Klimastreik statt Schulbank. Tausende Schüler*innen und Umweltaktivist*innen sind am Freitag in Berlin für den Klimaschutz auf die Straße gegangen und haben für eine verantwortungsvolle Klimapolitik demonstriert. Sie forderten einen schnellen Ausstieg aus der Kohle und ein zukunftsorientiertes Handeln der Politik
Während das letzte Treffen der Kohlekomission bereits läuft, finden sich am Freitag bei Minusgraden viele Menschen im Berliner Invalidenpark ein. Vor dem Wirtschafts- und Energieministerium treffen sich Schüler*innen, Studierende und auch Erwachsene. Die 16-jährige Greta Thunberg hat den Klimastreik erfunden: Jeden Freitag schwänzt die schwedische Schülerin seit 23 Wochen unter dem Motto „Fridays For Future“ den Unterricht und protestiert mit einem Schild für mehr Klimaschutz.
Auch viele Demonstrant*innen in Berlin haben Schilder dabei, mit denen sie wie ihr Vorbild ihre Forderungen zum Ausdruck bringen. Und dafür finden sie klare Worte: „Wenn wir keinen Planeten mehr haben, geht es der Wirtschaft auch nicht mehr gut!“, steht auf einem weißen Plakat mit orangener Schrift. Das Zitat von Al Gore könnte in diesem Moment nicht besser passen. Denn: Im Hintergrund rückt Peter Altmaier an, flankiert von Berater*innen und Journalist*innen. Der Minister hat die Bühne fest im Blick, doch die Organisator*innen weisen ihn zurück. „Er soll in sein Ministerium zurückgehen und die Sachen erledigen, die zu tun sind!“, ruft ein junger Demonstrant.
Kein Recht auf Kohlebaggerfahren
Unbeeindruckt vom Minister, der mit den vielen Journalist*innen beschäftigt ist, setzt sich die Demo in Bewegung. Immer wieder ertönt ein Spruch, der bezeichnender nicht sein könnte: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“. In der Luisenstraße winken Menschen aus ihren Büros und Wohnungen, eine Frau hält aus dem zweiten Stock ein Schild aus dem Fenster: „Ich bin hier stellvertretend für meine zwei Kinder (2 und 7 Jahre).“ Vorbei an der Charité geht es über die Marschallbrücke in das Regierungsviertel. Am Straßenrand blicken Berliner*innen mit Coffee-to-go in der Hand genauso wie Tourist*innen mit Kamera auf den nicht enden wollenden Demonstrationszug. „Leute lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein“, rufen die Demonstrant*innen.
In der Dorotheenstraße wird es zwischen den Bürogebäuden des Bundestags laut. „Es gibt kein Recht auf Kohlebaggerfahren!“, hallt es durch das Herz der Hauptstadt. „Ich bin heute das erste Mal auf einer Demo“, leitet ein Junge ein. Er ist heute mit seinen Klassenkameraden nach Mitte gefahren. Seinen Vornamen möchte er nicht nennen. „Es ist zwar etwas kalt, aber bisher macht es auf jeden Fall Spaß“, sagt er. Ein anderer, etwas älterer Junge schreit: „Kohle“, die Masse antwortet „Stop“. Das wiederholt sich einige Male, bis er ein Gespräch mit seinem Schulkameraden anfängt. „Ich bin heute hier, weil ich für meine Zukunft kämpfen möchte“, sagt der Junge zu unserer Zeitung. Kajan, so heißt er, hat von der Kohlekommission gehört und fügt hinzu: „Besonders wir Schüler müssen der Politik zeigen, dass das so nicht geht.“ Er kommt aus Berlin, hat aber auch Schüler*innen kennengelernt, die eine weite Anreise hinter sich haben. Wie die Aktion in der Schule ankommt? „Naja, wir waren ab zwölf Uhr entschuldigt und durften sozusagen gehen“, sagt er.
