Der Schwangerschaftsabbruch spaltet die Gesellschaft und bewegt die Studierenden der HU. Während die studentische Initiative Stimmrecht gegen Unrecht den Paragraphen 219a per Briefprotest abschaffen will, kämpfen die Medical Students for Choice dafür, dass der Schwangerschaftsabbruch überhaupt einen Platz auf dem Lehrplan des Medizinstudiums bekommt
Im Vergleich zu anderen medizinischen Eingriffen, kann eine Frau in Deutschland nicht öffentlich einsehen, welche Praxen den Schwangerschaftsabbruch durchführen. Für den Schwangerschaftsabbruch gilt aufgrund des Paragraphen 219a StGB ein sogenanntes „Werbeverbot“.
Eine absurde Situation, findet Marinus Fislage von den Kritischen Mediziner*innen der HU-Berlin. „Es geht hier um die Informationspflicht. Bei jedem anderen Eingriff habe ich die Pflicht als Arzt den Patienten zu informieren, genau so sollte es beim Schwangerschaftsabbruch auch sein“, sagt Marinus.
Rechtliche Grauzone
Was mit Ärzt*innen passiert, die auf Ihrer Webseite angeben, dass sie den Eingriff anbieten und über den Vorgang informieren, zeigt das Beispiel der Frauenärztin Kristina Hänel. Sie wurde im November 2017 vom Amtsgericht Gießen wegen „unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche“ zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Wer hatte Kristina Hänel angezeigt? „Es gibt religiöse Fanatiker in Deutschland, die es sich zum Hobby machen, Ärzt*innen rauszusuchen, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren, um sie dann zu verklagen“, erzählt Marinus. Das führe u.a. dazu, dass die Anzahl der Praxen in Deutschland, die den Eingriff durchführen seit 2003 um 40% gesunken sei. “Als angehende Ärzt*innen werden wir in eine totale Unsicherheit entlassen, wenn wir uns dafür entscheiden Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, wir befinden uns in einer rechtlichen Grauzone”, sagt Marinus.
Ihre im Gesetz verankerte Arztwahlfreiheit ist eingeschränkt: Wie können Patient*innen wählen zu welchem Arzt sie gehen wollen, wenn sie nicht wissen, wer überhaupt Abbrüche vornimmt?
„Lernt, was die Uni euch nicht lehrt“
Fred studiert wie Marinus Medizin an der Charité und ist Mitglied der feministischen Hochschulgruppe Medical Students for Choice Berlin (MSfC Berlin). Sie setzt sich gemeinsam mit ihren Kommiliton*innen dafür ein, dass der Schwangerschaftsabbruch an Universitäten gelehrt wird. Für Fred ist es ein Skandal, dass der Eingriff nicht Teil des Lehrplans im Medizinstudium ist, obwohl er einer der häufigsten chirurgischen Eingriffe in der Gynäkologie sei. 100.000 Abbrüche werden im Jahr vorgenommen.
Fred kritisiert, was sie strukturelle Diskriminierung von Frauenmedizin an der Charité nennt. „Man hört einfach nie was von Abtreibung im Studium“, sagt Fred. „Abtreibungen werden nur in der Pränataldiagnostik besprochen. Aber dann geht es nur um Spätabbrüche, dabei sind 96 Prozent aller Abbrüche ja die frühen“. Höchstens zehn Minuten habe die Studierenden während einer Vorlesung zur Pränataldiagnostik mit dem Professor über ethische und rechtliche Aspekte der „frühen“ Abbrüche geredet.
Als Alternative zur fehlenden Behandlung im Medizi Lehrplan, organisierte die MSfC Berlin den sogenannten „Papaya-Workshop“. Unter Anleitung erfahrener Gynäkolog*innen konnten die Studierenden den Schwangerschaftsabbruch mit Hilfe einer Papaya lernen. Die Papaya ist von der Größe und Konsistenz der Gebärmutter sehr ähnlich. Nicht nur das Interesse der Studierenden war groß, der Workshop lockte viele Journalist*innen in den Berliner Seminarraum. Der Papaya-Workshop wurde bundesweit in den Medien besprochen – gelungene PR.
