle Baschung das, was ihre Arbeit am Theater so besonders macht.


Foto: Jeremy Bezanger