Wegen einer Gesetzesreform müssen angehenden Psychotherapeut*innen sich beim Abschluss ihrer Ausbildung beeilen. Petitionen gegen die Frist scheiterten. Für Student*innen der HU wird es nun besonders knapp.
Schon als Jugendliche hatte Emily Lahmann den Wunsch, Menschen in psychischen Krisen zu unterstützen. Als ihr Berufsziel sich konkretisierte, begann sie ein Psychologiestudium an der HU, um Therapeutin zu werden. Dann wurde das Psychotherapeut*innenengesetz überarbeitet. Die Reform sollte Ausbildungsbedingungen von Therapeut*innen in Zukunft verbessern, doch Emily profitiert kaum von den Neuerungen. Stattdessen muss sie ihre Ausbildung nun bis zum 1. September 2032 mit der Approbation abschließen. Danach können sie und ihre Kommiliton*innen aus dem Master of Psychology keine Psychotherapeut*innen mehr werden.
Vor der Gesetzesänderung folgte auf den Masterabschluss in Psychologie eine mindestens drei- bis fünfjährige Therapeut*innenausbildung. In dieser Zeit durchlaufen Auszubildende Vollzeitpraktika in therapeutischen Einrichtungen, an den Abenden oder am Wochenende zudem Theorie- und Selbsterfahrungsseminare. Nach bestandener Approbationsprüfung dürfen sie dann als Psychologische*r Psychotherapeut*in Menschen behandeln.
Seit der Reform ist nach einem Psychologie-Bachelor ein Master in Klinischer Psychologie und Psychotherapie notwendig. Der vermittelt schon im Studium mehr therapeutisches Wissen. In ganz Deutschland lernen Student*innen die gleichen Inhalte und schließen ihr Masterstudium mit der Approbationsprüfung ab. Darauf folgt eine fünfjährige Weiterbildung. Mit der Approbation sollen Therapeut*innen während der Weiterbildung nach Tarifvertrag etwa 4000 Euro im Monat verdienen, deutlich mehr als vor der Reform. Die Finanzierung bliebe jedoch unklar, so der Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen in einer Pressemitteilung Ende März. Und das, obwohl die Regelstudienzeit der ersten HU-Kohorte im Therapiemaster bereits diesen Sommer endet.
Kein Zugang zur Reform
Dafür verbesserte die Reform Ausbildungsbedingungen der Therapeut*innen im alten System: Mindestens 1000 Euro Brutto verdienen diese nun pro Monat. Abgesehen davon änderte sich nichts, ein Wechsel in das neue System ist nur bedingt möglich. „Ich habe mit meinem Studium angefangen, bevor die Reform umgesetzt wurde“, sagt Emily. Wenige Monate nachdem sie ihren Bachelor abgeschlossen hatte, traten die Änderungen in Kraft. Zum Wintersemester 2021/22 führte die HU zwei neue Psychologie-Master ein.
Einer davon ist der Master in Klinischer Psychologie und Psychotherapie, der zur neuen Approbation befähigt. Dafür sind bestimmte Bachelormodule notwendig, die erst mit der Reform eingeführt wurden. „Dazu hatte ich also keinen Zugang mehr. Was sich für mich hauptsächlich verändert hat, ist, dass dann nur noch ein Masterstudiengang zur Auswahl stand.“ Laut einer Präsentation zur Studienordnung des Bachelors Psychologie im Oktober 2020 konnten eingeschriebene Student*innen in die neue Studienordnung wechseln und sich dann in den Psychotherapiemaster einschreiben. Da war Emily mit dem Bachelor schon fertig. Absolvent*innen waren von der Nachqualifikation ausgeschlossen.
