Seit einigen Jahren verzichten immer mehr Schulabgänger*innen auf ein Work-and-Travel in Australien und begeben sich stattdessen als Freiwillige in Länder des Globalen Südens. Ich war eine von ihnen.

Mit dem Abitur endet ein großer Lebensabschnitt und es stellt sich zwangsläufig die Frage: Was nun? Uni, Ausbildung oder mal ein Jahr entspannen? Letzteres wollte ich auf keinen Fall, als ich 2016 die Schule verließ. Nach dem Lernstress der vergangenen Monate erschien mir die Uni aber auch nicht sonderlich reizvoll. Da ich studieren wollte, kam auch eine Ausbildung nicht in Frage.

Ich wollte raus. Erfahrungen sammeln, was „machen“. Vielleicht auch meinen Horizont erweitern? Ein Freiwilli- gendienst im Ausland schien die optimale Lösung für mich zu sein. Auslandserfahrung und Arbeiten in einem – wie praktisch. Weil ich „mal was anderes“ sehen wollte, hatte ich mich schnell dazu entschlossen, meine Zeit als Freiwillige in einem afrikanischen Land zu verbringen. Natürlich wusste ich, dass ich dort nicht die Welt retten würde – aber helfen wollte ich dennoch.

Für die Arbeit, die ich machen wollte, war ich allerdings vollkommen unqualifiziert. Genauso wie die meisten meiner Mitfreiwilligen für ihre Projekte. Wie ist uns eigentlich der Gedanke in den Kopf gekommen, dass wir mit unseren gerade mal 18 Jahren und einem 10 Punkte Englisch Abi eine Klasse Siebenjähriger unterrichten könnten?

Wir sind weiss, wir müssen helfen

Getrieben vom White Saviour Complex (deutsch: Weiße Retter*innen Komplex) stürzten wir uns in die Arbeit. Wir waren überzeugt, in dem kleinen Spektrum in dem wir uns bewegten, könnten wir etwas verbessern. Hier ein Spenden- aufruf, da die Verteilung alter Kleider aus dem Heimatland an junge Frauen. Unbedingt wollten wir helfen, ungeachtet dessen, dass wir mit unserer Helferei mehr uns selbst halfen, als sonst jemandem.

Dass weiße Menschen denken, sie müssten oder könnten Menschen in Ländern des Globalen Südens retten, das beschreibt der Begriff White Saviour Complex. Es erscheint als vollkommen selbstverständlich, dass Teenager ohne irgendeine Form von pädagogischer Ausbildung dazu qualifi- ziert seien, Kinder zu unterrichten. Qualifizierter scheinbar als Lehrer*innen, die es in den Ländern in Subsahara-Afrika natürlich genauso gibt wie in Europa.

Schon 2012, als der Post-Abi-Tourismus eher noch vom Work-and-Travel in Australien geprägt war als vom Gut-Menschen-Tum in Ländern des Globalen Südens, schrieb der nigerianisch-amerikanische Autor Teju Cole im The Atlantic: „A nobody from America or Europe can go to Africa and become a godlike saviour or at least have his or her emotional needs satisfied.“ Wir waren diese nobodies. Diese nobodies gingen für Wochen, Monate in ihre Projekte, bekamen dort auf einmal Verantwortung, brachten Geld mit und wollten sich kümmern. Und sie bekamen, was sie wollten: Dankbarkeit.

Häufig konnte die vermeintlich gute Arbeit auch nicht ohne die breite Darstellung des eigenen Held*innentums auf sozialen Medien auskommen. Besonders beliebt dabei: Bilder, auf denen sich Freiwillige umringt von kleinen Schwarzen Kindern zeigen. Ich stellte schnell die nicht ganz so steile These auf, dass niemand die Kinder und auch nicht deren Eltern nach einer Erlaubnis für den Post gefragt hatte. Die Lebensrealitäten von Menschen im Globalen Süden werden zur Kulisse des Selbstfindungs-Theaters zahlreicher Teenager.

