TW: Thematisierung sexueller Übergriffigkeit und Machtmissbrauch

Zwei Studentinnen beschuldigen einen Dozenten an der Humboldt-Universität der sexuellen Belästigung. Die Vorwürfe stehen schon lange im Raum, im Mai hat die HU mit Schutzmaßnahmen reagiert. Doch wie sicher fühlen sich Student*innen an der HU noch?

Ich bin nach Hause gekommen und habe mich schmutzig gefühlt, obwohl ich dafür nicht verantwortlich war. Ich habe sogar darüber nachgedacht, ob ich etwas gemacht haben könnte, das ihm die Signale vermittelt hat, dass er so mit mir reden könne. Und dann habe ich das einfach verdrängt und ich wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte. Es wird nicht offen an der Uni darüber gesprochen, wenn was passiert. So beschreibt eine Studentin ihre Erfahrung mit einem Dozenten.

Auch weitere Studentinnen berichten von sexueller Belästigung eines Dozenten an der Humboldt Universität zu Berlin. Weil sie derzeit dort studieren, wollen sie anonym bleiben. Sie haben Angst, dass ihre Aussagen Konsequenzen für ihr Studium und mögliche negative Auswirkungen am Institut mit sich bringen könnten. Im Gespräch mit der UnAufgefordert erzählen sie von ihren Eindrücken im Seminarraum und der Sprechstunde. Sie berichten über sexuelle Belästigung. Das System Uni konnte sie nicht schützen.

Am 13. Juli 2023 wird die Humboldt Universität aufgeschreckt. Die Plattform Indymedia veröffentlicht die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den Dozenten. Die Universität gibt sich in einem Statement betroffen, der RefRat äußert sich.

Immer mehr Medien greifen die Vorwürfe gegen ihn auf. Unter anderem taz, Tagesspiegel und das Neue Deutschland berichten. Doch keine dieser Zeitungen traut sich, den Namen des Dozenten zu veröffentlichen. Die taz verlinkt sein Profil auf der Website der HU. Er ist seit über 30 Jahren angestellt an der HU Berlin. Seit spätestens 1997, also seit 26 Jahren, gibt es Vorwürfe über ein mögliches Fehlverhalten gegenüber Studentinnen. Die meisten Studentinnen, die in seine Kurse kommen, sind jünger. 

Der Seminarraum

So auch eine der beiden Studentinnen, die mit der UnAuf gesprochen haben. 1998 wird sie geboren, 2018 beginnt sie ihr Studium an der HU. Ich war neu eingeschrieben, ich hatte das Einführungsseminar gut bestanden und dachte mir, jetzt fängt das richtige Leben an der Universität an. Und dann hatte ich direkt das erste Modul mit dem Seminar Antike, Römer und Germanen bei dem Dozenten. Da bin ich in den Kurs reingegangen, und er war eigentlich ganz cool und locker drauf. Ich dachte mir, das ist bestimmt ein ganz entspannter Dozent. Der Eindruck sollte dann aber in den folgenden Seminaren täuschen.

In dem Seminar äußert sich der Dozent nicht nur zu Römern und Germanen, so die Studentin. Sie erzählt, er habe gesagt: Nur weil Sie einen Ausschnitt hier haben und ich Ihre Brüste sehen kann, heißt das nicht, dass Sie mir so dumme Fragen stellen können. Was die Studentin berichtet, ist keine Bagatelle. Im gleichen Seminar fallen angeblich noch weitere Kommentare über die Dekoltés von Studentinnen. 

Auch weitere Studierende dieses Seminars bestätigen Aussagen über die Ausschnitte von Studentinnen. Die Berichterstattung von taz und Tagesspiegel mindern Zweifel an den Aussagen der beiden Studentinnen. 

