Im Theater geht es fast immer um Liebe. Es ist ein vages Gefühl des Miteinander, das in seinen Tiefen viele Schwierigkeiten bereithält. Unsere Autorin Malin hat sich dazu zwei Inszenierungen angeschaut, die das Thema melancholisch oder lustvoll auslegen. Vorhang auf für Folge 10: Wie fühlt sich Liebe an?

Samstag Abend im Berliner Ensemble. Was wird gezeigt? Phaidras Liebe im Neuen Haus. Ein Stück, das die Autorin Sarah Kane am Anfang ihrer Schaffenszeit verfasste und dessen Inhalt der Regisseur Robert Borgmann nun mit seinem neu gegründeten Kollektiv inszeniert. Die Liebe ist dem Stück bereits im Titel eingeschrieben. Die Fragen danach, wer wen liebt und warum, werden von Kane im Text mit sprachlicher Eleganz beantwortet und auf der Bühne durch Stefanie Reinsperger verkörpert. Dass Phaidra ihren Stiefsohn Hippolytos liebt, ja geradezu vergöttert, ist Ausgangslage und Konsens des Stückes. Sie liebt ihn so lang, bis sie sich selbst das Leben nimmt in der Aufopferung für Hippolytos und in der stillen Realisierung der Unmöglichkeit dieser Verbindung.

Eben das ist der Fokus der Inszenierung am BE – beide Welten simultan auf der Bühne. Gezeigt wird die des arroganten, narzisstischen und durch einen Fluch zur erotischen Anziehung verhafteten Hippolytus, dessen überdimensional große Spielzeuge von Stefanie Reinsperger voller Zorn und Melancholie lustvoll von links nach recht geschubst werden. Und daneben das Solarium der Phaidra: sie ist in eine schwarze Ballrobe gekleidet und blickt ihrer leidenschaftlichen Selbstzerstörung entgegen. Am Ende regnet sie schließlich als Asche vom Himmel herunter. Es ist ein düsteres Bild, das Kane ihrem mythologischen Handwerk einschreibt. Die gemeine Familienkonstellation wird aufgelöst und sprachlich anhand ihrer Ungefiltertheit entblößt. Jede einzelne Figur ihres dabei wirklich bündigen Textes muss sterben – aus Liebe?

Verwirrspiele

Ein weitaus weniger körperliches, aber verkitschte Bild der Gefühle füreinander zeichnet beispielsweise das Stück Rose, Regen, Schwert und Wunde (Ein Sommernachtstraum), das in der Adaption Shakespeares erst kürzlich Premiere am Paderborner Theater feierte. Dem Tornado trotzend, der noch vor ein paar Wochen das Bühnenbild und damit den geplanten ersten Spieltermin zerstörte, spielten die fünf Schauspieler*innen Open Air das klassische Verwechslungsspiel im Wald vor Athen nach. Vor der untergehenden Sonne werden zuerst Lysander und Hermia, dann Helena und schließlich auch Demetrius von der mythischen Figur Puck verzaubert. Auf ein Missverständnis hin verlieben sich aber immer die Falschen ineinander- geradezu eine Parabel auf das Dating der Moderne, wenn diese Interpretation des Abendrots und der 80er Jahre-Accesssoires so gelingen mag. Aber vielmehr zieht das Publikum dieses Abends das Happy End an. So verlieben sich schlussendlich die Richtigen und die Frage nach der Dauerhaftigkeit dieses Zustands wird durch das erloschende Licht ebenfalls im Dunkeln gelassen.

Was bei Shakespeare als komödienhaftes Verwechslungsspiel auf die Spitze getrieben wird, findet in anderen Stücken, wie exemplarisch bei Kane, einen gänzlich abweichenden Ausdruck. Von rosaroter Romantik hin zur bitter mythologischen Zersetzung führt das Gegenwartstheater das Spektrum der Liebe vor – und auf. Diese Gefühle vermögen einerseits, auch in der bloßen dramatischen Überzeichnung, zerstörerisch zu sein. Andererseits wirken sie vor allem schützend durch die Zuneigung füreinander. Das hinterlässt für einen kurzen Moment den Eindruck verstanden zu haben, wie sich Liebe anfühlen kann.


Foto: JR Berliner Ensemble