Die Semesterferien sind bis zum 20. April verlängert. Kanzleramtschef Helge Braun möchte bis dahin auch nicht darüber sprechen, wie lange es noch nötig sein wird, das öffentliche Leben so gravierend einzuschränken, wie es jetzt der Fall ist. Nicht, dass sich da bisher viele dran gehalten hätten. Für Berliner Studierende gibt es nun immerhin die Gewissheit des Semesterbeginns zum gesetzten Datum. Die Frage, die bis zuletzt noch offen blieb – die nach dem digitalen Lehrbetrieb – ist seit kurzem nun vom Präsidium als die absehbare Lösung bestätigt. Vorlesungen, nun womöglich auf YouTube? Seminare, womöglich über Videochat-Dienste, wie Zoom?
Diese Realität, die allzu fern schien, wenn man sich durch verstaubte, eher
bürokratische Dienste wie Agnes klickte, wird nun bald Realität – Sie wird es jetzt
einfach müssen. Wenn, im besten Szenario, nämlich zum 20. April, die
Kontaktsperre gelockert werden kann – woran man zweifeln darf – dann wird
niemand in der großen Politik bestimmt allzu schnell mit der faktischen Forderung
um die Ecke kommen: Bitte, lasst uns doch wieder einige hundert Leute gleichzeitig
in schlecht durchlüftete Säle setzen.
Es ist also Zeit für alle Beteiligten sich mit den Möglichkeiten der digitalen Lehre zu
beschäftigen. Zeit für die „Übersetzung bisheriger Lehrveranstaltungen in digitale
Formate“, wie Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt Universität Berlin (HU), das
ausdrückt. Die Möglichkeiten sind prinzipiell natürlich recht reichhaltig. Alle
Studierenden haben sich sicherlich schon einmal Videos von ihren Vorlesungen
gewünscht. Doch auch wenn man im Institut für Sozialwissenschaften zuletzt von
Vorbereitungen für standardmäßige Aufzeichnungen vernahm und Moodle sich ganz
gut bedienen lässt: Wirkliche digitale Lehre gehört einfach noch nicht zum
Studienalltag.
Doch wieso eigentlich nicht? Liegt in dieser Situation, auch wenn sie von den
tragischen Vorgängen einer Pandemie angetrieben wird, nicht eine große Chance?
Eine Chance kreativ zu werden, Scheu abzulegen, auszuprobieren und aufzuholen.
Andreas Goroncy, Zuständiger für Videokonferenzen beim Computer- und
Medienservice (CMS) der HU, sieht es als eine solche. Er ist Teil des Teams, das
bereits vor Wochen anfing, für den Fall der Fälle, an den technischen
Gegebenheiten für einen digitalen Lehrbetrieb zu arbeiten.
Digitalkompetenzen von allen gefordert
Dabei organisiert der CMS die Werkzeuge, auf die die Lehrenden dann zugreifen
können. Organisiert werden unter anderem Lösungen für Videokonferenzen, die
kleinere Seminare und Besprechungen ersetzen könnten. Dabei werden gleich eine
Hand voll an Diensten in Betracht gezogen, da möglichen Überlastungen, in der
Ausnahmesituation vorgebeugt werden soll. Ein Programm zur Aufnahme von
Video-Vorlesungen, mithilfe von Bildschirmaufnahmen, ist bereits angekauft.
In Sachen Hardware wurden Headsets und Webcams des Herstellers Logitech
angeliefert. In der Beschaffung konkurriert der CMS allerdings mit der freien
Wirtschaft und Lieferketten sind unterbrochen. Man habe, so Goroncy, deshalb
leider noch nicht so viel Technik einkaufen können, wie gewollt ist. Es bleibt also zu
hoffen, dass Lehrinhalte in einer hohen Audio und Bildqualität, auf den studentischen
Endgeräten ankommen werden.
Wenn das Sommersemester zum 20. April beginnt, dann wird plötzlich eine
immense Digitalkompetenz abgefragt. Nicht nur von den Dozierenden, die für ihre
Fachrichtung und Unterrichtsstile passende Lösungen finden müssen, sondern auch
für uns Studierende. Gut möglich ist, dass gleich mehrere neue Programme vorab
gedownloadet, begutachtet, eingestellt werden müssten. Es kämen dann zum
Beispiel Fragen danach auf, wie gut das eigene Mikro am Laptop noch gleich ist.
