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Schlaf: Die Psychologie hinter unseren Träumen

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Psychologie und Träume
Foto: Peter Mason

„Zeig mir deine Träume, und ich sag dir, wer du bist“ – unsere Träume mögen uns oftmals unsinnig und wirr vorkommen, doch können bei genauerem Hinsehen doch sehr viel über uns verraten. Sie erzählen Geschichten über unsere Emotionen, Zweifel und Ängste und öffnen die Grenzen zwischen Bewusstem und Unbewusstem.

Nicht ohne Grund hat schon Sigmund Freud als einer der Gründerväter der Psychoanalyse den Traum und seine Analyse als „via regia“, also als den „Königsweg“ ins Unterbewusstsein des Menschen bezeichnet. Sein Buch „Die Traumdeutung“ wird oft als Grundlage der modernen Schlaf- und Traumforschung angesehen. Freud versteht Träume als symbolische psychische Befriedigung unserer niedersten Wünsche und Regungen, die im Wachzustand verdrängt und unterdrückt werden, im Schlaf dann jedoch ungefiltert an die Oberfläche gelangen. Und selbst wenn Freuds Theorie von heutigen Psycholog*innen nicht mehr so vertreten wird, gehen Wissenschaftler*innen dennoch auch heute davon aus, dass Träume eine wichtige Rolle in der menschlichen Psyche spielen.

Nicht nur dienen Träume zur Gehirnentwicklung und -reifung, es ließ sich neurowissenschaftlich auch zeigen, dass während des Träumens vor allem Hirnareale aktiv sind, die für emotionales Empfinden, visuelle Wahrnehmung und Motorik zuständig sind. Kurz gesagt: Unsere Träume werden tatsächlich vorwiegend von unseren Emotionen gelenkt, Hirnareale für höhere kognitive Aktivitäten werden nicht beansprucht.

In unseren Träumen verarbeiten wir nicht nur gerade Erlebtes und Gelerntes, sondern auch all die Dinge, die uns emotional und psychisch beschäftigen – mitunter sogar solche, die wir in der Hektik des Alltags bewusst gar nicht wahrnehmen können. Wie wir nun dem Sinn unser Träume auf die Spur kommen können, damit beschäftigt sich Brigitte Holzinger. Sie ist ausgebildete Psychotherapeutin in Österreich und leitet das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien. Im Interview mit der UnAuf beantwortet sie Fragen zu ihrer Arbeit und dem Träumen.

UnAuf: Wie kann man sich ihre Arbeit am Institut genau vorstellen?

Holzinger: Am Institut befinden wir uns mit unserer Arbeit oft in einem Spagat zwischen zwei Zugängen. Der eine ist das naturwissenschaftliche Erfassen, also die Forschung. Die andere ist die phänomenologische Annäherung, also das subjektive Spüren und Erfahren.

Für wirkliche Erkenntnis finde ich beide notwendig. Und daher haben wir einen interdisziplinären Anspruch und Zugang zum Thema. Ich arbeite als Therapeutin, mit dem Schwerpunkt Schlaf und Traum und behandle Schlafstörungen. Mein Forschungsthema ist Luzides Träumen. Das geht Hand in Hand mit meinem psychotherapeutischem Wirken. Wir haben für Menschen mit Schlafproblemen das Schlafcoaching entwickelt. Außerdem bieten wir Seminare und Webinare an, um unser Wissen weiterzugeben.

Brigitte Holzinger
Brigitte Holzinger, Foto: cochicphotography

UnAuf: Würden Sie sagen, dass Albträume als positiv oder gar heilsam betrachtet werden können?

Holzinger: Also allein der Versuch etwas Traumatisches zu verarbeiten, ist positiv. Insofern würde ich sagen, dass traumatisierende Ereignisse, die im Hintergrund verarbeitet werden wollen, die sich in Albträumen ausdrücken, etwas Gutes bewirken möchten.
Man könnte es auch so sehen, dass Angst ein Motor ist für die Träume an sich in unterschiedlicher, gradueller Abstufung. Wenn die Angst zu klein ist, dann wird der Traum abenteuerlich, wo man Sachen bewältigt und schafft. Wo vielleicht im Kern doch Angst war, führt der Traum dazu, dass man etwas besser verarbeiten kann oder etwas gelernt hat.

