Techno, vegane Cafés, vintage Flohmärkte, in Neukölln am Späti chillen. Klingt cool? Das finde ich auch. Ich bin neu in Berlin und höchstens mittelmäßig cool. Ich möchte die weniger betont lässigen Seiten der Stadt erkunden. Ich freue mich natürlich auch über sau-coole Leser*innen. Denn auch coole Leute dürfen manchmal das Coolsein pausieren, den LSD-Trip verschieben und lieber Porzellan bemalen. Diesmal: Kräuterspaziergang im Prinzesinnengarten.

Pünktlich zum Sommerstart macht sich Berlin coronamäßig wieder locker. In Trippelschritten geht es wieder in Richtung Normalität, was dazu führt, dass mein Bewegungsradius in den letzten Wochen exponentiell gewachsen ist – inzwischen wissen ja alle, was exponentielles Wachstum bedeutet. So bin ich eines Samstags in der Ringbahn und fahre vom Westhafen ans andere Ende der Stadt: Hermannstraße.

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Verwunschener Prinzessinnengarten

Im nahegelegenen Prinzessinnengarten treffe ich etwa 15 andere Kräuter-Interessierte zu einem Kräuterspaziergang im seit 2016 geschlossenen St. Jacobi-Friedhof. Burkhardt Bohne ist Kräuterfanatiker und leitet den Spaziergang. Kurz bevor die Mittagshitze zu unerträglich wird, laufen wir in die letzte Ecke des halb verlassenen Friedhofs. Dabei sollten wir ganz still sein, um die Atmosphäre der Pflanzen auf uns wirken zu lassen. Das ganze ist zwar ein Hauch zu esoterisch für mich, ich halte aber aus Respekt vor den anderen Teilnehmer*innen trotzdem meine Klappe und schlendere schweigend durch den Garten. Tatsächlich ist man aufmerksamer und nimmt mehr von der Umgebung wahr, als wenn man in ein Gespräch vertieft wäre. Wer hätte das gedacht?

Bei der Führung sind so ziemlich alle Kräuter Thema

Nach dem gemütlichen Umherwandeln verstecken wir uns im Schatten eines riesigen Baumes, der laut Herrn Bohne den Kampf um das Habitat hier im äußersten Winkel des Prinzessinnengarten gewonnen hat, weil er ideale Bodenbedingungen vorfindet. Die Bodenfeuchtigkeit und vorhandenen Nährstoffe sind ideal für den Baum, weswegen er alle Konkurrenten ausschalten konnte. Herr Bohne erklärt, dass sich dies aber über die Jahre auch verändern kann und es mit Sicherheit auch tun wird. Der Klimawandel, aber auch das direkte menschliche Handeln in Form von Bepflanzung, künstlicher Bewässerung und Düngung führen dazu, dass sich die Bodenbeschaffenheiten konstant und zunehmend rapide verändern. Der Baum wird nicht mehr lange ideale Bedingungen vorfinden und wahrscheinlich von Nachfolgepflanzen, die es trockener mögen, abgelöst werden.

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Die Heilwirkung der Lungenpflanze ist umstritten

Neben dem Baum sind so ziemlich alle anderen umliegenden Gräser Thema. Warum sie hier wachsen, wie man sie erkennen kann und ob sie schmackhaft sind oder auch eine heilende Wirkung haben, wird erklärt. Außerdem spielen sogenannte Zeigerpflanzen eine große Rolle. Wenn man diese sprießen sieht, kann man genaue Rückschlüsse über die Bodenbeschaffenheit ziehen, denn sie haben nur eine geringe Toleranz gegenüber ökologischen Veränderungen. Nach 20 Minuten Vortrag schlendern wir weiter und begegnen der Lungenpflanze. Aufgrund der hellen Flecken auf ihren Blättern ähnelt die Pflanze der menschlichen Lunge und wurde auch tatsächlich als Heilmittel für Lungenkrankheiten verwendet. Heute ist ihre Wirkung umstritten.

Der Garten wirkt wirklich märchenhaft

Die Hitze nimmt zu, meine Konzentration ab. Anstatt dem Vortrag von Herrn Bohne zuzuhören, schaue mich im Garten um. Neben einigen Grabsteinen sehe ich Hochbeete, Tiefbeete und jede Menge wilde Wiesen, Büsche, Bäume und Kräuter. Der Garten wirkt wirklich märchenhaft. Vor allem der etwas verwilderte Stil gefällt mir gut. Ich sehe jede Menge Stellen, die zum Mittagsschlaf einladen.

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Sieht vielleicht aus wie Gras und Unkraut – ist aber alles sehr wertvoll, meint Kräuterführer Burkhard Bohne

Nachdem Herr Bohne noch einmal betont hat, dass wirklich jede Pflanze ganz essentiell für das Ökosystem ist und einige der Frauen mit Vorwissen ihre weiterführenden Fragen losgeworden sind, wird der Kräuterspaziergang mit einem abschließenden Wandeln im Stillen beendet.

Ich bedanke mich bei Herr Bohne für die lehrreiche Führung und wandele in eine besonders verlockende Ecke des Gartens und beginne den ersehnten Mittagsschlaf.

Ob mit oder ohne Kräuterführung, der Prinzessinnengarten ist wirklich ein empfehlenswerter Ort, der im Vergleich zum naheliegenden Tempelhofer Feld nicht nur mehr Vegetation und Schatten, sondern auch mehr Ruhe bietet. Definitiv ein Tipp für wochenendliche Picknicks oder Kaffeekränzchen. Ein kleines Café gibt es dort nämlich auch und auch wer nach einer neuen Basilikumpflanze sucht, weil die letzte aus dem Discounter doch recht schnell verwelkt ist, wird im Shop fündig werden.


Weitere Infos zum Prinzessinnengarten in Neukölln findet ihr hier.

Titelfoto: Prinzessinnengarten Kollektiv Berlin / nomadisch grün

alle anderen Fotos: Marita Fischer