Vor genau einem Jahr griffen russische Truppen die Ukraine an, kurz nachdem Vladimir Putin seine militärische Spezialoperation angekündigt hatte. Es war der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. In Deutschland zeigten sich viele Menschen betroffen über das Leid in der Ukraine. Manche gingen sogar weiter und engagierten sich in diversen Organisationen. Eine davon ist Vitsche, eine Organisation bestehend aus jungen Ukrainer*innen in Deutschland. Mit der Sprecherin  Krista-Marija Läbe unterhielt sich die UnAuf über die Lage der Geflüchteten, Propaganda aus Russland und Hilfen aus Deutschland.  

UnAuf: Was können Student*innen und junge Menschen für die Ukraine tun? 

Krista-Marija Läbe: Man kann auf jeden Fall zu den pro-ukrainischen Demonstrationen gehen. Natürlich kann man auch die zahlreichen Bildungsveranstaltungen besuchen, welche von politischen Stiftungen, Universitäten und ukrainischen Organisationen teilweise kostenlos angeboten werden. Es ist verständlich, dass viele Student*innen keine finanzielle Spenden leisten können, doch ist es immer möglich, mit ihrer Zeit zu helfen, wozu auch ehrenamtliche Aktivitäten zählen. 

Wurden ukrainische Geflüchtete an der Humboldt Universität gut aufgenommen? 

Zu den Student*innen an der Humboldt-Universität liegen mir tatsächlich keine Informationen vor. Aber es gibt Berichte über ukrainische Geflüchtete, welche an anderen Universitäten aufgenommen wurden, wie zum Beispiel der Viadrina, und sich durchaus wohlfühlen. Probleme gibt es jedoch bei der Informationsweitergabe. Viele wussten vor allem zu Anfang nicht, welche Unterlagen sie zum Studienbeginn benötigen. Oftmals kam auch die Frage auf, was man tun soll, wenn man während des Semesters flieht, daher fänden wir auch Überbrückungsprogramme angemessen. Eine große Hilfe an den Universitäten waren jedenfalls die Sprachkurse, die den ukrainischen Student*innen zahlreich angeboten wurden, sowie Workshops, welche in ukrainischer und englischer Sprache zur Verfügung standen. 

Gibt es ausreichende psychologische Angebote für traumatisierte Geflüchtete? 

Es gibt einige Angebote, zum Beispiel die Nummer gegen Kummer – mittlerweile auch auf ukrainisch. Daneben gibt es weitere diverse Hotlines und psychologische Beratungsangebote. Das Problem ist eher, dass viele Geflüchtete diese nicht wahrnehmen. Zum einen trauen sich die Menschen nicht, diese Angebote wahrzunehmen oder wollen sich auch gar nicht damit auseinandersetzen, da sie durch die psychologische Aufarbeitung die Wunde erneut aufreißen würden, was sie dabei behindert, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden. Es gibt daher viele Angebote, doch viele nehmen diese nicht wahr, da sie gar nicht merken, dass sie Hilfe brauchen. Genau wie in Deutschland, existiert auch in der Ukraine ein Stigma gegenüber mentalen Problemen. Dazu kommt, dass viele sich auch schuldig fühlen, dass sie überhaupt gegangen sind. Was sie damit meinen, ist: Es geht uns ja sowieso gut hier, wieso sollte ich jetzt zum Psychologen gehen. 

Russische Propaganda hat es durch Fake News medial bis nach Deutschland geschafft, wird Vitsche damit auch konfrontiert? 

Nach der Demonstration letztes Jahr vor dem Russischen Haus hatten wir gesehen, dass Journalist*innen, die darüber informiert hatten, später von „Russia Today“ in Artikeln beleidigt wurden, sogar Schmährede betrieben worden war. In dem Artikel von Russia Today wurde Vitsche auch genannt. Man hat uns quasi als  Personen dargestellt, die sich bloß Ukrainer nennen und nur Hass verbreiten wollen. Wir haben auch erfahren, dass zwei weitere Journalist*innen persönlich bedroht worden waren, nachdem Sie darüber berichtet hatten. Wir sehen immer wieder, dass russische Propaganda unsere Aktionen aufgreift. Wir bekommen auch immer wieder Drohungen, zu Anfang der Invasion war das noch schlimmer. 

Ist Vitsche mit den Hilfen militärischer und humanitärer Art von Deutschland zufrieden? 

