Manche Dinge verraten viel. Viel über die Menschen, die ihr Leben um diese Dinge herum fristen. Über ihre Macken und ihre Leidenschaften, ebenso aber auch über die Banalitäten ihres Alltages. Manche Dinge verraten so viel, dass sie zu einem philosophischen Diskurs über das Sein, das Nichts, und das gute Leben einladen. Die Autorin bringt Licht ins Dunkle dieser Gegenstände: Ein Jahr lang stellt sie uns jeweils ein Ding aus ihrer Wohnungsgemeinschaft vor.

Ehe ich vor drei Jahren in meine Wohngemeinschaft eingezogen bin, habe ich bereits dort in der Wohnung übernachtet: auf einem grauschwarzen Sofa, auf dem Kissen und Decken großzügig drapiert sind. Es ist eigentlich L-förmig, kann aber bei Bedarf ausgezogen und zu einem Doppelbett umfunktioniert werden. Damals war ich Gast auf einer WG-Feier und hatte die letzte S-Bahn verpasst. Selbstverständlich wurde mir (und zwei anderen) das Sofa als Übernachtungsplatz angeboten. Es schläft sich gut auf diesem Sofa, auch zu dritt, aber wirklich zu schätzen gelernt habe ich es erst in den letzten drei Jahren.

Nach einem langen Tag an der Uni ist es schön, nach Hause zu kommen und sich mit seinen Mitbewohner*innen auf das Sofa zu fläzen. Manchmal sitzen wir still beisammen und jeder macht sein Ding: Einer lernt, die andere liest, das Geräusch von Tippen auf Tastaturen erfüllt das Wohnzimmer. Manchmal schauen wir einen Film oder lustige Videos auf Youtube. Und manchmal unterhalten wir uns einfach, essen und trinken gemeinsam. Es gibt keine Ecke in unserer Wohnung, die dieses gemeinsame Leben besser repräsentiert als dieses Sofa.

Abends sitzen meine Mitbewohnerin und ich oft schon bequem auf dem Sofa, wenn mein Mitbewohner von der Arbeit nach Hause kommt. Wir begrüßen ihn dann mit lauten Zurufen, er schenkt sich ein Glas Wein ein und gesellt sich dazu. Offiziell haben wir keine Sitzordnung, aber tatsächlich sitzt mein Mitbewohner immer in der langen Ecke des Sofas, in der man bequem die Füße hochlegen kann. In der Mitte sitzt meine Mitbewohnerin und ich sitze außen, weil ich oft aufstehe, um Schokoladennachschub aus der Süßigkeitenecke zu holen. Wenn jemand auf dem falschen Platz sitzt, wird gerückt und geräumt, bis alle wieder auf ihren Plätzen sitzen.

An der Wand hinter dem Sofa haben wir Fotografien von Menschen aufgehängt, die auf dem Sofa sitzen. Dort hängen aufwendig inszenierte Familienfotos, auf denen ehemalige, gegenwärtige und fast-schon-Mitbewohner brav lächeln. Die Aufnahmen wurden zu besonderen Anlässen geschossen, zum Beispiel zu unserem vorgezogenen WG-Weihnachtsfest „Pränachten“. Ehe das Festessen beginnen kann, wird jedes Jahr auf dem Sofa platzgenommen, die Kamera auf dem Stativ ausgerichtet und der Selbstauslöser eingestellt.

Außerdem hängen dort Selfie-Versuche, die im Laufe einer Party mit Einwegkameras geschossen worden sind. Halbverwackelt und mit Pausbäckchen lachen die Gäste in die Kamera. Und dazwischen gibt es auch ein paar Bilder von Socken, die auf dem Sofakissen liegen. Diese Fotos zeigen, wie sehr wir uns in den letzten Jahren verändert haben (Mein Mitbewohner hat sich einen Bart wachsen lassen). Sie zeigen aber auch, was gleichgeblieben ist: das Sofa und die Freunde darauf.

Wir sind eine offene Wohngemeinschaft, die gerne und oft Gäste bei sich aufnimmt. Das Sofa ist ein großer Teil dieser offenen Wohnpolitik: Wer bei uns einkehrt, den erwartet sowohl gute Gesellschaft als auch ein bequemer Schlafplatz. Diesen Sommer verlasse ich Berlin und muss deshalb schweren Herzens mein Zimmer in dieser Wohngemeinschaft aufgeben. Aber mich tröstet die Gewissheit: Ein Platz zum Schlafen und Menschen zum Reden werde ich in dieser Wohngemeinschaft immer haben – und zwar auf dem Sofa.