Was passiert mit den Grundrechten im Zeitalter der Digitalisierung? Katarina Barley, Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, sprach am Dienstagabend im Senatssaal der Humboldt Universität über die Chancen und Risiken unserer Grundrechte in einer digitalen Welt. Eingeladen hatte Prof. Dr. Michael Kloepfer vom Institut für Gesetzgebung und Verfassung
Das Internet sei kein rechtsfreier Raum, stellt Barley zu Beginn des Vortrages fest: „Das Recht gilt, wir müssen es nur durchsetzen. Das ist dann schon schwieriger.“ Die Probleme der Digitalisierung seien aber mit unserem bestehenden Grundrecht lösbar. Für die Justizministerin sind die Grundrechte unveränderbare Werteentscheidungen und das Grundgesetz etwas Beständiges. In der schnelllebigen Welt des Digitalen wird die Gesetzgebung immer hinterherhinken. Als Beispiel benennt Barley die Datenschutzgrundverordnung, die bis zu ihrem Inkrafttreten acht Jahre in der Entwicklung war.
Algorithmen sind nicht strafmündig
Im Verlauf des Abends bringt sie immer wieder Beispiele, um die Chancen und Risiken der Digitalisierung zu veranschaulichen. So auch das eines selbstfahrenden Autos, welches einen Unfall baut. Hier zeigen sich die Konsequenzen der Digitalisierung für die Rechtsprechung, denn wer hat in diesem Fall die straf- oder zivilrechtliche Verantwortung? Grundrechte können zwar eingeklagt werden, allerdings sind weder das Auto noch der steuernde Algorithmus strafmündig.
Auch im Bereich human resources sieht Barley große Chancen durch den Digitalisierungsprozess. Unbewusste Vorurteile könnten wegrationalisiert werden. Doch auch hier ist Vorsicht geboten, wie ihr Beispiel eines Amazon-Testlaufs beweist: Zwar wurden die Bewerber*innen nur noch aufgrund ihrer Fähigkeiten bewertet, durch die Auswertung der Genderquoten der bisherigen Angestellten entwickelte das Programm jedoch selbstständig eine Präferenz für männliche Bewerber. Es müssen also neue Möglichkeiten der Überprüfung geschaffen werden, sodass transparent nachverfolgt werden kann, welche Kriterien einem Algorithmus zugrunde liegen, um Diskriminierung zu verhindern. Dafür braucht es auch international verbindliche Absprachen. Insgesamt seien die Fragen und Probleme der Digitalisierung nur international zu lösen – das Internet hieße schließlich auch „world wide web“. Datenschutz sei dabei „ein Mittel zur Versicherung von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung“.
Ministerien im Einklang
Der relativ kurze Vortrag Barleys dürfte nur für Neulinge auf dem Gebiet der Digitalisierung grundlegend neue Informationen enthalten haben. Die darauffolgende Diskussionsrunde ist allerdings deutlich belebter, die Justizministerin blüht förmlich auf. Die seltene Chance, der Bundesministerin persönlich eine Frage zu stellen, wird bereitwillig wahrgenommen.
Auf die Frage hin, ob die Ministerien untereinander denn gut zusammenarbeiten, antwortet sie positiv. Barley bezeichnet sich selbst als Spaßbremse im Bundeskabinett, da sie häufiger Bedenken für den Datenschutz äußere als andere Ministerien. Außerdem gebe es viel Lobbyismus gegen Datenschutz. Ein eigenes Ministerium für Digitales lehnt sie momentan eher ab, da es bereits eine Staatsministerin für Digitales gibt, die allerdings nur wenige Kompetenzen innehält.
Vertrauen in die junge Generation
Eine weitere Frage beschäftigt sich mit der Balance zwischen der Einhaltung von Grundrechten und dem Anschluss an den internationalen Fortschritt. Barley entgegnet, dass es trotz der Schutzmaßnahmen immer noch genügend Daten zur Analyse gebe. Das wirkliche Problem sei, dass es noch keine Regelung für die Anonymisierung von Daten gibt. Auf Fragen nach dem Stellenabbau durch Digitalisierung und Schwierigkeiten der älteren Generation, stellt die Ministerin klar, dass es trotz aller Entwicklung ein Recht auf Nichtbeteiligung geben muss. Des Weiteren seien die Zahlen der Jobwegfälle und Neuschaffungen ungefähr gleich, klar sei jedoch die unterschiedliche Qualifikation beider Seiten. Hierbei vertraut sie auf die junge Generation, die im Digitalbereich einen schnellen Lerneffekt habe. Auf die abschließende Nachfrage nach den Chancen der Digitalisierung, antwortet die Justizministerin mit zwei Punkten: Erstens Teilhabe und zweitens der Gelichbehandlungsgrundsatz, die ihrer Meinung nach die größten Vorteile darstellen.
Mit großem Applaus wird Katarina Barley verabschiedet, die sich sogar mehr Zeit als geplant für die Diskussion mit den Anwesenden genommen hat.
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