In Zoom-Konferenzen werden sich kommendes Semester die Studierenden nur so tummeln, doch wie ergeht es den Neuankömmlingen an der Humboldt Universität (HU)? Am Institut für Islamische Theologie konnte das komplette Lehrangebot übernommen werden, doch läuft auch hier nicht alles rund.
In einem riesigen Vorlesungssaal des Hauptgebäudes der Humboldt Universität (HU) saß ich damals – Wintersemester 2017/2018 – noch mit Stift und Hausaufgabenheft bewaffnet im Einführungskurs, bereit mir beibringen zu lassen, wie ich meinen Stundenplan online zusammenbaue. Einen Computer zur direkten Anwendung hatten nur die wenigsten in dem bis auf den letzten Stuhl besetzten Saal. Im Anschluss hetzte ich zum nächsten Raum, in dem ich mit 200 weitere Studierenden von der Fachschaft herzlich begrüßt wurde.
Zwar beginnen die neuen Jahrgänge meist zum Wintersemester hin, doch gibt es einige Studiengänge, die zum April für frische Studierende ihre Tore öffnen. Deren Fachschaften haben schon vor der Corona-Pandemie angefangen, Einführungsveranstaltungen, Kneipentouren sowie Brunchs zu organisieren. Jene konnten nur notdürftig über Zoom nachgeholt werden, fallen nun ins Wasser oder werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Viele Anfragen erreichen die Fachschaften, in denen Studienanfänger*innen nach dem Ablauf des Studienbeginns und der Gestaltung von Lehrveranstaltungen fragen und wie sie an aktuelle Informationen kommen sollen.
Hilfe den Erstsemestern
Auch am Institut für Islamische Theologie musste die ursprünglich für den 08. April geplante Einführungsveranstaltung abgesagt werden. Eine Fachschaft, an die man sich hätte wenden können, hat sich an dem im Wintersemester neu gegründeten Institut noch nicht gebildet – der Referent für Studium und Lehre, Benjamin Wolff, nimmt die Dinge nicht nur deshalb selbst in die Hand. Er erstellt einen Moodle-Kurs, in dem Studienanfänger*innen die wichtigsten Informationen zum Studienstart erhalten sollen. „Zum einen sollen wesentliche Informationen bereitgestellt, zum anderen die Möglichkeit geboten werden Fragen zum Studium zu stellen und einen Raum für Diskussionen zu schaffen“, so Wolff über einen Kurs, der im Vorlesungsverzeichnis auftaucht, sodass Studierende schnell darauf stoßen könnten.
Bei Taleh Akdeniz, angehender Student für Islamische Theologie, war dem nicht so. Erst im Interview erfährt er von dem Moodle-Kurs und wird sich die kommenden Tage dazu schlau machen. Er hatte, so gut es eben ging, sich seinen Plan selbst zusammengestellt. Trotzdem musste er sich Hilfe bei Herrn Wolff holen, da er noch Probleme hatte. Von sich sagt er, er sei wenig aufgeschlossen für neue Personen, „was die Kommunikation mit meinen zukünftigen Kommilitonen betrifft, bin ich leider noch etwas zurückhaltend.“ Echter sozialer Kontakt mit anderen Studienanfänger*innen hätte ihm vielleicht geholfen, doch in Zeiten der Digitalen Lehre kann er auf jenen lediglich hoffen. Ein Beschnuppern anderer, wie es mir damals ermöglicht wurde, bleibt ihm verwehrt.
Dass die komplette Umstellung auf Online-Lehre nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Universität außergewöhnlich sei, dafür will Wolff neu immatrikulierte Studierende sensibilisieren. Umso wichtiger sei demnach, auch direkt mit Dozierenden in Kontakt zu treten, wenn Dinge unklar sind oder nicht direkt so funktionieren, wie man es sich vorgestellt hätte. „Erfahrungsgemäß haben gerade Studienanfänger*innen noch eine große Scheu, sich direkt an Dozierende zu wenden“, so weiß auch Taleh die Hilfe des Referenten zu schätzen. Studierende, die befürchten, das Studium wegen der Krise nicht anfangen zu können, hätten sich bei ihm bislang noch nicht gemeldet.
Gewappnet für die Digitale Lehre?
Angst, sein Studium nicht antreten zu können, hatte Taleh nie. Schon während seines Abiturs, schlug seine Schule vor, den Unterricht per Video-Chat fortführen zu können, sie hatten mit hygienischen Problemen zu kämpfen. Mit Digitaler Lehre hatte er schon vor dem kommenden Online-Semester Berührungspunkte. Seinen Studienbeginn zu verschieben, würde ihm nur selbst schaden, da er in einem gewissen Alter sein Studium beenden möchte. „Man weiß nie genau, was einem der morgige Tag bringen wird. Jederzeit könnte sich die Lebenssituationen so dermaßen ändern, dass man daran gebunden ist und sie nicht mehr ändern kann.“
Die Vizepräsidentin für Studium und Lehre, Eva Inés Obergfell, erklärte in einem älteren Rundschreiben, allen sei die erbrachte Leistung für die Humboldt-Universität in diesen auch persönlich belastenden Zeiten bewusst und keineswegs selbstverständlich. So wünscht sich auch Taleh, er hätte abseits des Studiums keine weiteren Probleme, die ihn an voller Konzentration hindern und somit den Weg zu seinem gewünschten Ziel verbauen. Doch sieht er keinen Nachteil darin, sein Studium mit diesem Sommersemester zu beginnen.