Kaum klinische Module
Eine Alternative ist der ebenfalls neu eingeführte englischsprachige Master, der allerdings keinen klinischen Schwerpunkt anbietet. „Auf der Internetseite steht explizit, dass dieses Studium geeignet ist, wenn man Therapeut oder Therapeutin werden möchte. Dass diese Inhalte dann aber gar nicht vorkommen, finde ich sehr enttäuschend“, sagt Emily. Es werde wohl davon ausgegangen, dass Leute mit Interesse an Klinischer Psychologie den Therapiemaster machen. „Und dadurch ist der klinische Bereich eigentlich gar nicht mehr Teil meines Studiums. Ich mache jetzt zwei Jahre lang etwas, was eigentlich nicht wirklich mein Interessensgebiet ist.“ Sie zweifelte, ob dieser Master das richtige für sie ist. Gespräche mit „sehr, sehr glücklichen” Auszubildenden im alten System überzeugten Emily schließlich. Sie entschied sich „dann eben durch diese zwei Jahre Master durchzubeißen.“
Das ist nicht immer leicht. Anfang April bekamen Psychologiestudent*innen eine Rundmail: Die HU werde das einzige klinische Modul des Psychology-Masters dieses Semester nicht anbieten. Eine Woche, bevor die Anmeldefrist für Veranstaltungen im Sommersemester endete, mussten Studierende ihre Stundenpläne noch einmal ändern. Viele fürchten nun, ihr Studium nicht in Regelstudienzeit abschließen zu können.
Knappe Übergangsfrist
Doch die Zeit drängt. Regelstudien- und Ausbildungszeit seien ziemlich kurz, findet Emily. “Gerade für Leute, die außerhalb der Ausbildung und des Studiums noch andere Verpflichtungen haben, ist es einfach eher knapp.“ Die 29-Jährige kennt das aus eigener Erfahrung: „Ich habe für meinen Bachelor bedeutend länger gebraucht, weil ich immer nebenbei gearbeitet habe.“ Sie hat weiterhin einen Nebenjob und werde so weder Master noch Ausbildung in der dafür veranschlagten Zeit beenden.
Seit der Reform gab es immer wieder Bemühungen, die Frist zu verlängern. Bereits 2019 beriet der Petitionsausschuss des Bundestags darüber. Das Problem: Je länger die Übergangsfrist sei, desto länger müssten Länder und Universitäten beide Ausbildungen parallel anbieten, hieß es damals. Doch während der Pandemie war es vielen Student*innen nicht möglich, ihr Studium in Regelstudienzeit abzuschließen.
Daher forderte der Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen im März 2021, die Frist zu verlängern. „Während diese Übergangsfrist schon vor der Krise knapp bemessen war, ist sie nun nicht mehr ausreichend”, heißt es in einer Pressemitteilung. „Sollte an der bisherigen Frist festgehalten werden, wird ein erfolgreicher Abschluss der beruflichen Ausbildung zur Psychotherapeutin bzw. zum Psychotherapeuten vielen Studierenden nicht mehr möglich sein.”
Verlängerung im Härtefall
Ein Jahr später startete Johann Summ, der in Erlangen Psychologie studiert, eine Petition. Darin fordert er eine Verlängerung des Übergangszeitraums um zehn Jahre. Mehr als 13.000 Menschen unterschrieben. Eine Unterzeichnerin wurde im Studium Mutter und möchte die Therapeutenausbildung später beginnen. „Da mein Kind noch klein ist, wird das aber erst in ein paar Jahren gut möglich sein.”, schreibt sie. Das werde knapp mit der Frist. „Eine Erweiterung der Familie ist somit natürlich erst einmal ausgeschlossen.“ Im November ging die Petition an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. „Leider ist seit dem Einreichen nichts mehr passiert”, so Johann.
Auch Emily verspürt Druck wegen der Frist. „Es kann jetzt nichts Großes mehr dazwischenkommen“, sagt sie. Trotz aller Hürden bleibt sie bei ihrem Berufswunsch. „Durch schwierigere Phasen des Studiums gebracht hat mich die Motivation, dass ich weiß, wofür ich das machen will. Und ich weiß, dass ich auf den Job richtig, richtig Lust habe.” Nach dem Master will sie die Ausbildung zur Psychotherapeutin beginnen.
Illustration: Franziska Auffenberg