Irgendwo zwischen Esoterik-Messe und Co-Working-Space gibt es eine Bewegung, deren Anhänger*innen an das Gesetz der Anziehung glauben: Daran, dass sie nur mit der Kraft der Gedanken ihr Traumleben manifestieren können. Klingt nach Hokuspokus in realitätsfernen Kreisen? Klingt vor allem erstmal nach neoliberaler Privilegien-Blindheit. Ein Kommentar

Wo es lange hieß „Jede*r ist seines eigenen Glückes Schmied“, berufen sich heutige New-Age-Spirituality-Anhänger*innen auf das Gesetz der Anziehung: Positives zieht mehr Positives an, Negatives mehr Negatives. Dieser einfachen Logik folgend müssen wir uns das Leben, das wir führen wollen, lediglich vorstellen, es visualisieren, fest an die Erfüllung unseres Traumes glauben und, ganz wichtig, positiv denken. So wird der Glaube an ein Universum, an das wir uns zum Erreichen unserer Wünsche wenden können, prompt zum Ersatz für einen religiösen Glauben, der ja eh irgendwie schon länger out ist.

Spätestens seit Rhonda Byrnes „The Secret“ unter den Schlagworten „Inspirierend. Herzergreifend. Dokumentation.“ auf Netflix erschienen ist, hat das Gesetz der Anziehung den Mainstream erreicht. Was vor einigen Jahrzehnten noch mit in Kommunen lebenden Hippies in selbstgebatikten Kleidern assoziiert wurde, findet sich heute vor allem in der kapitalistischen Hustle-Mentalität zwischen Start-Ups, Micro-Dosing, Network-Marketing und Kristall-Dildos für 180 Euro wieder.

Dem Gesetz der Anziehung nach befinden wir uns in Spiralen, die entweder immer weiter nach oben oder nach unten führen: Denken wir positiv, senden wir positive Energie aus, ziehen mehr Positives an und bewegen uns so in der Spirale des Erfolgs immer weiter nach oben, oder vice versa. Bei dieser Rechnung ist nicht nur der Zwang, negative Gefühle und Gedanken nicht zuzulassen, problematisch, sondern vor allem das Ignorieren von Privilegien: Jemand, der auf der Sonnenseite des Lebens geboren ist, hat gute Chancen, dort zu bleiben.

So träumt eine Person, die schon mit acht Jahren weiß, wer Zeus, Poseidon und Hermes sind, in der Schulzeit ein Auslandsjahr in den USA macht und bei der Wahl des Studienganges von ihren Eltern beraten wird, von ganz anderen Dingen, als jemand, der diesen sozioökonomischen Startvorteil nicht hatte. Träume bewegen sich in den Grenzen des Vorstellbaren und die Entscheidungen, diese Träume dann zu erreichen, trifft eine Person, die weiß, dass sie weich fallen wird, ganz anders, als jemand, der sie aus einer Position der Angst heraus trifft.

Hinzukommen ganz reale Hindernisse, die der Erfüllung der Träume im Weg stehen. So dauert es laut einer Studie der OECD durchschnittlich sechs Generationen, bis eine einkommensschwache Familie eine soziale Klasse aufsteigt. Und wenn das doch schneller geschieht, dann nicht etwa, weil eines der Kinder positiv gedacht, Vision Boards gebastelt oder manifestiert hat.

Privilegien beziehen sich aber keineswegs nur auf finanzielle Aspekte. Verschiedene -ismen, aber auch Aspekte wie Pretty Privilege, Vorteile aufgrund normativer Attraktivität, oder ein starkes Sozialsystem, das uns emotional den Rücken stärkt, beeinflussen unseren Lebensweg. Natürlich kann theoretisch jede*r alles erreichen, und natürlich wird niemandem eine funktionierende Partner*innenschaft, ein großes soziales Netz oder eine Karriere auf dem Silbertablett serviert. Trotzdem macht es einen Unterschied, wie man durch die Welt geht, wenn man das Konzept Einsamkeit nicht kennt, Sozialkompetenz nicht erst im jungen Erwachsenenalter erlernen musste oder im Studium zum ersten Mal darüber nachdenkt, was Gender bedeutet. Privilegien und Sozialisierung entscheiden darüber, was wir uns zu erträumen trauen, wie wir Entscheidungen treffen, um diese Träume zu erreichen und inwiefern diese Träume für uns überhaupt real erreichbar sind.

Es spricht nichts dagegen, sich auszumalen, wo man hinwill und wer man sein will. Sich seiner Träume bewusst zu werden, kann Ansporn sein, für sie zu arbeiten und sich selbst verantwortlich für das eigene Leben zu fühlen. So vermischt sich das Gesetz der Anziehung aber mit der kapitalistischen Arbeitsmoral und genau hier liegt das Problem: Weil beide Konzepte mit Eigenverantwortung operieren, operieren sie automatisch auch mit Schuld, Zufälle und Glück werden ignoriert. So loben wir den Tellerwäscher, der aus eigener Kraft zum Millionär wurde, müssten nach dieser Logik aber genauso Arbeiter*Innen-Kindern die Schuld dafür geben, dass sie ihr Studium abbrechen müssen. Weil sie, glaubt man der neoliberalen Erzählung, nicht hart genug gearbeitet haben, oder, glaubt man den New-Age-Gurus, nicht positiv genug gedacht haben.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #257 zum Thema Träume und Zukunft erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.

Foto: Amanda Vick

Illustration: Christina Peter