Vor dem Bundeskanzleramt kommt der Zug zum Stehen. An den Fenstern sind Mitarbeiter*innen zu sehen, die innehalten und auf die Schüler*innen blicken. „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle!“, rufen die Demonstrant*innen und springen dabei. Zwei Schüler klettern auf einen Baum, um das Geschehen besser zu verfolgen. „Wir sind hier beim größten Klimastreik in Deutschlands Geschichte“, spricht Luisa Neubauer auf der Bühne in ihr Mikrofon. „Als ich die Demo angemeldet habe, habe ich mit 1.000 Teilnehmer*innen gerechnet. Doch wir haben alle gezählt und wir sind über 10.000 Menschen.“ Die zweite Zahl dringt vor lauter Jubel gar nicht in die hintersten Reihen durch.
Dort, etwas abseits, stehen Haakon und Erik. Sie gehen in das Bild eines russischen Reporters und fuchteln hinter ihm wild mit ihren Schildern. Er lächelt und startet die Aufnahme neu. „Ich bin hier, weil ich es satt habe, dass die Bundesregierung nichts dafür tut, dass der Kohleausstieg beschleunigt wird“, sagt Haakon. Auf die Frage, was die Regierung denn tun solle, hat er eine klare Antwort: „Ich bin vor allem für erneuerbare Energien und Solarzellen.“ Die Neuntklässler haben von ihrer Schule eine Freistellung bekommen: „Wir dürfen hier sein, das war unserer Schule wichtig.“ Am Nachmittag spricht die Berliner Polizei von 5.000 Demonstrant*innen, die Organisator*innen bleiben bei ihrer Zahl.
Die Hamburger Studentin Luisa Neubauer ist die Organisatorin der Bewegung in Deutschland. Gemeinsam mit einem Orga-Team aus dem ganzen Land hat sie die Veranstaltung auf die Beine gestellt. „Wir fordern die Rettung der Welt, genau so ist es“, sagt sie unter dem Jubel der Schüler*innen. „Es gibt hier nicht eine Greta, es gibt hier zehntausende Gretas“, sagt sie. Sie kündigt einen Überraschungsgast an, der seine Mittagspause konstruktiv nutzen wollte. „Ihr habt alle eine Stimme, und die kann etwas bewirken“, sagt Michael „Bully“ Herbig. Der Schauspieler lobt die Schüler*innen: „Ihr habt ein Recht hier zu stehen, kämpft für eure Zukunft“.
Eine neue Welt erschaffen
Ähnlich sieht es Ricarda Lang. „Hier ist der Ort, an dem gerade Wandel passiert“, sagt sie. „Nach heute soll mir bitte niemand mehr sagen, dass die Jugend von heute unpolitisch wäre“, fügt sie hinzu. Die Sprecherin der Grünen Jugend betont die Wichtigkeit des Protestes und erinnert an die Verantwortung: „Unsere Generation hat ein Recht auf Zukunft und wir werden nicht dabei zusehen, wie diese in Kohlekraftwerken verheizt wird.“ Sie betont dabei den globalen Aspekt der Umweltpolitik: „Der Klimawandel macht nicht vor nationalen Grenzen halt, und genauso wenig darf die Politik vor nationalen Grenzen haltmachen.“ Die Menschen, die zuerst unter den Folgen des Klimawandels leiden, seien schließlich die „Ärmsten der Ärmsten“, sagt Ricarda Lang.
