Wann geht es denn los? Das Licht ist noch an und die Schauspielerin auf der Bühne hinterfragt den Kinderwunsch. Warum das und die Anspielung auf Brustimplantate ein wiederhallendes intimes Moment beim Publikum schafft, erfuhr unsere Kolumnistin Malin in der Bühnenfassung von Mieko Kawakamis Roman Brüste und Eier.

Wie funktioniert ein Theater, in dem die Lichter nicht ausgehen? In den meisten Fällen eines Theaterbesuchs versinken die Zuschauer*innen im Dunkeln – das Licht geht aus, die Scheinwerfer, die die Bühne ausstrahlen, an und das wohlige Gefühl der spannungsvollen Erwartung tritt ein. Und das wird in den seltensten Fällen gebrochen. Einen dieser Versuche stellt die Inszenierung Brüste und Eier von Mieko Hawakami am Thalia Theater in Hamburg dar.

Denn mit Beginn der Vorstellung, noch während der letzten leisen Geräusche und mehr oder minder gedämpften Gesprächen in der dritten Reihe, tritt die Hauptdarstellerin, Maike Knirsch, auf die Bühne. Sie wartet nicht, bis Ruhe einkehrt, sondern spricht einfach drauflos, als ob sie ein Gespräch aus dem Foyer fortsetzen würde. Das Publikum kommt nicht zur Ruhe. Zwischen ernsthaft besorgt (Ankündigung von Krankheitsfällen im Ensemble) und unterschwellig empört (warum geht es denn nicht los) tarieren die Reaktionen im Publikum.

Zuspätkommende Besucher*innen betreten den Raum, sie scheinen ebenfalls verwundert, aber huschen mit gesenktem Blick auf ihre Plätze, für die sich Reihe 4 nochmals erheben muss und dies nur unter stillem Protest. Es ist eine Etikette.  Alle sitzen, aber das Licht ist immer noch an. Maike Knirsch hebt an zu den wichtigen Fragen. Sie bittet all diejenigen der Zuschauer*innen die Hand zu heben, die sich vorstellen können ein Kind zu bekommen. Dann diejenigen, die bereits Kinder haben. Vergnügtes Rascheln, währenddem zahlreiche Hände in die Luft schnellen.

Warum Kinder?

„Und warum haben Sie sich dafür entschieden Kinder zu bekommen?“, fragt Maike Knirsch mit vorwurfsvollem Ton in den hell erleuchteten Saal hinein. „Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass ihre Kinder vielleicht gar nicht hätten geboren werden wollen?“ Zunächst herrscht Stille im Saal. Es folgen ein paar obligatorische Witze auf Steuervorteile und schließlich ein paar aufrichtige Kommentare über die Angst vor der Einsamkeit im Alter. Andere Begründungen fallen an diesem Abend nicht. Aber der Effekt, den der Einstieg in das Stück nach sich zieht, ist kein flüchtiger, sondern beeinflusst es nachhaltig. Das passiert zum Beispiel dann, wenn es um Identität, anonyme Samenspender und Brustvergrößerungen geht.

Denn obwohl das Licht nach 20 Minuten ausgeht und die auf dem Buch von Kawakami beruhende Handlung einsetzt, bleibt das Gefühl eines Scheinwerfers, der mitten in das Publikum strahlt. Nach einem fantastischen Abend, der durch die Regie von Christopher Rüping entstand, bleibt die Frage danach, ob sich diese Art der Konfrontation mit den Zuschauer*innen durchsetzen könnte. Obgleich der Schutz der Dunkelheit wegfällt, ist es ein spürbar intimes Moment – paradoxerweise kollektiv gelebt. Der Versuch zu beleuchten, was bedeutsam ist, wird ironisch gebrochen und gleichsam einem Spiegel gleich von der Bühne zurück in den Zuschauerraum geworfen.

Was zunächst für Verwirrung sorgte, ist das, was vielleicht am Ehesten im Gedächtnis bleibt. Wäre ein Theater, in dem die Lichter nicht mehr ausgehen, überhaupt möglich? Verschwindet so sukzessiv das Gefühl in eine andere Welt einzutauchen und diese auf die Bühne begrenzte Fiktion wahrzunehmen? Oder braucht es gerade die Formen, die die Realität nicht in Ruhe lassen und sich fragen, was die Erfahrungen und Wünsche einzelner Zuschauer*innen zu einem Erleben des Stücks beitragen können? Sind Realität und Bühnenwelt zu einem Punkt gekommen, an dem sie sich nicht mehr trennen lassen sollten? Oder können.


Foto: Krafft Angerer