Angst hat jeder schon einmal gehabt: Manche haben Angst vor Spinnen, andere vor großen Höhen oder engen Räumen. Doch wann macht Angst krank? Wir sprachen mit Prof. Dr. Andreas Ströhle von der Angstambulanz der Berliner Charité.
Wenn sie mit dem Auto auf der Landstraße unterwegs ist, packt Heike die Angst – so beschreibt sie es in der daz, der Zeitschrift der Deutschen Angstselbsthilfe. „Das Unbehagen kroch vom Bauch über den Brustbereich in den Kopf. Ich hatte das Gefühl, dass mir die Sinne schwinden und ich gleich nicht mehr in der Lage wäre, das Fahrzeug sicher zu führen.“ Heike leidet unter einer spezifischen Phobie, die sie beim Autofahren auf der Landstraße befällt. Immer seltener traut sie sich ans Steuer, schon Tage vorher rauschen ihr Angstschauer über den Rücken.
„Manche haben zwar Angst vor den Geräuschen ihrer Kaffeemaschine, aber eigentlich sind spezifische Phobien recht selten. Häufiger sind eher soziale Phobien oder Panikstörungen“, sagt Oberarzt Andreas Ströhle.
Wir sprechen in seinem Büro in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie auf dem Campus der Charité in Berlin Mitte. Hier leitet der Oberarzt die Angstambulanz. Wir wollen von ihm wissen: Was ist das überhaupt, Angst?
„Zunächst einmal ist Angst ein allgemeines Warnsystem, das bei potentiellen Bedrohungen angeschmissen wird. Das kann sowohl ein Tiger im Wald als auch ein LKW im Straßenverkehr sein.“ Angst und Schmerz seien grundlegende Emotionen, die für Menschen und Tiere überlebenswichtig seien und viele Ängste würden durch die Erziehung oder Erlebnisse in der Kindheit entstehen. Ängste würden außerdem darüber entscheiden, wie wir in einer konkreten Gefahrensituation reagieren.
Das Zentrum der Angst im Körper ist die Amygdala im Gehirn. Die auch „Mandelkern” genannte Nervenzellsammlung bewertet eingehende Reize nach bisherigen Erinnerungen und löst im Fall von negativen Erfahrungen Angst aus, indem entsprechende Botenstoffe ausgeschüttet werden. Das heißt, wer schon mal von einem Hund gebissen wurde, wird Angst bekommen, wenn er wieder einen Hund sieht. Angst ist vor allem mit dem Gefühl verbunden, die Kontrolle zu verlieren. „Wir haben gelernt, mit gewissen Gefahren umzugehen“, erläutert Ströhle. „Das heißt, die Gefahren im Straßenverkehr kennen wir und damit können wir umgehen. Aber die Gefahren durch einen Flugzeugabsturz oder einen Terroranschlag sind für uns neu und deshalb haben wir Angst.“
Angst ist also erst einmal etwas völlig Normales. Doch wann wird sie krankhaft?
Andreas Ströhle sagt: „Wenn Angstsymptome häufig und in völlig alltäglichen Situationen auftreten, kann das auf eine Panikstörung hindeuten.“ Panikattacken beschreibt Ströhle als „fehlgeleitetes Kontrollsystem“, von denen 20 Prozent der Bevölkerung betroffen seien. Zu den körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schwitzen oder Atemnot kommen psychische Symptome hinzu. „Angsterkrankungen beeinträchtigen den Alltag der Betroffenen stark und können eine große Belastung sein“, so Ströhle. Viele Betroffene gingen angstbehafteten Situationen aus dem Weg, es komme zu Vermeidungsstrategien. Das könne zu sozialer Abkapselung führen, die sich im schlimmsten Fall zu einer Depression entwickeln könne.
Mit einem breiten Therapieangebot wird an der Charité Menschen mit Angststörungen geholfen. „Zuerst führen wir mit dem Patienten ein Erstgespräch und schauen dann, welche Therapiemethode am Passendsten ist.“ Und da gibt es einige, etwa die Exposition, bei der Betroffene ihren spezifischen Angstsituationen in professioneller Begleitung ausgesetzt werden. Aber auch Sport oder die Einnahme von Antidepressiva können bei Angststörungen helfen.
Andreas Ströhle arbeitet außerdem daran, dass Angststörungen in der Gesellschaft Akzeptanz finden. „Noch immer sind psychische Erkrankungen mit einem Stigma verbunden, aber wir sind da auf einem guten Weg, dass das abnimmt“, sagt er. Er ermuntert Menschen mit krankhaften Angststörungen dazu, offen mit ihren Krankheiten umzugehen und sich Hilfe zu suchen, statt die Angst krampfhaft zu verbergen.