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Vivien Klein: „In meiner Performance geht es mir um die Auflösung des Selbst”

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Vivien Klein
Foto: Vivien Klein

Zwischen Realität und Fiktion, über Faszination für Absurdes, Traumhaftes, Unbewusstes und Phantastisches – was sind künstlerisch-surrealistische Ausdrucksmittel? Ein Gespräch mit der freischaffenden Künstlerin Vivien Klein.

Flaniert man heute durch renommierte Museen oder Kunstsammlungen, findet man surrealistische Werke überall verstreut auf der Welt. Die Magie dieser Werke liegt in einer Gemeinsamkeit: Sie entführen die Betrachter*innen aus dem Jetzt und eröffnen ihnen eine Traumkulisse, einen Sehnsuchtsort. Um auf ästhetische Erfahrungen hinter beziehungsweise „über“ der Ratio/ Vernunft zu gelangen, bedienten sich Surrealist*innen an Rausch- und Traumerlebnissen als Quelle ihrer künstlerischen Inspiration und Eingebung. Sie wollten sich loslösen vom Logisch-Rationalen. Vivien Klein ist freischaffende Künstlerin, Mama, Yogini und Wald- bzw. Outdoorcoach. In ihrem letzten Projekt „Dying Dreams“ hat sie sich auf einer multimedialen Ebene mit dem Traum, Traumzuständen, dem Fluß und der Grenze zwischen Utopie und Dystopie befasst, worüber sie mit UnAuf spricht.

UnAuf: Du beschäftigst dich in deinen Performances viel mit der Bedeutung des Flusses und des Kreises, was hat es damit auf sich?

Vivien: À la Nietzsche geht es in meiner Performance um die Auflösung des Selbst – der Ich-Identifikation und um das reine Bewusstsein, welches die reine Energie ist, die wir alle teilen. Der menschliche Verstand würde mit der Loslösung und dem reinen Fluss nicht klarkommen, deshalb versucht es sich durch Etiketten zu identifizieren, quasi durch schwarz und weiß zu kategorisieren und zu definieren. Das ist der Moment, in dem wir uns wegbewegen von dem Fluss. Der menschliche Verstand würde es nicht aushalten, sich im Fluss zu befinden, er würde durchdrehen, in Wahn verfallen. Deshalb belagern wir unser Selbst mit Ich-Identifikationen.

In meiner Performance ziehe ich meine Klamotten vor Publikum aus, ich entfalte mich aus den Schablonen der Ich-Identifikation, mache mich frei, kehre zu meinem reinen Sein zurück. Ich vergrabe die Kleidung, meine hergestellte Persönlichkeits-Etiketten und verweile ganz bei mir, im Naturell, im Fluß. Ich komme zur Ruhe. Nachdem das Publikum auf meinen Fluß und mein reines Bewusstsein – durchaus berechtigt – geschockt reagiert, fange ich an, mich wieder zusammenzubauen, ziehe meine neue Garderobe an. Wie gesagt: Auf pures Sein, pures Bewusstsein, pures Naturell kommt das Gehirn nicht klar.

UnAuf: Wie hast du dich gefühlt während dieser Performance, die doch sehr intim ist?

Vivien: Es war wirklich eine sehr energiegeladene Atmosphäre, stimmt, ein intimer Moment zwischen mir, meines Selbst und meinem Publikum. Alte Ich-Identifikation und Automatismen ablegen – das lässt sich so einfach daher sagen, doch durch das Mittel dieser Performance ist mir bewusst geworden, wie anstrengend das ist, reines Bewusstsein. Ich sehe, wie ich zur Ruhe komme und mein Publikum die Ruhe verlässt. Die Energien fließen in dem Moment des „Sich-Ablegens“. Das ist passiert, als ich mein altes Ich begraben habe, ich habe den Zustand des Yin in das Yang übergeleitet. Danach habe ich mich völlig frei gefühlt. Alles ist ein Fluß, wie bei Nietzsche, auch das Bewusstsein.

UnAuf: Um zurückzukommen zum Surrealismus und zum Traum, was hat dich dazu inspiriert deine Ausstellung dem Traumzustand zu widmen und sie „Dying Dreams“ zu nennen?

Vivien: Wie ich finde, ist genau das der Traum: Ein Breitengrad zwischen Dystopie und Utopie. Der Traumzustand ist nicht immer im Begriff von etwas liquidem, in-sich-zusammen-fallendem, mannigfaltigem. Eine Dekonstruktion von Raum-Zeit. So ist das auch das Werk von Sebastiao Salgado, er zeigt die Verbindung von Ambivalenz, von Gegenseitigkeiten. Er wird auch als Ästhet des Schrecklichen bezeichnet und genau das hat er mich fühlen lassen, als ich seinen Film „Das Salz der Erde“ (2014) angeschaut habe. Seine ästhetische Majesthetik und unfassbare Bildsprache brachte mich irgendwo in einen unendlichen Raum ohne Mittelpunkt, zwischen Dystopie und Utopie. Ich war aufgelöst. Dieses Gefühl möchte ich meinen Betrachter*innen und Besucher*innen vermitteln. Sich auflösen im Fluss, seine*ihre Träume sterben sehen, wie der Titel schon sagt: „Dying Dreams“.

UnAuf: Das Ritual spielt in deiner Arbeit eine große Rolle. Was hat es damit auf sich?

Vivien: Meine Absicht war nicht nur meine Betrachter zu verwirren sondern ihnen auch Ballast abzunehmen. Ich bitte sie, mir nach dem Besuch ihre Angst oder Traumvorstellung aufzuschreiben, die sie entweder während der Ausstellung begleitet oder sie schon länger verfolgt hat oder, die vielleicht nach der Ausstellung entsprungen ist. Abschließend verbrenne ich den Zettel im Ofen. Das ist die ganze Zeremonie. Durch das Mittel der Schrift wird zur Angst oder auch zum Traum Distanz gewonnen, Ballast fällt ab, Synergien werden frei. Hier sind wir wieder beim Zyklus oder beim Kreislauf: Sterben und Leben. In neuer Form und Energie. Ohne explizite Zeremonie jedoch, werden die Betrachter*innen abgeholt in ein sentimentales Schwärmen, in eine Abstraktion, in einen Sehnsuchtsort abseits der Linearität.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #257 zum Thema Träume und Zukunft erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.

Foto: Vivien Klein

Vivien Klein lebt und arbeitet in Berlin, dying dreams kommt in die zweite Runde, wann und wo erfahrt ihr auf Instagram: @dyingdreams_pankow