Ein Rundgang durch eine vergessene Welt
Hotel Jugoslavija ist ein Film über ein Phantom, das eine ganze Region noch bis heute beschäftigt. Eine Idee, die im Albtraum endete und deren brutales Ende bis heute nicht aufgearbeitet ist – die sozialistische Republik Jugoslawien. Der Film nähert sich diesem Phantom anhand seines Gegenstandes, dem Hotel Jugoslavija
In den 1970er-Jahren im Zuge des sozialistischen Neubeginns zusammen mit großen Wohnungsbauprojekten errichtet, war es für Jahrzehnte das bekannteste Gästehaus in Jugoslawien. Im Kosovokrieg der 1990er-Jahre von Nato Bomben getroffen und Anfang der 2000er-Jahre notdürftig wiederaufgebaut, spiegelt das Hotel die Geschichte Jugoslawiens wieder. Eine Erzählung von einem hoffnungsvollen Aufbruch, einsetzender Ernüchterung, letztlicher Zerstörung und beginnendem Wiederaufbau. Doch der Film nimmt das Hotel nicht als Ausgangspunkt für eine Infotainment-Dokumentation im ZDF-History-Stil Guido Knopps, sondern erzählt eine persönliche Geschichte.
Der Schweizer Filmemacher Nicolas Wagniéres wurde auf das Hotel auf einer Reise in das Heimatland seiner Mutter aufmerksam und kam über mehrere Jahre immer wieder zurück, um die Ruine zu filmen und die Geschichte hinter der heute verlassenen Kulisse zu erkunden. Der Film ist folglich voller Lücken und Leerstellen, wirkt eher wie ein persönlicher, assoziativer Video-Essay, als wie eine detaillierte Dokumentation mit pädagogischem Ziel. Mit langen Kamerafahrten erkundet der Film das in Belgrad stehende Zeugnis einer einst erhofften Zukunft.
Es ist die Suche einer Einzelperson nach Antworten. Was war dieses Jugoslawien und was ist von ihm übrig? Was bedeutet es, wenn ein Land aufhört zu existieren? Dieser Ansatz hat Stärken und Schwächen. Für Uneingeweihte, die sich vorher nie mit der Region oder Jugoslawien als politischem Komplex befasst haben, wirken einige Einstellungen und Szenen rätselhaft. Ein Beispiel, das die Eigenart des Films verdeutlicht, ist eine Szene, in der nach der partiellen Zerstörung des Hotels Bauarbeiter Mauern mit Hämmern einreißen. Im Hintergrund hört man eine politische Rede im Originalton, die auf Englisch
untertitelt ist und in der es um politischen Aufbruch und Erneuerung geht. Der Name des Redners wird nicht komplett genannt. Nur für Eingeweihte ist ersichtlich, dass es sich bei dem Politiker mit dem genannten Vornamen Boris um Boris Tadić handelt, lange Jahre Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Serbiens und zusammen mit seinem Vorgänger Zoran Đinđić bekannt für den Ansatz einer proeuropäischen Reformpolitik nach den Balkankriegen.
Keine klassische Dokumentation
Die Szene geht über in Actionsequenzen eines Films aus den 2000er-Jahren, der vor dem Eingang des ikonischen Hotels eine schnell geschnittene Schießerei inszeniert. Nur wer weiß, das Zoran Đinđić, als amtierender Ministerpräsident 2003 auf offener Straße erschossen wurde, erkennt das Narrativ des Regisseurs von einem mit Gewalt verhinderten Neuanfang. So verkopft ist der Film nicht immer, aber wer sich ins Programmkino begibt, sollte keine klassische Dokumentation erwarten. Nicolas Wagniéres webt Archivaufnahmen und selbst produzierte Bilder kommentarlos zusammen, mischt lange Einstellungen mit Interviews und schreckt, wie oben beschrieben, auch vor metaphorischen Text-Bild-Verhältnissen nicht zurück. Das ist künstlerisch anspruchsvoll und durchaus interessant.
Der Zuschauer ist jedoch aktiv zur Teilnahme aufgefordert und sollte im Idealfall einiges an Vorwissen mitbringen, um den Film auch in seiner komplexen Metaphorik zu würdigen. Auf ästhetischer Ebene ist der Film gelungen. Insbesondere die Aufnahmen, die Wagniéres bei seinen Besuchen selbst von dem Gebäude gemacht hat, wirken auch aufgrund ihrer Langsamkeit wie ein melancholischer Rundgang durch eine vergessene Welt. Was am Ende von Hotel Jugoslavija bleibt, sind offene Fragen und zugleich die Gewissheit, dass sie es wert sind, gestellt zu werden.
Foto © déjà-vu film
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