Wahrscheinlich auch wegen des Bemühens um größtmögliche Kulanz und Verlässlichkeit, was laut Obergfell der eigene Anspruch der Hochschulen sei. Die Umstellung würde immer wieder Überprüfungen und Nachsteuerungen erfordern. Möglichkeiten zur Durchführung von Online-Prüfungen und, sobald wieder möglich, Präsenzprüfungen bereite man vor, die entsprechenden Termine würden selbstverständlich rechtzeitig kommuniziert.
Keine Kommunikation mit der Unileitung
Doch scheint gerade Kommunikation in diesen Tagen nicht selbstverständlich. Zur Koordination und Begleitung der Umstellung auf die digitale Lehre wurde eine Taskforce gegründet, die Handreichungen und Schulungen vorbereiten sowie Studierende und Lehrende sowohl didaktisch als auch technisch unterstützen solle. Von solch einer Gruppe hört Taleh im Interview das erste Mal, doch sei er, was das technische Know-How anbelangt, gut aufgestellt.
Am Institut für Islamische Theologie konnte man das komplette Lehrangebot im Sommersemester digital anbieten, so Wolff. Wichtige Informationen und Möglichkeiten der digitalen Lehre leite der Referent an die Lehrenden weiter – sie selbst sind wohl besser vernetzt. „Inwiefern wir auf Improvisationen angewiesen sein werden, wird sich zeigen“, doch sei es laut Wolff ratsam, eine Hi-Tech- und Low-Tech-Variante parat zu haben.
Das Institut, an dem darüber hinaus ein tendenziell jüngeres Team forscht, ist eher klein. Fällt der Blick auf andere Institute, lässt sich kaum verbergen, dass Veranstaltungen, für die sich Studierende eingeschrieben haben, kurzfristig wieder abgesagt wurden. Ein digitales Angebot konnte nicht auf die Beine gestellt werden.
Niemandem solle ein Nachteil daraus entstehen, dass Lehrveranstaltungen oder Prüfungen, die nicht digital durchgeführt werden können, zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden müssen, so die Vizepräsidentin. Derzeit erreichen den RefRat viele Mails von Studierenden, die nicht wissen wie sie ihr Studium finanzieren und etwa den Semesterbeitrag zahlen sollen. „Von verschieben Wollen des Studienbeginns kann keine Rede sein, es geht hier eher ums Müssen. Fehlende finanzielle Mittel und das fehlende Studienangebot zwingen Studierende geradezu, ihr Studium zu unterbrechen oder sogar aufzugeben.“ Über BaföG wird Taleh sein Studium wohl finanzieren können, „und wenn man mal eine Scheibe Brot weniger isst, weil man mit einem Freund teilt, dann ist das auch in Ordnung.“
Sommersemester immer noch in der Schwebe
Auf die hohe Zahl an Studierenden in finanzieller Notlage macht der RefRat aufmerksam, in dem er die sofortige Sicherung der Studienfinanzierung fordert. Der bereits ausgeschöpfte Nothilfefond des studierendenWERK BERLIN sein ein Witz. Die Rücksicht auf Lebensrealitäten von Studierenden falle über den Rücken – was einerseits daher rührt, dass die Unileitung entgegen ihrer Verpflichtung den RefRat nicht einbezieht. Andererseits begründet es sich darin, dass auch Fachschaften nicht im Austausch mit dem Pandemiestab stehen würden.
„Wir erhalten nur selten Informationen, die über das hinausgehen, was ohnehin durch Medien und Universitätsleitung bereits an die Studierenden herangetragen wurde“, so die Fachschaft am Nordeuropa Institut. In dem Rundschreiben bleibt auch der Vizepräsidentin nichts anderes übrig, als darauf zu verweisen, dass weitere offene Fragen zu den Themen BAföG, Krankenversicherung, Kindergeld und Notfonds für Studierende auf Bundesebene geklärt würden.
Trotz aller Unklarheiten bleibt Wolff optimistisch und überzeugt, dass viele Erfahrungswerte generiert würden, die auch für die Lehre in folgenden Semestern wertvoll sein werden. Wie Taleh in dem kommenden Sommersemester einen kühlen Kopf bewahre? Parallel zur Video-Lehrstunde könnte es ihm helfen, seinen Lieblingstee zu trinken oder aber Musik leise im Hintergrund laufen zu lassen. „Ob sich der Aufwand einer digitalen Lehre lohnen wird, das werde ich erst nach diesem Semester beurteilen können.“