Den Vorwurf, Klima- und Sozialpolitik seien nicht vereinbar, weist sie zurück. „Auch wir kämpfen um die Rechte der Arbeiter*innen. Wisst ihr was nicht sozial ist? Den Menschen, die in den Kohlekraftwerken arbeiten weiszumachen, dass ihre Arbeit eine Zukunft hat“, sagt sie. „Sozial ist es auch nicht, wenn die Menschen, die am Stadtrand wohnen, an den Straßen mit den höchsten Feinstaubwerten leben, weil sie sich keine andere Wohnung leisten können.“
Linus ist 15 Jahre alt. Er ist aus Göttingen nach Berlin gefahren und ist Teil des Orga-Teams. „Wenn die Kohlekommission eine falsche Entscheidung trifft und unsere Zukunft verdammt, werden wir weiter protestieren“, sagt er. „Wir können uns nicht mehr auf die Erwachsenen verlassen, wir müssen jetzt handeln und die Verantwortung in die Hand nehmen.“
Es geht zurück zum Wirtschafts- und Energieministerium. Sven, Camilla, und Jeanette sind aus Stuttgart angereist. Am Vorabend spontan per Flixbus. „Schwaben suchen günstigen Schlafplatz“, steht auf ihrem Schild. „Es ist eine Möglichkeit, die man nutzen muss, wenn man die Möglichkeit hat, am Anfang etwas zu verändern und etwas auf die Zukunft zu achten“, sagt Sven. „Es bringt nichts, wenn man billigen Strom hat und später nichts mehr.“ Sie sind keine Schüler mehr, sondern derzeit im Gap Year. „Wir haben gestern unser Flixbus-Ticket gebucht und sind dann am Abend spontan nach Berlin gefahren“, sagt Camilla. „Es gibt so viele Hostels in Berlin und haben gedacht: Irgendwas finden wir.“ Die Demonstrant*innen singen Lieder über eine bessere Welt, selbstverständlich ohne Kohle und Klimawandel.
Luisa Neubauer geht vorneweg, weit vor der Demonstration. Sie knabbert an einem Schokoladenriegel und tippt etwas auf ihrem Smartphone. „Ich habe im Dezember auf der COP (der Klimakonferenz in Katowice, Anm. d. Red.) Greta kennengelernt und habe mit ihr zusammen gestreikt“, sagt sie zu unserer Zeitung. „Dann habe ich mir gedacht, wie absurd es ist, dass wir in Deutschland zulassen, dass die Klimaziele nicht eingehalten werden“, fügt sie hinzu. „Als ich zurückgekommen bin, war ich wütend und traurig und habe viele E-Mails geschrieben und dann haben wir einige Tage später zusammen mit vielen Organisator*innen in 14 deutschen Städten gestreikt.“ Diese Demonstration sei nur der Anfang: „Wir werden am 15. März international streiken, wir werden massiv auffahren und wir werden der Regierung sagen, sie kann sich warm anziehen“, sagt sie. „Wir sind sehr eng organisiert, wir treffen basisdemokratische Entscheidungen und haben eigentlich ein ganz gutes Konzept glaube ich“, sagt Luisa Neubauer.
Kohleausstieg 2038 reicht nicht
Zurück im Invalidenpark spricht Indigo. Sie lebt im Hambacher Forst und ist nach Berlin gefahren, um von ihren Erfahrungen und der Situation im „Hambi“ zu erzählen. Indigo berichtet von den Baumhäusern, die im Herbst durch „bewaffnete Polizisten“ zerstört wurden und von der Kohlegewinnung im Tagebau. Und dann erzählt sie von ihrem Alltag. „Ich musste erst in den Hambacher Forst ziehen, um es zu verstehen, aber ihr habt es heute schon verstanden“, sagt sie. Dann hält sie kurz inne und appelliert: „Lasst uns heute beginnen, eine Welt zu erschaffen, in der wir nicht auf Kosten Anderer leben.“
Am Samstagmorgen verkündet die Kohlekommission ihre Entscheidung. Bis 2038 soll die Energiegewinnung aus Kohle eingestellt werden. Im Umkehrschluss heißt das: Die Öfen sollen noch 19 Jahre lang brennen und schädliche Abgase in die Luft blasen. Immerhin: Der Hambacher Forst darf bleiben und ist somit gerettet. In den Augen von Fridays For Future Germany reicht das nicht. Auf Twitter verkünden sie: „Wir halten das Ergebnis für inakzeptabel und fordern die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels.“ Sie möchten nicht aufhören, zu streiken. Bis 2038 bleiben rund 990 Freitage.