Vieles bleibt einfach unhinterfragt 

An dem Wunsch, nach der Schulzeit auch mal etwas für andere zu tun, ist nichts falsch. Aber warum dem dann nicht vor der eigenen Haustür nachgehen? Auch in Deutschland gibt es Menschen, die unter prekären Umständen leben. Man könnte auch einmal die Woche in der Suppenküche helfen oder Katzenklos im städtischen Tierheim sauber machen. Mit 18 Jahren kam mir dies natürlich nicht in den Sinn.

Natürlich kann man sich auf einer Reise mal aus der eigenen Komfort-Zone hinausbewegen wollen. Die große Auslandser- fahrung in einem weniger privilegierten Land als Deutschland, muss aber nicht mit den Menschen auf Instagram dekoriert werden, die unter diesen Standards leben und vielleicht auch leiden. Denn das Leben, das so unverfänglich, so spontan, so einfach aussieht („und trotzdem sind alle so glücklich und nett hier“) bedingt sich aus komplexen politischen und wirtschaftlichen Problemen.

Völlig unhinterfragt bleibt dabei auch, woher die strukturellen Probleme in Politik, Wirtschaft, Bildung und Arbeit dort überhaupt kommen. Als in den Grundkursen Geschichte und SoWi von Sklaverei, Kolonialismus und der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents für dessen Rohstoffe gesprochen wurde, waren die meisten wohl nur körperlich anwesend.

Fehlende Infrastruktur in den Ländern des Globalen Südens haben wir bejubelt, weil alle zwei Sekunden ein Minibus um die Ecke kommt und man sich nicht an die ordentliche zehn Minuten Taktung der Bahn halten muss. Woran nicht gedacht wird: Der Bus gehört wahrscheinlich zu einer kleinen Minibus-Flotte irgendeines Privatiers, der sich an dieser dumm und dämlich verdient, während er zeitgleich seine Mitarbeiter bis aufs Mark ausbeutet.

„Toll, wie die Menschen hier in den Tag hineinleben. Niemand macht sich Druck wegen der Zukunft“, hörte man regelmäßig bei lautstarken Telefon- gesprächen anderer Freiwilliger mit Familie und Freunden in Deutschland. Keine Gedanken wurde sich darüber gemacht, weshalb viele Menschen sich scheinbar keinen Druck bezüglich Zukunftsplanung machen. Dass es sich dabei nicht immer um eine freiwillige Entscheidung handelt, wird verkannt. In der Realität ist es nämlich so, dass viele Menschen hart als Tagelöhner arbeiten müssen, weil ihnen oft keine andere Option als diese bleibt, ein Einkommen zu verdienen. Ein Einkommen, das so gering ist, dass es das weite Vorausdenken in die Zukunft nicht zulässt.

Kann man es richtig machen?

Sechs Monate habe ich südlich der Sahara verbracht. So lang waren die wenigsten meiner Mitfreiwilligen vor Ort. Zwei bis drei Monate waren ein beliebter Zeitraum, genügend weiße Ritter*innen kamen und gingen allerdings auch wieder innerhalb weniger Wochen. Zumeist war es dann doch eher ein Intermezzo.

Was bleibt also am Ende? Die Zeit, die ich südlich der Sahara verbracht habe, würde ich für nichts auf der Welt eintauschen wollen. Natürlich war es bereichernd. Natürlich hatte ich dort eine großartige Zeit. Aber es ging um mich, es geht den Freiwilligen um sich. Wir halfen uns selbst, beim Sammeln von Erfahrungen, bei der Selbst- findung, bei der Erweiterung unseres Horizonts. Vielleicht auch einfach nur bei der Bewältigung der Langeweile, die einen überkommt, wenn man mit der Schule fertig ist und nicht weiß, was man dann eigentlich machen soll.


Illustration: Hannah Schrage (Anm. d. Red)

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