Seit fast einem Jahr heißt es spazieren, spazieren, spazieren. Andere Optionen für die Freizeitgestaltung nach Hygienevorschriften gibt es kaum noch. Die ganze Lauferei könnte man doch nutzen, um dabei die Stadt zu erkunden und etwas zu lernen. Für diese Folge von Berlin für Uncoole habe ich mich auf einen Berlin History Walk begeben.

Berlin ist eine geschichtsträchtige Stadt. Wie oft hab ihr den Satz schon gehört oder gedacht? Wenn ihr zum Beispiel am alten jüdischen Friedhof, dem Reichstagsgebäude oder der Mauergedenkstätte vorbei kommt, da fühlt sich alles so wunderbar historisch bedeutsam an. Ohne regelmäßige Museumsbesuche und mehr oder wenig aufschlussreiche geschichtliche Ausstellungen, fühlt sich Berlin leer an.

Wenn die Museen zu haben, dann muss man sich seine Portion Geschichte eben woanders holen. Die App Berlin History weckt meine Neugier. Als ich sie herunter lade, werde ich mit historischen Orten überschüttet. Virtuelle Nadeln in unterschiedlichen Farben markieren auf der interaktiven Karte verschiedene Zeitabschnitte: blau ist alles vor 1933, grau ist die Zeit des Nationalsozialismus und rot die Zeit des zweiteiligen Berlins. Die gelben Nadeln zeigen alles von 1990 bis heute und ein weiterer Grauton zeigt die Zukunft. Es ist also für jede*n etwas dabei. Ich habe mich für eine Audio-Tour entlang Unter den Linden entschieden. In der kontaktlosen Stadtführung sollen die Straßen und umliegenden Gebäude zur Zeit der DDR erklärt werden.

Am Startpunkt, dem Brandenburger Tor, wartet schon meine Freundin. Zu zweit darf man ja noch bummeln. Noch vor den ersten Metern, direkt am Pariser Platz, streikt mein Handy und will die Audioclips nicht abspielen. Die Airpods meiner Freundin retten mich. Wir machen die Tour jetzt genau synchron. Richtig gemeinschaftlich. Ein komisches, kaum noch bekanntes Gefühl.

Vom Brandenburger Tor immer weiter Richtung Alexanderplatz

Die Tour beginnt mit generellen, klassischen Touri-Infos über das Brandenburger Tor. Nichts Erwähnenswertes. Erst der erstaunlich lange Beitrag zur russischen Botschaft weckt mein Interesse. Die russischen Diplomat:innen haben unter anderem ein Schwimmbad und einen Konzertsaal für 400 Menschen. Botschafterin müsste man sein. Oder man nutzt halt die öffentlichen Fazilitäten.

Auf unserem Weg die Straße herunter in Richtung Humboldt Uni und Alexanderplatz hören wir viel über Preußen und darüber, wie die DDR-Führung erst viele Statuen der imperialistische Kriegsmacht abgerissen und verbannt hat, nur um sie dann in der sogenannten preußischen Renaissance (in den frühen 80ern) wieder Unter den Linden aufzubauen.

Jetzt stehe ich vor der Humboldt Uni. Links das Hauptgebäude und auf der anderen Straßenseite die juristische Fakultät. Vor dem Hauptgebäude sind wie üblich die langen Tische eines Bücherflohmarkts aufgestellt. Der Audio-Guide schlägt vor, sich die imposante Eingangshalle der Uni anzusehen. Das Foyer meiner Uni würde ich wirklich gerne mal sehen. Das geht aber momentan nicht. Vielleicht ja im Sommersemester. Wir bleiben also draußen in der Kälte stehen, während wir von dem verheißenden Inneren des Gebäudes hören.

Eine Tour für wärmere Zeiten

Bevor wir weiter Richtung Museumsinsel und Schloss laufen, fällt mein Lieblingsfakt der Tour: Im Vorhof des Hauptgebäudes der HU steht eine kleine Statue der Kernphysikerin Lise Meitner. Die Statue wurde 2014 errichtet und war deutschlandweit das erste Monument einer weiblichen Wissenschaftlerin. 2014! Über so einen Fakt lässt sich natürlich herrlich feministisch seufzen und den Kopf schütteln.

Weiter geht’s zur alten Wache. Zu DDR-Zeiten wurde zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus Erde aus Konzentrationslagern und von Kriegsschauplätzen hierher gebracht. Heute hockt hinter den Gittern der Wache eine Statue von Käthe Kollwitz. Definitiv sehenswert.

Die Tour ist eher was für langsame Tourist*innen und wärmere Zeiten, denn das Tempo ist schneckenfreundlich. Im Sommer wäre es bestimmt herrlich so zu bummeln, bei gefühlten -10°C verabschiedet sich unser Blut aus Fingern und Zehen.

Der letzte Stop der Tour ist mit dem (neuen) Schloss erreicht. In der DDR wurde das Schloss abgerissen. Es verkörperte zu viel imperialistisches Preußen. Von 1973-2006 stand hier der Palast der Republik – das Parlament der DDR. Der heutige Schlossplatz hieß damals Marx-Engels-Platz. Wie könnte es anders sein? Neben Sitzungsräumen gab es wohl auch eine Bowlingbahn im Palast der Republik. Das wär doch mal was für den Bundestag. Titel der Petition für die parlamentarische Bowlingbahn: “Make Amthor bowl again”. Dringender wäre wohl aber eine Petition gegen das Humboldt-Forum, das mittlerweile in das wiederaufgebaute Schloss eingezogen ist. Milliarden wurden ausgeben, um ein preußisches Schloss wieder aufzubauen in dem unter anderem koloniale Raubkunst ausgestellt wird – echt jetzt?

Ende der insgesamt 75 Minuten langen Tour. Schnell ein Coffee to go und dann ab in die Tram. Mein Fazit: Die Audiotours und anderen geschichtlichen Infos, die in der App gesammelt sind, sind eine willkommene Motivation die Wohnung während des Lockdowns zu verlassen und ermöglichen eine Covid-gerechte Erkundung Berlins. Solange die Museen geschlossen sind, ist es also trotz der Kälte ein heißer Tipp.