Während am 25. Januar manche HU-Student*innen sich ab 19 Uhr eher Richtung Feierabend bewegten, besuchten einige von ihnen den Vortrag der „Letzten Generation“. Unsere Autorin Pia Wieners war vor Ort, um sich einen Eindruck zu verschaffen. 

An der Dorotheenstraße 24 wurden eine Woche vorher Flyer an Student*innen und Passant*innen verteilt. „Wir sind die letzte Generation vor den Kipppunkten. Was wirst du tun?“ war dort zu lesen, und weiter: „Hör dir unseren Plan an!“ Etwa 20 Personen waren der Einladung gefolgt, sodass der Raum im Hauptgebäude gut gefüllt war.

Der 25-jährige Student Konni startete den Vortrag mit einer Rekapitulation der aktuellen Lage in Sachen Klimaschutz. Von Anfang an wurde transparent gemacht, dass es nicht bei einem reinen Informationsvortrag bleiben werde. „Das Ziel ist es, dass ihr ins Protesttraining geht, und danach bei uns mitmacht.“, sagte er entschlossen. Außerdem sei dies mehr als nur ein Vortrag, es sei eher eine Art Krisensitzung.

Ruhig schilderte er die bekannten Fakten: Kyoto-Protokoll, das 1,5-Grad-Ziel, unverbindliche Vereinbarungen der Staaten, an die sich nicht gehalten werde. Diese bisherigen Maßnahmen gegen den Klimawandel stünden in keiner Relation zum Ausmaß der zu erwartenden Katastrophe. „1,5 Grad ist ein schöner Traum, aber absolut nicht, auf was wir gerade zusteuern. Die Maßnahmen, die verabredet wurden, werden absolut nicht mehr eingehalten, wir schaffen nicht mal mehr unsere Ziele für 2030.“, kritisierte Konni. Das Erreichen unumkehrbarer Kipppunkte stehe somit kurz bevor.

Kipppunkte (Englisch: „tipping points“) sind irreversible Veränderungen des Weltklimas, die an einem bestimmten Punkt erreicht werden und einen sich selbst verstärkenden Prozess in Gang setzen. Ein Beispiel ist das Abschmelzen des arktischen Eisschildes. Durch die Zunahme an Wassermasse sinkt die Fläche der Wärme reflektierenden, hellen Eisfläche. Dadurch steigt die Temperatur weiter an, was wiederum das Abschmelzen beschleunigt. Was das Abschmelzen des Eisschildes betrifft, wird sogar darüber diskutiert, ob dieser Kipppunkt nicht schon längst erreicht ist.

„Wir wollen, dass ihr in Panik verfallt.“

Die Zuhörer*innen wurden aufgefordert, diese Realität einmal an sich heranzulassen. Waldbrände, die sich auch auf Wohngebiete ausbreiten können, Flutkatastrophen, heftige Stürme, Nahrungsmittelknappheit, all das seien Folgen der Klimaveränderungen, die die Menschheit noch erwartet.

Nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes das Problem noch einmal stärker ins politische Bewusstsein gebracht habe, sei es nun an der Zeit für öffentlichen Widerstand. Das Konzept von Fridays for Future sei allerdings nicht mehr in der Lage, effektiv Aufmerksamkeit zu generieren. Die nächste Protestphase müsse daher ziviler Ungehorsam sein, meint Konni. Er verteidigte die stark in der Kritik stehende Protestform und betonte, dass sich auf diese Weise in der Vergangenheit durchaus gesellschaftliche Veränderungen hätten erreichen lassen. Als Beispiel nannte er die Abschaffung der Segregation in den USA. „Wir wollen uns nicht in eine Reihe stellen, nur zeigen, dass so etwas klappen kann“, merkte Konni allerdings an.

Anstatt sich zum Beispiel vor Kohlegruben festzukleben, habe man sich unter anderem für Straßenblockaden entschieden, denn diese würden mehr Aufmerksamkeit generieren. „Kein besonders komplexer Vorgang, aber ein sehr eindeutiger.“, sagte er mit einem Schmunzeln. Als konkrete Forderungen zählte er ein 9-Euro Ticket, ein Tempolimit von 100 km/h und das Verhindern von Lebensmittelverschwendung auf. Diese doch recht bescheidenen Ideen seien schnell umsetzbar und würden zeigen, was die Regierung zu tun bereit sei.

