Nach der Maidanrevolution sollte so vieles besser werden: Rechtsstaatlichkeit, Demokratisierung und Transparenz. Korrupte Strukturen prägen die Ukraine trotzdem noch. Das prägt auch den Uni-Alltag, wenn Studis für Prüfungen Geld bezahlen müssen und alle, die können, das Land spätestens zum Masterstudium verlassen
Eine Studierendenquote von rund 80 Prozent und etwa doppelt so viele Hochschulen wie Deutschland: das ukrainische Bildungssystem scheint auf den ersten Blick vielversprechend. Vielen ukrainischen Universitäten wird allerdings Intransparenz und Korruption nachgesagt: Nicht selten könnten Noten gegen einen finanziellen Aufschlag aufgebessert oder ganze Abschlüsse erworben werden.
Alina, die ihren richtigen Namen nicht gedruckt sehen möchte, hat fünf Jahre lang Jura an der staatlichen National Transport University in Kiew studiert, eine Universität, die „in jedem Sinne postsowjetisch“ sei. Trotz Bestnoten erhielt sie an der Uni keinen staatlich finanzierten Masterplatz, da Plätze „durch Beziehungen auf höheren Ebenen“ gekauft werden müssten. Für den Master wechselte Alina deshalb an die ebenfalls staatliche Mohyla-Akademie, eine der wenigen Universitäten, an denen Korruption kein Thema sei.
Wer an einer ukrainischen Hochschule studiert, könne sich den korrupten Strukturen meist nur schwer entziehen, sagt Alina. „Es gab manche Dozenten, bei denen ohne Geld keine Prüfung möglich war“, erzählt sie, „das Geld wurde vor dem ganzen Kurs eingesammelt und weitergegeben. Ich war immer dagegen und habe so was nur zweimal gemacht, wenn es anders unmöglich schien.“
Wer Täter ist und wer Opfer ist, lässt sich in den korrupten Strukturen der Universitäten allerdings nicht immer eindeutig bestimmen. Wer die Schuldfrage klären will, darf den wirtschaftlichen Zustand der wissenschaftlichen Institutionen nicht außer Acht lassen. André Härtel ist seit September 2015 DAAD-Lektor für „Deutschland und Europastudien“ an der Kiewer Mohyla-Akademie. Täglich bekommt er die Arbeitsbedingungen im ukrainischen Wissenschaftsbetrieb mit – und findet teilweise Verständnis für das, was er als „inoffizielle Privatisierung der Lehre“ bezeichnet.
Wer kann, geht ins Ausland
Dozierende beziehen in der Regel Gehälter unter 200 Euro, zur Deckung ihrer Lebenserhaltungskosten sind sie deshalb oft auf zusätzliche Jobs angewiesen. Für Forschung bleibt selten Zeit – am Ende leidet die Qualität der Wissenschaft. Um vom Lehrberuf leben zu können, sei es für Dozierende oft der einzige Weg, für Prüfungsteilnahmen zusätzlich Geld zu verlangen. „Die Grenzen zu einer Korruption, die der schieren persönlichen Bereicherung dient, sind allerdings fließend“, sagt Härtel. Um solche Verbrechen zu verhindern und die Arbeitsbedingungen im wissenschaftlichen Betrieb zu verbessern, schlägt er eine offizielle Teilprivatisierung der Hochschulen vor. Geldtransfers würden ohnehin stattfinden, so ließen sie sich wenigstens besser nachvollziehen.
Alina promoviert inzwischen in Deutschland, für sie waren die korrupten Strukturen und der „schreckliche Zustand der Wissenschaft“ Grund genug, ihre wissenschaftliche Karriere ins Ausland zu verlegen. Sie ist nicht die einzige: Wer es sich leisten kann, geht spätestens für das Masterstudium ins Ausland. Hier sei Studieren zwar teurer, die Investition rentiere sich aber im Laufe des Lebens.
Korruption ist kein alleiniges Phänomen der ukrainischen Universitäten. Ob im Baugewerbe, in der Justiz und Polizei oder im Gesundheitssystem, sie untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in alle gesellschaftlichen oder staatlichen Institutionen und deren Funktionäre. Spätestens seit der Revolution 2014 ist die Korruptionsbekämpfung allerdings auf der Tagesordnung der politischen Reformer und Aktivist*innen angekommen.
