Psychedelische Drogen – ein Thema, das polarisiert. Manche heben ihre heilende und befreiende Wirkung auf den Geist hervor, für andere können sie der riskante Weg in eine beschädigte Psyche sein. Sogenannte Ayahuasca-Retreats werden immer beliebter und sollen Menschen aus persönlichen Krisen helfen.
Die Droge Ayahuasca ist in Deutschland verboten, weil es Dimethyltryptamin, kurz DMT, enthält. Dieser Stoff wird auch vom menschlichen Körper produziert und kurz vor dem Tod ausgeschüttet. Die evolutionären Ursachen hierfür sind noch nicht genau erforscht. DMT ist aber auch in einigen Pflanzen enthalten, zum Beispiel in dem in unserer Region vorkommenden Rohrglanzgras.
Was hierzulande eine unter das Betäubungsmittelgesetz fallende illegale Droge ist, ist für Indigene des südamerikanischen Amazonasbeckens Bestandteil einer traditionell überlieferten Medizin. In rituellen Zeremonien nehmen Menschen Ayahuasca ein und setzen sich ihrem kräftezehrenden Rausch aus – geführt von einem Schamanen. Begleitet wird das Ganze mit Icaros genannten Gesängen. Ayahuasca bedeutet übersetzt ‚Liane der Ahnen‘ oder ‚Seelenranke‘.
Für einige Volksstämme aus Peru, Brasilien und anderen Ländern der Region hat Ayahuasca eine Pflanzenseele, die heilende und belehrende Wirkungen in sich trägt. Sogar Einblicke in die Zukunft oder Begegnungen mit Verstorbenen sollen möglich sein. Aber auch in Deutschland hat sich mit dem „zurück zur Natur“-Trend der letzten Jahrzehnte ein Interesse daran entwickelt. Die Tech- und Startup-Szene rund um Silicon Valley bezeichnet Ayahuasca-Retreats sogar als ihr neues Wundermittel. Startups wie PlayaMedia gehen sogar so weit, ihre Mitarbeiter*innen zu einer gemeinsamen Teilnahme zu ermutigen.
Ayahuasca ist ein Pflanzensud und enthält zwei Komponenten: eine spezielle Lianenart, die offiziell Banisteriopsis caapi genannt wird, und Blätter des Kaffeestrauchgewächses. Durch in der Liane enthaltene MAO-Hemmer wird verhindert, dass der Körper das DMT aus dem Kaffeestrauch sofort wieder abbaut. Laut dem Forscher Terence McKenna ist DMT eines der stärksten, wenn nicht das stärkste Halluzinogen überhaupt. Es dockt an einen ganz bestimmten Serotoninrezeptor, den 5-HT2A-Rezeptor, an und verändert unsere Gehirnaktivität. Dabei wird unter anderem der visuelle Kortex stimuliert, was die Halluzinationen hervorruft. Forschungen über die Wirkungsweisen von DMT legen nahe, dass es stimmungsaufhellend wirkt und Studien der brasilianischen psychiatrischen Vereinigung von 2015 und der Universität Maastricht von 2018 untersuchen therapeutische Anwendungsmöglichkeiten bei schweren Depressionen. Außerdem zeigen Experimente mit Mäusen und Ratten das Potential einer sogenannten Neuroplastizität. Hier werden Neuronen neu verknüpft und so gewohnte Strukturen verlassen und „aufgebrochen“.
Beim Trinken des ausgekochten Saftes kann es zu heftiger Übelkeit und Erbrechen kommen. Im Sinne einer Körper-Geist-Einheit soll dies aber als befreiend und reinigend empfunden werden. Im weiteren Verlauf erleben viele Konsument*innen mehrstündige starke Halluzinationen.
Warum wollen Menschen Ayahuasca nehmen?
Sophie* reflektiert, dass sie den unwiderstehlichen Drang verspürt hat, Ayahuasca auszuprobieren. Mitten in der Zeremonie überfiel sie allerdings der Gedanke: „Das machst du nie wieder.“ Dennoch nahm sie kurz darauf ein zweites Mal teil. Ayahuasca macht nicht körperlich abhängig, aber sie habe den Eindruck gehabt, dass sich bei ihrer ersten „Reise“ Fragen aufgetan hatten, die sie noch weiter erforschen wollte. Was es ihr gebracht hat? Sie habe die Angst vor dem Tod überwunden, weil sie die Dinge in einem größeren Zusammenhang erkannte. Gleichzeitig habe sie gelernt, das diesseitige Leben mehr wertzuschätzen und Sorgen über die Zukunft seien ihr klarer geworden. Sophie berichtet, dass sie in diesem Zustand Fragen an die Pflanze stellen konnte und beispielsweise die Antwort erhalten habe, dass sie über eine beendete Beziehung nicht hinwegkomme, weil diese Person und sie noch Seelenanteile voneinander hätten. Sie empfinde seither eine größere Gelassenheit im Leben, das wirkliche Hochgefühl sei aber nach ein paar Tagen wieder abgeflaut.
Ein ausgesprochen schlechtes Erlebnis mit Ayahuasca hatte Samira*. Sie erzählt, dass sie vorher keine Erfahrung mit Drogen hatte. Weil sie als Yoga- und Meditationslehrerin arbeitet, habe sie aber der spirituelle Aspekt interessiert. Generell habe sie sich nicht in einer Lebenskrise gesehen, sondern sei einfach neugierig gewesen, was sie durch die Zeremonie über sich lernen würde. Eine Autostunde von London entfernt, so berichtet Samira, nahm sie mit einer erfahrenen Freundin an einer, durch einen Schamanen der Huni Kuin – eine Ethnie aus Brasilien und Peru – geführten, Zeremonie teil. Das Ayahuasca habe sie direkt nach dem ersten Schluck überall gespürt.