Von humanitärer Art her kann man sagen, dass Ukrainer wirklich dankbar dafür sind, was Deutschland getan hat. Ich meine, Deutschland hat über eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Darüber gabs auch keine große Diskussion. Klar, es gab auch Komplikationen, zum Beispiel, dass die Zivilgesellschaft sehr viel leisten musste, bevor der Staat einspringt. Trotzdem war es eine große Leistung, dass man so viele Leute aufgenommen hat. Das war leider bei den Geflüchteten 2015 anders, alles lief sehr viel einfacher im Vergleich dazu. Die humanitäre Hilfe an die Ukraine ist auch gut gelaufen. Da gab es immer sehr viel Unterstützung, zum Beispiel bei der Energieinfrastruktur. Bei der militärischen Hilfe ist Deutschland vom absoluten Wert auf dritter Stelle. Da muss man sagen, dass Deutschland eines der reichsten Länder ist und auch über eine große Rüstungsindustrie verfügt, daher könnte noch sehr viel mehr geschehen. Da ist auch, wo wir anmerken, dass wir uns wünschen würden, dass die ganzen Debatten über die Waffenlieferungen schneller gehen würden. Man muss sich das Ganze auch rational angucken und sagen: Ja, das können wir machen. Wir wollen den Leuten helfen. Man muss sehen, dass die Waffenlieferungen auch ihren Effekt haben. Durch die Lieferungen konnten die russischen Truppen in Charkiw und Cherson zurückgedrängt werden. Wir würden uns einfach wünschen, dass es mit der Lieferung schneller geht und die Panzer diesen oder nächsten Monat auch ankommen. 

Leider erzeugt die Debatte um Waffenlieferung einen großen Gegenwind in Deutschland. Wie bewerten Sie das? 

Für uns ist das sehr schwer.Es gibt immer wieder starke Angriffe auf die Ukraine und wenn ich dann Twitter öffne, sehe ich, wie Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer zu einer Kundgebung am 25. Februar aufrufen. Das heißt einen Tag nach dem Jahrestag der Invasion verlangen sie, dass praktisch keine Waffen mehr in die Ukraine geliefert werden. Stattdessen fordern sie Verhandlungen. Wenn man dann aber mit Ukrainer*innen spricht und sie fragt, was sie wollen, dann sagen sie: Nein, wir wollen erst Verhandlungen, wenn keine russischen Truppen mehr in der Ukraine sind. Das ist von 90% der Ukrainer*innen die Meinung. Sich dann von deutscher Seite hinzustellen und zu behaupten, wir wissen es besser und wir wollen jetzt, dass Verhandlungen geführt werden, obwohl wir ja nicht mal die Betroffenen sind, ist schwierig. Klar erlebt Deutschland auch die Konsequenzen des Kriegs, dass zum Beispiel die Gaspreise in die Höhe gestiegen sind. Das ist aber auch Resultat der Energiepolitik, die hier in den letzten 20 Jahren betrieben worden ist. Trotzdem sich dann dieses Recht herauszunehmen zu dirigieren, wie die Ukraine agieren soll, ist ignorant und zeigt, dass man gar nicht verstanden hat, wie dieser Krieg funktioniert. 

Viel Gegenwind kommt ja auch von der deutschen Bevölkerung, teilweise aus Angst, dass es zu einem dritten Weltkrieg kommt. Empfinden Sie  die Ängste der Deutschen als berechtigt? 

Ich finde es nachvollziehbar, da es ja von der deutschen Regierung teilweise so wiedergegeben wird. Es hieß ja die ganze Zeit, es könnten keine Panzer geliefert werden, da es zu einer Eskalation führen würde. Ist die Eskalation für Deutschland eingetreten? Nein. Die Eskalation findet gerade in der Ukraine statt. Die Bundesregierung müsste da anders kommunizieren. Viele wollen ja die Ukraine unterstützen, verstehen nur nicht, warum die Waffenlieferung so von Bedeutung ist. Aufgrund der Historie haben wir eine sehr pazifistische Gesellschaft in Deutschland. Das hat natürlich gute Seiten. Aber wenn man dann auf der anderen Seite diesen brutalen Angriffskrieg mit genozidalem Charakter hat , dann sollte man nicht einfach zugucken, sondern ein bisschen differenzierter an die Sache herangehen und sehen, dass sie Ukrainer*innen die Angegriffenen sind. Wir müssen sie unterstützen.


Foto: Chris Knickerbocker

Veranstaltungshinweis: 

Am 24.02.2023 um 16 Uhr findet ein Solidaritätsumzug für die Ukraine statt. Die Demonstration beginnt an der Karl Marx-Allee 34 und wird voraussichtlich um 18 Uhr am Platz des 18. März enden.