Die In Exile. Queerweek22 ist für Theatergänger*innen ein Muss. Das Festival gehört zum festen Reportoire der Berliner Theaterszene. Unsere Kolumnistin Malin sprach mit dem*der Mitorganisator*in, Dramaturg*in und Kurator*in Yunus Ersoy über Safe Spaces, Identität und über die Bedeutung von Exil, wenn kein Ort Sicherheit garantiert.

Die In Exile. Queerweek22 war das Sommerhighlight des Maxim Gorki Theaters in Berlin. In diesem Jahr fand sie nicht im Juni statt, sondern zeitlich mit der Eröfnung des des Studio Я. Dafür wurde nicht nur das Foyer neu gestrichen, dekoriert und mit Installationen gefüllt, sondern auch das Programm umgekrempelt. Der bisherige Titel PUGS IN LOVE, dem es inhaltlich um die Sichtbarmachung „perverser” Lebensrealitäten und Gefährdungen ging und unter der Kuration Tobias Herzbergs lief, ist abgelöst worden. Jetzt gibt es ein neues Team, das auch saisonübergreifend in das Programm des Gorki eingebunden ist. Yunus Ersoy ist Kurator*in des Festivals, aber auch Dramaturg*in am Studio Я. Yunus geht es dabei nicht nur um die Gestaltung eines gelungenen Festivals, sondern vor allem um die Botschaft dahinter.

Queerness und Exil, Identität wie Fremdheit: Zahlreiche Autor*innen haben sich auf den Open Call des Theaters beworben, bei dem es um eigene Texte und Performanceideen gehen sollte. Zu hören waren einige der Ergebnisse in einer Endless Reading Night, bei der die Longlist der eingereichten Texte präsentiert und vorgelesen wurde. Die Texte blieben bis zum Startpunkt des Readings unbekannt. Auch das, wie der Zeitplan und die Bühnenpartys, fußte auf Ideen der neuen Kurator*innen. Vom Panel über Performance zur Drag-Show waren diverse Darstellungsformen vertreten und machten gleichzeitig den Anspruch des Studios Я deutlich. Dazu erzählt Yunus im Garten des Maxim Gorki: “Es geht um neue Spiel- wie Darstellungsformen, die erproben, wie wir eigentlich zeigen können, was uns ausmacht.”

Dass das nicht immer einfach ist, macht Yunus an dem ganz pragmatischen Beispiel deutlich, dass es beteiligte Schauspieler*innen gibt, die zwar eine Arbeitserlaubnis haben, aber noch keine Rechnungen stellen dürfen, weil sie keine Steuernummer haben. Er sieht darin vor allem den tragischen Effekt unserer bürokratischen Strukturen. Yunus hat am Studio Я, auch Kunstasyl genannt, angefangen mit seiner Arbeit am Gorki und trat damit in die Fußstapfen von Necati Öziri und Sasha Salzmann.

Die Neugestaltung des Programms und gleichzeitig ein Rückbesinnen auf Artist in Exile von Michael Ronen, Regisseur und Schauspieler, und Sasha Salzmann, Autor*in, Essayist*in, Theatermacher*in und Kurator*in, sind nur zwei der Ziele, die Yunus sich dafür gesetzt hat. Der Hintergrund für diese Motivation hängt auch mit der Geschichte der Spielstätte, die am Anfang ein gesondertes Projekt des Theaters war, zusammen. Yunus erzählt von Michael Ronen, der nach London ins Exil ging – bis 2005 die Anschläge in der Londoner U-Bahn geschahen. Die Verflechtung von Schutz und Bedrohung im Alltag wie im Exil wurde immer existenzieller. Aus der Erkenntnis heraus, dass es diesen vermeintlichen Schutz vielleicht nie gegeben hat, entstand dann, so Yunus,  die Schlussfolgerung der Kunst als Exil. Und das war auch bei der Queerweek22 Thema.

Safe Spaces vor der heteronormativen Gesellschaft

Von der Metaphorik und Geschichte des Studios geht es schließlich ganz konkret um das Programm der Queerweek22 und wie einzelne Künstler*innen ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen des Exils präsentieren. Auf die Frage danach, wie Kuration in Anbindung an das Erleben von Gewalt und Feindlichkeit gegenüber queeren Künstler*innen aussieht, stellt Yunus Gerard X Reyes vor, eine*n kandische*n Künstler*in. Seine*Ihre Show thematisiert das Exil indirekt und stellt stattdessen Räume vor, in denen Gerard X Reyes sich geschützt fühlt vor der heteronormativen Gesellschaft. Das können dann zum Beispiel Dark-Rooms, Diskotheken oder Shows sein, die in dem für die In Exile. Queerweek22 vorbereiteten Beitrag vorgestellt und erlebt werden.

Eine andere Exploration des Exils ist die vom Project O. Yunus erzählt von Anthony Hüseyin, ein*e nicht-binäre*r Singer-Songwriter*in, Performer*in, der*die die Bühne als Pause vom Stress des exilierten Körpers erlebt. Bei O wird es konkret biografisch: Anthony ist in der Südost-Türkei aufgewachsen. Zuhause hat O die klassische türkische Musik geprägt, später der Operngesang und während eines Aufenthalts in Rotterdam der Jazz. Anthony hat gemerkt, dass dieser Weg O zu einer weißen heteronormativen Gesellschaft geführt hat, für die er performte. Yunus erzählt zur Bedeutung des O’s im Titel der Performance, die Anthonys Reise zu sich selbst symbolisiert und durch das türkische Personalpronomen doppelt repräsentiert wird. Der Abend funktionierte nicht nur darstellend, sondern ist ausdrücklich eine Party. Project O gestaltete sich als ein Album-Release mit Anekdoten, der auch szenisch geprägt war. Das ist das erste Album, das für Anthony selbst und nicht für alle anderen ist. Und das findet sich auch in der historischen Anbindung an das Studio Я wieder und macht so, wie Yunus betont, auf den roten Faden des Programms aufmerksam. Der Titel In Exile. Queerweek22 nahm diese zwei wesentlichen thematischen Schwerpunkte des Festivals vorweg und gab gleichzeitig einen Einblick in die Ambiguität der Veranstaltungen. Es kann nie um Sicherheit gehen, wenn nicht auch die Bedrohung thematisiert wird. Was kann das Festival für einen Ausblick schaffen?

Yunus spricht lange über die Hoffnung, dass sich die permanente Bedrohung  irgendwann auflöst und so das Festival auch andere Schwerpunkte finden könnte. Dass allein fast bei jeder Show die Content Notion der sexualisierten Gewalt eingefügt werden musste, führt in besonderem Ausmaß vor, wie schwierig sich das gestalten kann. Es geht immer um rassistische Gewalt wie Sprache – die zwar auf Empowerment abzielt, aber trotzdem mit großem Effekt auf das Publikum, erklärt Yunus. Alles ist von der Gewalterfahrung geprägt. Der Auftakt des Festivals im Juni, von dem Yunus erzählt, war ein ganz besonderer Moment. Die Künstler*innen stellten das Programm und die Ausblicke vor und obwohl schwierige wie traumatische Situationen dargestellt wurden, überwog die Freude, darüber sprechen zu können.


Foto: Fırat Gürgen