UnAuf: Würden Sie sagen, man sollte sich auch mit den zunächst bedeutungslos erscheinenden Träumen im Wachzustand mehr beschäftigen?

Holzinger: Ja, wobei wir uns nicht so sehr auf die Interpretation konzentrieren wollen. Sondern wir sehen es so, dass der Traum – das Bild – schon etwas bewegt und bewirkt, während er stattfindet. Da würde man dann selbst kognitiv Zusammenhänge herstellen; was könnte der Traum wollen? Die Bewegung in uns ist schon geschehen und geschieht, indem wir uns weiter mit dem Traumbild befassen. Wir gehen davon aus, dass wir durch das Nachvollziehen dessen, was sich körperlich und auf der sinnlichen Ebene spüren lässt, den Traum besser erfassen.

UnAuf: Gibt es eine These, warum sich viele Menschen nicht an ihre Träume erinnern können?

Holzinger: Ja. In unserer Beobachtung wird alles, was mit Schlaf zu tun hat, gerne in den „Abyss des Vergessens“ gesteckt. So wie Schlafwandelnde oder Menschen, die im Schlaf sprechen, vergessen, dass sie es tun, so wird auch der Traum vergessen. Und warum? Wahrscheinlich, weil unter anderem Gedächtniskapazität wieder hergestellt wird. Ich habe schon mit Klienten mit Essstörungen Träume bearbeitet und da ist es besonders deutlich gewesen: Je mehr man Träume aufschreibt, desto mehr hat man sie. Dafür verantwortlich ist dann nicht der Traum, sondern die Erinnerung an all die inneren Vorgänge, die in der Nacht vor sich gegangen sind.

Wir wären außerdem heillos überfordert, wenn wir uns alles merken würden. Darum sage ich: gut, dass wir trennen können, was wichtig ist und was nicht. Macht man ja tagsüber im Bruchteil von Sekunden. So ist es wahrscheinlich auch beim Träumen. Deswegen habe ich vorhin gesagt, der Traum macht schon was er soll. Er bewegt schon etwas, während er geträumt wird, er räumt schon auf oder integriert oder hilft beim Lernen.
Unabhängig davon, ob wir ihn uns merken oder nicht.

UnAuf: Freud hat Träume als den Königsweg zum Unterbewussten beschrieben. Würden Sie dem zustimmen?

Holzinger: Finde ich toll, einer der wichtigsten Sätze überhaupt. Einer meiner ersten Lehrer in der Psychiatrie hat mal bei einer Prüfung gesagt: “In der Psychoanalyse spricht man nicht vom Unterbewussten, sondern vom Unbewussten.” Da ist natürlich ein feiner Unterschied. Das Unbewusste ist nicht das Bild an sich, aber das Traumbild drückt sich darin aus. Denn beispielsweise kann erst mal nicht alles bewusst sein, denn auch da würden wir überflutet. In dem Sinne: Vergessen ist sinnvoll. Manchem, was uns aber gerade zu komplex, zu schwierig oder zu heftig ist, gelingt es quasi als Überlebensstrategie, sich in die Nacht zu drängen, in den Schlaf, und erscheint dann dort als Albtraum. Oder banaler: Wenn man gestresst ist oder emotional überfordert, schläft man eben schlecht oder gut. Dieser Satz hat noch immer Wahrheitsgehalt.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #257 zum Thema Träume und Zukunft erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.

Foto: Peter Mason

Das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung untersucht als Teil einer internationalen anonymen Studie derzeit, welche Auswirkungen Covid-19 auf Schlaf, Müdigkeit, Wohlbefinden und Funktionsfähigkeit hat. Wer an der anonymen Befragung teilnehmen möchte, findet den Online-Fragebogen hier.