Ob Horror- oder Wunschvorstellung: Wir alle träumen im Schlaf mehr oder weniger intensiv. Was unsere Unterbewusstsein uns durch unsere Träume vermitteln will, ist oft nicht klar. Unsere Autorin hat den Selbstversuch zur Traumdeutung gewagt.

Ich träume schon immer viel. Und schon immer ziemlich verrückt. Außerdem erinnere ich mich fast immer an meine Träume. Träume sind mit unserem Unterbewusstsein verknüpft. Sigmund Freuds Theorien zur Traumdeutung waren Grundstein für diese Annahme. Davon ausgehend spielen Träume heute eine immer wichtigere Rolle in der Psychologie. Über meine Träume zu reden und nachzudenken macht mir Spaß. Allerdings habe ich mich noch nie getraut, sie deuten zu lassen. Vielleicht aus der Angst heraus, was mir mein Unterbewusstsein zu sagen hat. Außerdem wirken die Websites und Bücher, die einem versprechen, durch ihre angebotenen Deutungen mehr über sich selbst zu erfahren, auf mich wenig vertrauenswürdig. Getrieben von meiner Neugier, vielleicht etwas Neues über mich lernen zu können, wollte ich aber wenigstens einmal im Leben meine Träume deuten lassen.

Die Tools: Ein Traumtagebuch führen und die Internetseite „traum-deutung.de“. Mehr als eine Woche lang habe ich jeden Morgen direkt nach dem Aufwachen aufgeschrieben, was ich von meinen Träumen noch im Kopf hatte. Einige Male habe ich es sogar mitten in der Nacht, aufgewacht von einem bewegenden Traum, geschafft, Stichpunkte aufzuschreiben. Über die habe ich mich am nächsten Morgen besonders gewundert, denn ich konnte mich weder an den Traum noch an das Aufwachen und Aufschreiben erinnern.

Lieben alle meine Freund*innen mich, wenn ich vom Kaffeetrinken träume?

Träume erzählen zwar meistens eine ganze Geschichte, aber in der traditionellen Traumdeutung sind nur einzelne Bilder interpretierbar. Um einen ganzen Traum zu deuten, musste ich also erstmal alles in Symbole aufteilen. Dabei gibt es für jedes einzelne Traumsymbol schon unterschiedlichste Deutungsmöglichkeiten. Ein einfaches Beispiel: Ich trinke keinen Kaffee im echten Leben, hatte aber einen Traum, in dem ich Kaffee trinke. Um den Traum zu analysieren, habe ich also nach dem Traumsymbol Kaffee gesucht. Eine mögliche Interpretation: Kaffee im Traum werfe wohl für die Träumenden die Frage auf, was sie brauchen, um aktiv zu sein.

Weiter heißt es auf traum-deutung.de: „In der Traumdeutung drückt Kaffee den Wunsch nach Anregung und Abwechslung im Sinne sozialer Kontakte aus. Das Traumsymbol ‘Kaffee’ ist ein Zeichen für Wohlstand und vermittelt ein Gefühl der Zufriedenheit. Wer im Traum eine Tasse des aromatischen Getränks zu sich nimmt, kann sich der Sympathien seiner Mitmenschen gewiss sein.“ Es macht wohl auch noch einen Unterschied, wie der Kaffee, den ich im Traum getrunken habe, zubereitet war. Schwarzer, heißer Kaffee deutet auf etwas Aufregendes in der Zukunft hin, aber kalt und mit Milch getrunken steht ein Misserfolg bevor. Ich erinnere mich nicht, ob der Kaffee in meinem Traum heiß oder kalt, schwarz oder mit Milch war. Und wirklich schlauer bin ich nach diesen Deutungen auch nicht. Heißt das jetzt, alle meine Freund*innen lieben mich, weil ich von Kaffee geträumt habe?

In meinem Traumtagebuch habe ich viele Träume notiert. Der Komplexeste und Verstörendste war aber der, den ich um vier Uhr nachts aufgeschrieben habe, weil ich durch ihn aufgewacht war. Meine Notizen dazu: „Stressigen Traum vom Kochen gehabt. Mehrere Kochinseln nebeneinander, auf denen viele Töpfe standen. Es wurden Kochbananen in viel heißem Öl zubereitet. Zwei Männer kamen, einer davon alt und grau. Sie wirkten wie Kapitäne oder Seemänner und aßen ein totes Baby und bezeichneten dies als Delikatesse, welches zuvor als Gallionsfigur an ihrem Schiff befestigt gewesen war.“ An dieser Stelle des Traumes bin ich dann wohl hochgeschreckt, da es einfach zu grausam war. Ein echter Alptraum also. Ich war gespannt auf die Bedeutung. Um die einfachste Interpretation einmal vorwegzunehmen: Nein, ich hatte vor dem Schlafen keinen Horrorfilm geschaut und auch keine Kochbananen gebraten.

Das Symbol Kannibalismus kann für nahenden Erfolg stehen

Ich habe also versucht, alle Traumsymbol Bedeutungen in Verbindung zu bringen: Kochen kann für das Vorbereiten auf eine bevorstehende Aufgabe stehen und heißes Öl symbolisiert intensive Gefühle wie zum Beispiel Zorn, die aber schon wieder am Abklingen sind. Aufkommendes Glück wird durch Bananen, die gekocht werden, symbolisiert. Das Schiff kann für den Wunsch nach Veränderung stehen und die Seemänner für den Wunsch nach Freiheit und für Fernweh. Auch wenn der Teil des Traumes, in dem das Baby von den Seemännern gegessen wird, schrecklich und grausam wirkt, bedeutet es wohl in der Traumanalyse etwas Positives. Ein totes Baby steht für einen Neubeginn beziehungsweise eine Neuorientierung. Kannibalismus, etwas absolut Widerwärtiges, kann als geträumtes Symbol für einen nahenden Erfolg oder für den Wunsch nach intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen stehen.

Frei interpretiert heißt das alles in Verbindung also: Ich habe Lust auf Veränderung und mehr Freiheit und mir steht ein Neubeginn bevor. Diese Veränderungen und Aufgaben werde ich erfolgreich meistern und glücklich sein. Klingt alles viel positiver, als ich bei einem so verrückten und gruseligen Traum gedacht habe.

Habe ich durch das Deuten meiner Träume etwas über mich gelernt? Nicht wirklich. Die angebotenen Deutungen waren meistens schon für ein einzelnes Symbol zu unterschiedlich. Heißt das Kaffee trinken im Traum entweder, dass mich meine Freunde lieben oder frage ich mich, was mich zu mehr Aktivität bringt? Ein Traum kann also alles und nichts bedeuten. Am einfachsten interpretierbar sind die Träume, in denen wir von unseren Ängsten oder von Erlebtem träumen. Denn das sind häufig Dinge, derer wir uns schon bewusst sind.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #257 zum Thema Träume und Zukunft erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.

Foto: Carlos Alberto Gómez