Jedes Jahr bewerben sich tausende Abiturient*innen um Studienstipendien. Die Bewerbungsverfahren sind langwierig, der Druck bei Auswahltagungen immens und die Zulassungsquote vergleichsweise gering. Unsere Autorin hat sich vor ihrem Studienbeginn auf Stipendien beworben und berichtet.

Allein für die Studienstiftung des Deutschen Volkes gab es 2021 10.566 Bewerber*innen. 872 wurden anschließend tatsächlich in die Förderung aufgenommen, wie das Förderwerk im Jahresbericht 2021 veröffentlichte. Diese große Diskrepanz schürt sehr viel Druck. Druck, dem sich die Bewerber*innen notgedrungen aussetzen.
Dabei ist die Online-Bewerbung sehr zeitintensiv. Eingefordert wird ein ausformulierter Lebenslauf, Zeugnisse, Empfehlungsschreiben, ein ausgefüllter Fragebogen, Essays oder Arbeitsproben. So wird auch nach politischen Ansichten, individuellen Schicksalen und Zukunftsplänen gefragt.
Als junger Mensch, der gerade erst sein Abitur abgelegt hat, ergeben sich daraus Fragen, die im ersten Moment verunsichern und überfordern können. Zumal die Online-Bewerbung für das erste Semester oft bereits dann stattfindet, wenn es noch keine Studienplatzzusage der Universitäten gab.

Auf dem Präsentierteller

Die zweite Runde, meist in Form von Auswahltagungen, besteht aus Gesprächen mit Auswahlkommissionen, Klausuren, Präsentationen, Essays und Gruppendiskussionen. Alles mit entweder gar keiner oder nur sehr kurzer Vorbereitungszeit. In den Einzelgesprächen geht es neben dem Kennenlernen der Person vor allem um die Reaktion auf Fragen, die irritieren und verunsichern: Was glauben Sie, wie viele Münzen würden in diesen Raum passen? Nennen Sie Deutschlands Bundespräsidenten in zeitlicher Reihenfolge. Wie können wir die Energiekrise lösen?
Die Bewerber*innen nehmen diese absurden Fragen und Aufgabenstellungen meist einfach hin und antworten gewissenhaft – wenn sie können.
Insgesamt geht das mit einer psychologischen Durchleuchtung. Die Teilnehmer*innen sollen danach beurteilt werden, wie sie  einzeln und in einer Gruppe, unter Stress und Verunsicherung agieren, wie souverän sie handeln und ob sie trotz aller Widrigkeiten problemlösend denken können. Diese Auswahltagungen finden meist innerhalb von zwei Tagen statt. Also kaum Zeit, sich mental auszuruhen.
Dazu kommt natürlich die allgemeine Stimmung unter den Bewerber*innen, welche nicht selten von Angst, Nervosität oder Konkurrenzdenken geprägt ist.

Kein Raum für Ungewissheit

Es entsteht ein Eindruck von vielen begabten jungen Menschen, die sich in einem künstlichen Umfeld profilieren müssen.
Die Förderwerke möchten nicht hören, dass ihre Bewerber*innen sich nicht zu 100 Prozent sicher sind, ob sie tatsächlich den richtigen Studiengang gefunden haben oder ob sie sich auch sicher eine Promotion vorstellen können. Dabei vergessen sie, dass sie eigentlich junge Menschen mit Potenzial als ganzheitliche Personen fördern wollen und nicht nur als Regelstudienzeit-Sprinter*innen.
Oft erwarten die Förderwerke von ihren Stipendiat*innen auch, während des Studiums einem Ehrenamt nachzugehen. Diesem während eines Vollzeitstudiums sowie notwendiger finanzieller Einschränkung nachkommen zu können, ist nicht unbedingt selbstverständlich.
Der Druck, sich als Mensch mit glasklaren Ansichten, Zukunftsvisionen, Ambitionen und Lebensvorstellungen zu präsentieren, die einem strikten Plan folgen und keinen Raum für Irrungen erlauben, stellt eine außerordentliche Belastung dar.

Dem Selbstbild und Zielen sowie den Ansprüchen der Förderwerke eventuell nicht gerecht zu werden, schürt eine Angst, die eine stetige Begleiterin auf dem Weg ins Erwachsenwerden und vor allem beim Studienanfang sein kann, den ein Stipendium eigentlich erleichtern soll. Dabei ist es doch gerade eine gewisse Unsicherheit über die Zukunft und nicht vollständige Reflektiertheit, die das Erwachsenwerden und vor allem die Anfänge des Studiums ausmachen.
Es wird Zeit, dass die Förderwerke diese Realität anerkennen und ihre Bewerbungsverfahren an diesen Umstand anpassen.


Illustration: Franziska Auffenberg