Anfeindungen von sogenannten “Lebensschützern”
„Gegner unseres Workshops sagten, dass wir Abbrüche verharmlosen würden. Wir werden so dargestellt, als würden wir unbedingt viele Schwangerschaftsabbrüche durchführen wollen. Das stimmt aber nicht. Wir sind einfach dafür, dass die Frau selbst entscheiden darf, ob sie das Kind austragen möchte oder nicht. Deshalb stehen wir für Pro-Choice”, sagt Fred.
Es habe auch Gegenwind von konservativen Professor*innen gegeben, die Suche nach einem Raum für den nächsten Workshop gestaltete sich schwierig. Dabei ist das Interesse an dem Workshop gewachsen, obwohl, so Fred, die meisten Medizinstudierenden ziemlich unpolitisch seien.
Was macht die Politik?
Im Dezember kündigte die Bundesregierung eine baldige Reformierung des Paragraphen 219a an. Nach über einjähriger Verhandlung einigte sich die Minister*innenrunde mit Jens Spahn (CDU), Franziska Giffey (SPD), Horst Seehofer (CSU), Katharina Barley (SPD) und Holger Braun (CDU) auf ein Eckpunktepapier. Der “Kompromiss” sieht keine Streichung des Paragraphen vor, sondern eine Ergänzung. Es soll rechtlich ausformuliert werden, wie Ärzt*innen und Krankenhäuser über ihre Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen informieren. “Flächendeckende Information” soll mithilfe von Kontaktlisten durch staatliche Institutionen gewährleistet werden.
Stimmrecht gegen Unrecht
Der politische Kompromiss geht dem HU-Kollektiv Stimmrecht gegen Unrecht nicht weit genug. Lea, Svenja, Inga und Hannah haben die Initiative gegründet. “Wir wollen, dass der Paragraph 219a abgeschafft wird”, sagt Lea.
Der Paragraph 219a sei dabei nur ein Auswuchs der frauenfeindlichen Gesetzgebung in Deutschland. Neben dem Werbeverbot (Paragraph 219a), müsse auch der Schwangerschaftsabbruch an sich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden, sagen sie. Hannah und Lea argumentieren, dass der Schwangerschaftsabbruch alleine schon dadurch ein negatives “Framing” erhalte, weil er im Strafgesetzbuch stünde. Das müsse aufhören.
In einer feministischen Sommeruni habe eine Dozentin erklärt, dass der wirksamste Protest sei, sich per Brief an Abgeordnete zu wenden. Deswegen gründeten die vier jungen Studentinnen Stimmrecht gegen Unrecht. Sie fingen an, Briefe an Minister*innen und Abgeordnete zu schreiben. Seit November trifft sich die Initiative wöchentlich. “Jetzt sind wir sieben Leute, ein loses Kollektiv”, sagt Hannah. Sie warben Freunde und Bekannte für ihren Protest, und zwar so erfolgreich, dass sie im Oktober 2018 ihre erste offizielle Aktion am Campus starteten.
Sie druckten vorformulierte, zum Unterschreiben bereite Anschreiben, kauften aus eigener Tasche Briefumschläge, backten Kuchen und stellten sich am 31.10.2018 in das Foyer der Dorotheenstraße 24. Am Ende des Tages konnten sie 1300 unterschriebene Briefe zum Bundestag bringen. Lea sagt, sie haben lange überlegt, an wen sie ihre Briefe adressieren sollten. Wo würde es sich lohnen, Druck auszuüben? Am Ende entschieden sie sich für die SPD-Politikerinnen Andrea Nahles, Eva Högl, Katharina Barley und Franziska Giffey und appellierten in ihren Anschreiben an ihre sozialdemokratischen Werte. Als einzige antwortete Eva Högl, in ihrem Brief verspricht sie, “sich weiterhin für eine schnelle Lösung im Sinne der schwangeren Frauen und betroffenen Ärzt*innen einzusetzen”.
Im Januar 2019 wiederholte “Stimmrecht gegen Unrecht” die Aktion, online stellten sie Briefvorlagen bereit, bauten Kontakte zu anderen Unis auf, in der Hoffnung, ihren Briefprotest in andere Städte zu tragen.
Ende Januar 2019 legte die Bundesregierung einen neuen Referentenentwurf vor. Darin bleibt das Werbeverbot bestehen, der Paragraph 291a würde aber ergänzt. “Stimmrecht gegen Unrecht” bleibt also nur noch kurze Zeit um die Studis der HU zu mobilisieren, bevor der Bundestag einer Ergänzung des Paragraphen 219a zustimmt.