In der Sprechstunde

Im Sommersemester 2018 besuchten beide Studentinnen gemeinsam eine Sprechstunde bei ihm. Dabei, so erzählen sie, kam es zu weiteren Übergriffen. So wirft eine Studentin dem Dozenten vor, sie direkt beim Betreten des Büros an der Schulter berührt zu haben – ohne ihr Einverständnis. Sein erster Satz: Kann der Rock nicht noch kürzer sein? Die Studentin war schockiert, habe aber immer noch über ihre Hausarbeit sprechen wollen – deswegen sei sie ja dagewesen. Um sich selbst zu schützen, habe sie erwähnt, dass sie frisch verlobt sei Ja, man kann sich ja schöne Frauen teilen – so erinnert sie sich an seine Antwort. 

Über eine Hausarbeit sprechen zu wollen ist Unialltag, nichts Besonderes. Das Thema wurde aber nicht angesprochen, Stattdessen bot er laut Aussage beider Studentinnen an, ihnen bei ihrer Karriere zu helfen – sollten sie bereit sein, sich mit ihm privat zu treffen. Das Angebot sei sehr offensiv gewesen. An diesem Punkt reichte es den Studentinnen – zum Besprechen der Hausarbeit kamen sie nicht mehr. Auf die Frage der UnAuf, ob das Zimmer während der Situation verschlossen gewesen sei, antwortete eine der beiden Studentinnen: Die Tür war zu

Am 10. Mai informierte das zuständige Institut über Maßnahmen im Fall des Dozenten. So sollten fortan alle Sprechstunden nur noch via Zoom stattfinden. Bei weiblich gelesenen Studierenden müsse überdies eine Person desselben Geschlechts anwesend sein. Verantwortlich für die Buchung von Sprechstunden bei ihm sei nun die dezentrale Frauenbeauftragte des Instituts. Nicht genug, findet eine der beiden Studentinnen: Mir kommt es vor, als würde die Uni, obwohl sie sich des Missstandes bewusst ist, den Täter schützen. Als würde das, was er gemacht hat, in Schutz genommen werden. Sie wirft der HU Berlin also Täter- statt Opferschutz vor. 

Ich war zwar teilweise erleichtert, aber was bringt das der Studentin, wenn sie dann trotzdem in die Sprechstunde mit ihm muss, wenn sie sich dabei unwohl fühlt – schon mit dem Wissen, dass da was vorgefallen ist und deshalb die Sprechstunde aufgenommen wird oder eine dritte Person dabei ist. Dabei fühlt man sich nur noch unwohler. Kommt das nur mir so vor? Das ist ja auch ein Statement von der Uni, ihn nicht zu kündigen. Damit verringern sie nicht den Schaden. Er ist öfter schon gemeldet worden.

Sicherheitsgefühl

Auf Rückfrage zum aktuellen Sicherheitsgefühl an der Universität antwortet die Studentin: Man kennt ja auch andere Geschichten von Studentinnen. Wir sind ja kein Einzelfall, und deswegen hinterfragt man das auch weniger, weil man schon irgendwie dran gewöhnt ist. Und das ist schlimm, aber es ist die Realität. 

Für die beiden Studentinnen, die für diesen Artikel anonym bleiben wollen, ist ihre Begegnung mit dem Dozenten – so sagen sie – nicht folgenlos geblieben. Ihr Studium sei beeinträchtigt durch die Erfahrungen in seinem Seminar. So habe sie im nachfolgenden Semester kein anderes Übungsseminar bekommen. Einzige Möglichkeit: Eine Nachzulassung bei dem Dozenten. Die Studentin erzählt, dass sie das ablehnte. Lieber studiere sie ein Semester länger.

Der Dozent hat sich auf Anfrage der UnAuf nicht geäußert. Sein Institut verwies auf die Pressestelle der Universität. Diese hat sich in einem öffentlichen Statement geäußert. Sie schreibt unter anderem: “Für die Universitätsleitung hat der Schutz der Betroffenen und die Aufklärung der Vorwürfe oberste Priorität.” 

Der Dozent gibt im Wintersemester 2023/2024 wieder ein Seminar an seinem Institut.  


Foto: Vidar Nordli-Mathisen/unsplash

Anm. d. Chefred.: Wegen unzulässiger Berichterstattung wurden Teile des Artikels nach der Veröffentlichung geändert.