Techno, vegane Cafés, vintage Flohmärkte, in Neukölln am Späti chillen. Klingt cool? Das finde ich auch. Ich bin neu in Berlin und höchstens mittelmäßig cool. Ich möchte die weniger betont lässigen Seiten der Stadt erkunden. Ich freue mich natürlich auch über sau-coole Leser*innen. Denn auch coole Leute dürfen manchmal das Coolsein pausieren, den LSD-Trip verschieben und lieber Porzellan bemalen. Diesmal: Pilze sammeln am Wandlitzsee.

„Nächster Halt: Wandlitzsee”. An einem sonnigen aber schweinekalten Sonntagmorgen bringt mich die RB27 zum Wandlitzsee. Eine Pilzexpertin vom BUND und mindestens 30 weitere Pilzwütige warten schon. Heute wird gesammelt. Ist das jetzt uncool? Die Teilnehmer*innenzahl spricht dagegen.

Während des novemberlichen ‘Lockdown Light’ fallen viele Aktivitäten flach. Auch die uncoolen. Denn uncool sein garantiert leider keine Immunität gegen Covid-19. Pilze sammeln an der frischen Luft mit ausreichend Abstand zu anderen Sammler*innen geht jedoch. Aber natürlich sind wir nicht nur hier, weil es die einzige Covid-freundliche Aktivität ist. Nachdem die Exkursionsleiterin die 29 Euro Teilnahmegebühr von jedem einkassiert hat, laufen wir im Affenzahn vom Bahnhof an schnieken Häusern vorbei in den Wald. Das erhöhte Tempo schützt (vorerst) vor Kälte.

Mir fallen sofort die Pilzkörbchen der anderen Teilnehmenden auf. Rotkäppchen wäre neidisch. Für peinliche Körbchen bin ich jetzt aber wirklich zu cool. Ne Quatsch, eigentlich fänd ich so einen Korb ganz schick. Aber ich war zu verpeilt und habe mir morgens in Eile einfach die Plastiktüte vom gestrigen take-out mitgenommen. So wird sie zumindest ein zweites Mal genutzt, was die Umweltbilanz der schandvollen Plastiktüte natürlich maßgeblich verbessert.

So’n Korb ist schon was Feines. Foto: Marita Fischer
So’n Korb ist schon was Feines. Foto: Marita Fischer

Im wirklich wunderschön herbstlichen Wald angekommen werden wir für 20 Minuten zum Ausschwärmen geschickt und sollen alles was pilzt in unsere Körbe (oder Plastiktüten) legen. Wichtig: Immer mit einem Teil des unterirdischen Wurzelgeflecht ausgraben. Das braucht man unter Umständen für das Bestimmen der Pilzart.

Mir drückt erstmal der morgendliche Kaffee auf die Blase. Ich schwärme aus zum pinkeln. Danach wird die Tüte mit einer Vielfalt an Pilzen gefüllt. Erstaunlich wie viele, unterschiedliche Pilze man innerhalb von 15 Minuten in einem Areal von ca. einem Quadratmeter finden kann… Wir legen unsere Fundstücke auf Holzstämmen aus und die Expertin beginnt uns zu erklären, welche der Exemplare genießbar sind und welche uns umbringen können.

Ich hatte tatsächlich einige angeblich schmackhaften violette Lacktrichterlinge in der Tüte. Allerdings auch einige Pilze, die die Exkursionsleiterin als stark giftig identifizierte. Da ich meine genießbaren Exemplare munter mit den tödlichen Artgenossen in meiner Tüte gemixt hatte und sich kleine, tödliche Stücke lösen können, musste ich den kompletten Inhalt wegschmeißen. Sicher ist sicher. Mein Neid auf die Körbchen wuchs.

Nach der Auswertung der Beute ging es mit etwas Theorie weiter. Ich lernte: Es gibt drei Arten von Pilzen. Symbiotische Pilze leben in Harmonie mit Bäumen. Die Bäume geben ihnen Zucker ab, während die Pilze den Bäumen Wasser und Nährstoffe liefern. Dream-Team-Alert. Die zweite Sorte wächst auf umgefallenen Bäumen und herabgefallenen Blättern. Sie zersetzen abgestorbenes, organisches Material. Ihre Dienste sind unersetzlich für den Wald. Die letzte Sorte sind die Parasiten, die Pflanzen und andere Pilze befallen, berauben und ums Leben bringen. Die mag wirklich niemand.

Nach einigen weiteren Erklärungen zu Lamellen, Kappen und Pilzgeruch (der variiert von Anis über Knoblauch bis hin zu Alverde-Parfüm) ging das Pilzesammeln in die zweite Runde. Ich fühlte mich keineswegs schlauer als vorher und warf wieder unbedarft ein buntes Potpourri an Pilzen in meine Tüte. Resultat: hauptsächlich Nebelkappen. Nebelkappen sind komisch. In den USA werden sie als giftig eingestuft, während die Franzosen sie munter mümmeln.

Meine Pilzexpertin des Vertrauens verriet, dass sie roh auf jeden Fall giftig sind und selbst nach dem entgiftenden Kochen nicht besonders schmackhaft sind. Keine Lust auf aufwändig zubereitete, geschmacklose Pilzpfanne. Mein Beutelinhalt landet auf dem Boden. Egal. Die anderen haben spannendes gefunden und wir Lernen mehr über die unendlich komplexe Welt der Pilze. Mir war neu, dass ein in Oregon (USA) lebender Hallimasch-Pilz das größte Lebewesen der Welt ist. Blauwal, du Loser.

Schöner könnte Pilze sammeln kaum sein. Foto: Marita Fischer
Schöner könnte Pilze sammeln kaum sein. Foto: Marita Fischer

Liebe partywütige Berliner*innen, haltet euch vom Faltentintling fern. Er wirkt in Zusammenhang mit Alkohol giftig. Verspeist man den Pilz mit einem Glas Rotwein oder einem gediegenen ‘Sterni’, so verhindert der Pilz, dass unser Körper den Alkohol abbauen kann. Definitiv uncool. Nachdem uns die Wichtigkeit des Unterschied zwischen amorph und fasernd brechenden Pilzen erklärt wurde,  schwärmten wir ein letztes Mal aus.

Da Pilzesammeln doch eher im Bummel-Tempo geschieht und das Trennen von essbaren und giftigen Exemplaren ganz schön viel Zeit in in einer statischen Position abverlangt, war ich nach drei Stunden im Wald ordentlich durchgefroren. Ohne Gespür in den Fingern ist das Pilzesammeln schwer. Ich beschloss zum Bahnhof zurück zu hüpfen, statt weitere ungenießbare Nebelkappen zu sammeln.Die Expertin schaute alle Körbchen zum Abschied durch, um grünes Licht zum Verzehr zu geben. Meine Tüte war leer. Ich hatte Zeit für einen Kaffee im netten Bahnhofscafé.

Pilzesammeln ist auf jeden Fall eine willkommene Abwechslung zum öden Sonntagsspaziergang. Wenn ihr Laien seid und weder Lust auf eine begleitete Tour noch auf eine Pilzvergiftung habt, dann könnt ihr alleine losziehen und eure Beute dienstags von 18:00 bis 18:30 Uhr von Expert*innen des BUND in Schöneberg in der Pilzsprechstunde bestimmen lassen. Mir fällt keine coole Verabschiedung mit Pilz-Zusammenhang ein. Ein herzliches ‘tschüss’ muss deshalb reichen.


Titelfoto: Marita Fischer (Anm. d. Red.)