Schließlich würde man mit einem ekligen Rauschen nicht alle vergraulen wollen.
Und wo setzt man sich, beim schlechten WG-Wlan, denn am besten hin, um an
einem Videoseminar teilzunehmen?
Zwar werden die durchschnittlichen Studierenden sich besser mit der digitalen
Infrastruktur des Mainstreams auskennen als so manch ein Professor, die
Komplexität des fachspezifischen Agnes wird Erstsemestern von diesen allerdings
nicht umsonst als hoch beigebracht. Und auch wenn der CMS Möglichkeiten
erarbeitet, um die Lehre weitergehen zu lassen, welche von den Lehrenden genutzt
werden, ist immer noch ihnen überlassen. Andreas Goroncy meint dazu:
„Grundsätzlich stellt sich wie bisher auch die Frage, ob die Technik der Didaktik
folgen sollte, oder die Didaktik der Technik“. Eine schwierige Frage, in einer Zeit in
der Technik alles zu sein scheint.
Videoseminare als Bewährungsprobe
Zumindest ein wenig Einheitlichkeit, in der Nutzung der Dienste, wäre sicherlich
sinnvoll. Niemand wird sich schließlich gezwungenermaßen mit zig neuen
Programmen beschäftigen wollen. Im schlimmsten Fall müsste man für
Videokonferenzen zwischen Skype, Zoom, einem von der Uni bereitgestellten Open
Source-Dienst und womöglich noch mehr hin und her springen. Auch könnten sich
Lehrende darin unterscheiden, welches Level an digitalen Lösungen sie umsetzen
wollen. Ob sie nun schriftlich Fragestellungen übermitteln, die sonst in einem
Grundkurs gefallen wären, oder sie in voller Länge im Videokonferenz-Grundkurs
ausdiskutieren lassen.
Goroncy vernimmt aus den Instituten allerdings echtes Bestreben, die eigenen
Digitalkompetenzen zu bündeln, Punkte an denen man sich noch schwach fühlt mit
dem CMS abzusprechen und Einheitlichkeit für die Studierenden zu schaffen. Nach
der Ausnahmesituation werde man dann sehen können, welche Teile des
Provisoriums den normalen Lehrbetrieb sinnvoll ergänzen könnten. Unterschiede im
Lehrstil der Dozierenden, sieht er ohnehin auch bei Präsenzlehre gegeben.
Nicht jedem Dozierenden passt es jedoch, wenn die eigene Vorlesung aufgezeichnet
wird. Prof. Dr. Stephan Bröchler, der im vergangenen Semester die Professur für
Innenpolitik innehatte, mahnte seine Studierenden vor einigen Monat: „Damit wir uns alle weiterhin offen austauschen können, ist es nicht möglich, die Vorlesung
aufzunehmen“. Die Videoseminare könnten durchaus zur Bewährungsprobe für
offene Meinungsäußerungen an deutschen Universitäten werden. Mitschnitte sind in
der digitalen Lehre schließlich auch unbemerkt möglich oder gar der eigentliche
Lehrinhalt.
Was bleibt bei der Perspektive von digitaler Lehre, in Zeiten von Corona, also zu
bedenken? Zum einen die Gemütlichkeit die das Lernen Zuhause haben kann. Auf
die Couch oder das Bett gefläzt, mit ausreichend Netz vielleicht sogar auf den
Balkon, könnte es, bei warmen Temperaturen, nicht allzu unangenehm werden.
Andererseits ist vielleicht gerade eine unbequeme Holzbank, in den älteren
Gebäuden oder die Gedrängtheit überall eine echte Motivation.
Definitiv wird aber, wie ohnehin schon in diesen Tagen, der soziale Aspekt fehlen. Keine
Kommiliton*innen, die einander davon abhalten aufzupassen oder daran erinnern,
keine Gespräche auf den Gängen, kein freudiges Geklirre in der Mensa und kein
mentaler Marathonlauf in der Bibliothek. Doch HU-Präsidentin Kunst geht sogar so
weit die neuartige Situation als Chance die „Modelle für die Zukunft der Lehre zu
schaffen“ zu bezeichnen. Vielleicht werden wir letzten Endes also profitieren und
gemeinsam mit den Dozierenden die Universität der Zukunft gestalten.