Wie sich herausgestellt habe, gehe die Regierung nur sehr begrenzt auf die Forderungen der Gruppe und der anderer Klimaschützer*innen ein. Dadurch zeige sich, dass sie nicht fähig sei, angemessen auf die Krise zu reagieren. An dieser Stelle wurde das Konzept der Bürger*innenräte vorgestellt, eine kontroverse Forderung der Vereinigung. Hierbei handelt es sich um ein basisdemokratisches Gremium aus verschiedenen Gruppen und Schichten. Diese müssten im Gegensatz zu Politiker*innen nicht wiedergewählt werden und stünden dementsprechend unter weniger Druck.

Der Vortrag informierte auch über den konkreten Ablauf einer Protestaktion. In Berlin kämen Aktivist*innen zwar wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Gewahrsam, würden aber nach ein paar Stunden entlassen. „Nie alleine stehen“ sei das Motto der Organisation, sodass man nach der Entlassung von anderen Mitgliedern herzlich empfangen werde. Wie eine Protestaktion im schlimmsten Fall ablaufen kann, erzählte Julius aus Bayern. Wegen der dort herrschenden strengeren Gesetze musste er den 21. Dezember bis 5. Januar in der JVA Stadelheim in Präventivhaft verbringen.

Auch negative Aufmerksamkeit hilft

Das Gefängnis sei gar nicht so schlimm gewesen, wie man sich das vorstelle – zumindest nicht für deutschsprachige weiße Klimaaktivist*innen, fügte er hinzu. Da Deutschland ein relativ rechtsstaatliches Land sei, biete es gute Voraussetzungen, um effektiven Protest zu betreiben. Es könne sich nicht jeder leisten, diesen Schritt ins Gefängnis zu gehen. Auch aus solidarischen Gründen habe er sich deshalb dazu entschieden, sagte Julius.

Die Organisation suche in erster Linie nach Menschen, die bereit wären, „direkt in Aktion zu gehen“, wie sie es ausdrückten. Aber auch unterstützende Arbeit im Hintergrund sei möglich und gern gesehen. Vor dem zivilen Ungehorsam müsse jede*r ein Aktionstraining absolvieren, um angemessen auf den Einsatz vorbereitet zu sein. Auch der Austausch mit anderen, noch unsicheren Personen, sei hier möglich. So könne man noch einmal für sich selbst klären, wo man eigentlich stehe und wie weit man gehen wolle.

Nach dem Vortrag wurden unter der Leitung von Mitglieder*innen kleinere Gruppen gebildet. Hier kamen die Zuhörer*innen zu Wort, es gab Raum für Austausch und auch Kritik. Außerdem wurde ein Kontaktformular herumgereicht. In diesem wurden persönliche Daten und die grundsätzliche Bereitschaft, an Aktionen teilzunehmen, abgefragt. Die Zuhörer*innen zeigten sich weitestgehend interessiert und den Forderungen der Bewegung grundsätzlich zugetan. Bei der direkten Bereitschaft zur Teilnahme haperte es allerdings. Ein Kritikpunkt, der in den Diskussionsgruppen aufkam, bezog sich auf das Konzept der Bürger*innenräte. Dadurch, dass die Mitglieder*innen nicht gewählt würden, sei ein solcher Rat per se undemokratisch, bemängelte ein Zuhörer.

Auch die öffentliche Kritik an den Aktionen wurde thematisiert. Von großen Teilen der Gesellschaft würde der zivile Ungehorsam eher schlecht aufgenommen. Viele Menschen fühlten sich in ihrem Alltag belästigt oder lehnten ihn aus anderen Gründen ab. Dadurch schade sich die Bewegung für Klimagerechtigkeit am Ende eher selbst.

Die Aktivist*innen zeigten sich aber zuversichtlich, dass auch negative Aufmerksamkeit die dringend nötige Diskussion anstoße und somit produktiv sei.


Foto: Pia Wieners