In einem unscheinbaren Hinterhof liegt das Büro des Anti Corruption Action Centers (ACAC), eine ukrainische NGO, die sich den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen geschrieben hat. Seit 2014, seit dem Maidan, arbeitet die 27-jährige Aktivistin Tetjana Shevchuk hier daran, eines der ältestes politischen Übel dieses Landes unter Kontrolle zu bringen. Dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International zufolge ist die Ukraine eines der korruptesten Länder weltweit, nach Russland an zweiter Stelle in Europa. „Nicht umsonst ist die Korruptionsbekämpfung für die ukrainische Bevölkerung eines der wichtigsten politischen Ziele und auch für die EU und den IWF eine Voraussetzung für politische und finanzielle Unterstützung“, sagt Shevchuk.
Wer das eigene Geschäft und Vermögen schützen möchte, der gehe ins Parlament, sagt Shevchuk. Da es zuweilen Millionen von Dollar koste, um auf die Parteilisten zu kommen, sei die ukrainische Politik ein beliebtes Spielfeld von Vermögenden und Oligarchen. Sinnbildlich hierfür steht am Rande Kiews die sagenhafte Villa des ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Nachdem er als Folge des Euromaidans 2014 in die Flucht getrieben wurde, hinterließ er nicht nur eine marode Regierung, sondern auch ein absurdes Anwesen samt Golfplatz, Straußenfarm und eigenem Jagdgebiet.
Aus Macht wird Geld
„Geld ist Macht. Und mehr Macht heißt mehr Geld“, bestätigt Shevchuk. Doch mit finanziellen Aufwendungen lässt sich nicht nur politische Macht erringen. Ganz unmittelbar infiltriert Korruption staatliche Institutionen. Beispielhaft erzählt die Aktivistin von der medizinischen Universität in Odessa. Die Hochschule bekam für eine Modernisierung zehn Millionen Euro zugesprochen, wovon sich der Leiter vor Ort acht Millionen Euro zur persönlichen Bereicherung abzweigte. Lehre und Forschung gingen beinahe leer aus.
So ähnele die Korruptionsermittlung dem sprichwörtlichen Tropfen auf einem heißen Stein. Shevchuk vergleicht den Prozess mit dem Angeln: „Fange ich den großen Fisch, zeige ich ihn stolz umher, ehe ich ihn anschließend zurück ins Wasser werfe“. Effektive Verfolgung und harte Strafen seien die Ausnahme. Nichtsdestotrotz mache die Ukraine Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung, das Problembewusstsein der Bevölkerung sei gestiegen. Das ist nicht zuletzt auch ein Verdienst von Organisation wie des ACAC, die das Thema an die Öffentlichkeit und die Politik herantragen und Aufklärungsarbeit leisten.
Trotz oder wegen dieser Erfolge ist die Arbeit für die NGO, die durch Spenden, sowie EU- und US-Gelder finanziert wird, nicht immer leicht. Weiterhin sieht man sich als investigativer Journalist oder Aktivist, der seine Nase zu tief in das Dickicht der Oligarchie steckt, Druck ausgesetzt. Shevchuk erzählt, dass sie persönlich kein Opfer von Gewalt, Verfolgung oder Einschüchterungen wurde, aber das Risiko ihrer Arbeit stets als bedrohlichen Schatten im Hinterkopf behalte. „Menschen mit Ideen verlieren immer gegen Menschen mit viel Geld, insbesondere in ärmeren Ländern“, stellt sie achselzuckend fest.
Das fügt sich zu einem zwiespältigen Gesamtbild zusammen – die ukrainischen Institutionen sitzen in der Zwickmühle. Auf der einen Seite verlieren die verschiedenen Einrichtungen durch die grassierende Korruption an Glaubwürdigkeit, auf der anderen Seite sind viele der dort Beschäftigten auf die Erträge aus korrupten Praktiken angewiesen. Politische Machtgefälle können sich so, trotz einer immer sensibler werdenden Öffentlichkeit, weiter verfestigen.