Nach einer Weile hätten fast alle angefangen, sich zu übergeben. Samira sei angeekelt gewesen. Obwohl ihr auch schlecht wurde, konnte sie vor den anderen nicht erbrechen, erzählt sie. Sie entschloss sich, das Zelt zu verlassen und ging hinaus in die dunkle Nacht. Sie habe sich dann einfach auf eine Matratze im Haus gelegt und sei eingeschlafen. Nach einer Weile sei sie mit heftiger Übelkeit in dem stockfinsteren Raum aufgewacht. Sie habe nassgeschwitzt und bewegungsunfähig auf der Matratze gelegen.
„Ich dachte: Keine Ahnung, ob ich das überlebe, vielleicht sterbe ich.“
Um bei Bewusstsein zu bleiben, habe sie leise angefangen, mit sich selbst zu reden. Als das Unwohlsein nach einer gefühlten Ewigkeit endlich etwas nachließ, habe sie sich mit zittrigen Beinen zurück zur Zeremonie geschleppt. Die anderen Teilnehmenden waren zwar auch ausgelaugt, aber völlig begeistert – „alles Freaks“, habe sie in diesem Moment gedacht. Als in der zweiten Nacht das gemeinsame Erbrechen erneut losging und eine ältere Frau neben ihr begann, auf allen Vieren eine Art Teufelsaustreibung an sich selbst vorzunehmen, habe sie sich einfach wieder schlafen gelegt. Im Rückblick würde sie sagen, dass sie nicht gerne die Kontrolle aufgibt und sich deshalb nicht auf Ayahuasca einlassen konnte. Um sich wiederholt auf solche Trips zu begeben, müsste man wenig zu verlieren haben und recht verzweifelt sein, mutmaßt Samira.
Ingrid* hat eine mehrjährige Ausbildung in schamanischen Heilweisen und beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit spirituellen Themen. Der Ayahuasca-Hype sei auch darauf zurückzuführen, dass es sich hier um eine scheinbar harmlose Pflanze handelt, sagt sie. Der Rausch stehe aber dem gängiger psychedelischer Stoffe in nichts nach, im Gegenteil.
Zu einer unbedachten Einnahme sagt sie: „Man sollte junge Leute davor warnen, in eine solche Trancereise zu gehen. Reizüberflutungen durch Drogen können Psychosen auslösen.“ Erlebnisse aus der Kindheit könnten wieder hochkommen, aber auch familiär weitergegebene Verletzungen, denen sich die Betroffenen womöglich noch viel weniger bewusst seien. “Woher diese Visionen kommen, wissen wir nicht. Man weiß nie was passiert, wenn die Schranke überwunden wird, die Teile der Seele schützt.“ Aber ist die Botschaft der Psychoanalyse nicht genau, dass nur die Bewusstwerdung von Traumata zu Heilung führt? Im therapeutischen Rahmen mit anwesender und anschließender Begleitung könnte dies sinnvoll sein, sagt Ingrid. Doch sie betont:
“Die Reise in eine andere Welt muss gelernt sein.”
Warum aber haben Menschen einen solchen Drang dazu, derartige Dinge auszuprobieren? Der Autor Aldous Huxley hat eigene Erfahrungen mit Psychedelika 1954 in seinem Essay Die Pforten der Wahrnehmung verarbeitet. Das Buch beeinflusste auch die Hippiebewegung der 60er-Jahre. Eher philosophisch stellte er die These auf, unsere Seele habe ein instinktives Bedürfnis nach Transzendenz und Spiritualität.
Schenkt man Huxleys Aussagen Glauben, dann ist es verständlich, dass sich Menschen diesen Zeremonien zuwenden. Weltweit, sogar in Europa gibt und gab es solche Traditionen, wie Ingrid erzählt. Auch heutzutage existiert noch eine Sehnsucht nach animistischen Weltanschauungen, was sich in der Beliebtheit von Ayahuasca-Zeremonien zeigt. Das Ideal ist womöglich, dass sie als eine Art Therapie für Menschen aus unserer spirituell unterentwickelten Gesellschaft dienen können.
Doch traditionelle Methoden zur geistigen Heilung werden als magisches Erfolgsrezept in mehrtägigen Ayahuasca-Retreats angeboten, die über Tausend Euro kosten können. US-Amerikaner*innen, die nach Peru reisen, bezahlen mitunter bis zu 10.000 Dollar dafür, wie man einem Business Insider Artikel von 2016 entnehmen kann. Die Betreuenden dort sind nicht selten auch Europäer*innen oder US-Amerikaner*innen aus dem Hippie-Spektrum. Für die Zeremonien fliegen Interessierte um den halben Globus. Die Kritik der kulturellen Aneignung liegt hier auf der Hand.
Handelt es sich letztendlich also doch nur um den nächsten Hype für zivilisationsmüde Menschen auf Sinnsuche? Es darf nicht unterschätzt werden, dass sich so gut wie alles vermarkten lässt und der intendierte Ausbruch vielmehr zu einem neuen Zwang werden kann, weil er beispielsweise zur Leistungssteigerung eingesetzt, oder zu einer nützlichen Einnahmequelle wird. Auch als kurze Auszeit aus dem Alltag kann Ayahuasca mitunter helfen, doch Weltflucht hat ihre Grenzen. Denn wer das eigene Leben ändern möchte, muss letztendlich immer noch selbst aktiv werden.
*Name von der Redaktion geändert
Dieser Text ist in der UnAufgefordert #257 zum Thema Träume und Zukunft erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.
Illustration: Isabelle Aust