Techno, vegane Cafés, vintage Flohmärkte, in Neukölln am Späti chillen. Klingt cool? Das finde ich auch. Ich bin neu in Berlin und höchstens mittelmäßig cool. Ich möchte die weniger betont lässigen Seiten der Stadt erkunden. Ich freue mich natürlich auch über sau-coole Leser*innen. Denn auch coole Leute dürfen manchmal das Coolsein pausieren, den LSD-Trip verschieben und lieber Porzellan bemalen. Diesmal: Ein Fesselworkshop.

Ich lasse mich und meine Seele baumeln. An Händen und Füßen gefesselt hänge ich von einer Bambusstange im Zimmer von Eru, einer netten Bondagetrainerin in Moabit. Freut euch auf ganz viel Errötungspotenzial in der zweiten Folge von „Berlin für Uncoole“.

First things first: Trigger Warnung. Eru machte mich darauf aufmerksam, dass man, wenn man über Bondage schreibt, eine Trigger Warnung voran schieben sollte. Verständlich. Menschen mit unangenehmen und ungewollten Fesselerfahrungen möchten vielleicht lieber etwas anderes lesen. Menschen mit einem zu dicken Stock im Arsch vielleicht auch.

Hier geht‘s jetzt aber los. Mit Seilen, Judo-Gürteln und jede Menge einvernehmlichen Fesselspielchen. Bondage, Submission und Domination sind ganz schrecklich verwerflich – fast schon pervers. Ich verstehe dieses hartnäckige, konservative Vorurteil nicht. Was zwei (drei, vier oder zehn) Menschen einvernehmlich miteinander treiben und ob sie dabei nackt sind, Socken oder Stricke tragen. Kann uns doch egal sein.

Genug Plädoyer für weniger Prüdheit und mehr sexuelle Experimentierfreudigkeit. Was braucht man für einen Fesselkurs? Neugier, etwas extra Geld am Ende des Monats und einen Mitbewohner, der sich mit Freude fesseln lässt. Da wir nur drei Menschen aus zwei Haushalten waren, Maske trugen und das Fenster offen war, konnte der Workshop auch während des „Lockdown-Light“ stattfinden.

Einige Minuten nachdem wir unterschrieben hatten, dass wir den Workshop freiwillig machen und einverstanden sind, von der Trainerin und dem jeweils anderen gefesselt zu werden, baumelte ich schon an vier Seilen von der Decke. Mein rechter Arm kribbelte erst und wurde dann taub. Das ist normal bei Anfänger:innen, beruhigte mich die Fesseltrainerin. Ansonsten war das gefesselte Herabhängen überraschend bequem. Ich war gefesselt und konnte wirklich nichts tun außer hängen. Das war befreiend. Ich konnte ohne schlechtem Leistungsgesellschafts-Gewissen einfach mal nichts tun. Fantastisch!

Unsere Kolumnistin beim Fesselworkshop. Foto: Marita Fischer
Unsere Kolumnistin beim Fesselworkshop. Foto: Marita Fischer

Dann war besagter Mitbewohner an der Reihe. Während er in den Genuss des Baumelns kam, führte uns unsere Unterhaltung vom Ursprung der Faszination fürs Fesseln und der BDMS-Szene hin zu freiwilligen Sklavinnen, die aus freien Stücken die eigene Autonomie abgeben, um einem Meister hörig zu dienen. Die Trainerin berichtete, dass die Sklavinnen (es sind wohl meistens Frauen) sich von ihren Menschenrechten verabschieden, um einfach verantwortungslos dienen zu können.

Ich war skeptisch. Davon, dass man über die eignen Menschenrechte disponieren kann, habe ich in vier Semester Jurastudium noch nicht gehört. Der vielsagende Blick von meinem Mitbewohner und Jurakommolitonen bestätigte meine Vermutung. Jura-Theorie beiseite. In der Praxis gibt es diese freiwilligen Sex-Sklavinnen. Wie autonom oder legal das Ganze ist sei mal dahin gestellt. Mittlerweile baumelte mein Mitbewohner selig von der Decke. Er bestätigte meine Begeisterung für das befreiende Gefühl einfach nichts tun zu können.

Nach dem Gebaumel waren unsere Sehnen und Muskeln sehr aufgewärmt. Mein ungedehnter Mitbewohner stöhnte etwas über die Positionen, in die ihn die Seile zwängten. Mir kam das gelegentliche Laien-Yoga zu Gute. Mein Arm war auch wieder hellwach.

Jetzt ging es an die Judogurte. Die Fesseltrainerin erklärte, dass die besser für Anfänger*innen sind, weil man sie mit einfachen Knoten fixieren und sie dementsprechend auch stressfrei wieder entknoten kann. Also kein Grund zur Panik für Erstfessler*innen. Während das eingängliche Gebaumel eher hypnotisch und wenig erotisch war, wurde es jetzt heißer. Die Fesseltrainerin zeigte uns mehrere Haltungen, in die man den/die Partner*in zum gegenseitigen Vergnügen fesseln und fixieren kann. Wir erzeugten unbekannte und erfreuliche Kurven.

Natürlich spielen Machtdynamiken bei dem Fesseln eine Rolle. Natürlich geht es darum, eine Person in eine Art Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein zu fesseln. Aber es ist freiwillig und selbstbestimmt. Genau deswegen ist es auch völlig ok. Und auch ein Bisschen hot, wie ich feststellen musste, als ich auf den zusammengeknoteten, aufgewölbten Körper meines Mitbewohners blickte.

Jetzt wurden mir die Judogurten um Beine, Taille und Kopf geflochten. Während ich kurz in den Gurten ausharrte um meine Gliedmaßen in den ungewohnten Positionen zu spüren, kamen wir auf Schmerz und Hormone beim Sex zu sprechen. Ich war gleichermaßen geschockt und begeistert, als uns die Fesseltrainerin offenbarte, dass sich einige erfahrene Fessler*innen mit Hilfe von Bambus in so schmerzhafte Positionen fesseln lassen, dass der Körper als Antwort auf den Schmerz große Mengen Dopamin ausstößt. Die Mischung aus Schmerz und Glückshormonen führt zu einer Art Sex-Trance, berichtete die Trainerin. Glückshormone und Trance klingt ja schon verlockend. Unfassbare Schmerzen jetzt eher weniger. Aber hey – jedem/jeder das seine/ihre.

Unsere Kolumnistin hat verschiedene Fesseltechniken ausprobiert. Foto: Marita Fischer
Unsere Kolumnistin hat verschiedene Fesseltechniken ausprobiert. Foto: Marita Fischer

Insgesamt lernten wir vier verschiedene Arten uns gegenseitig zu fesseln. Ich war sehr konzentriert darauf, den Anweisungen der Fesseltrainerin zu folgen und meinen Mitbewohner artgerecht festzuzurren. Als das Werk vollbracht war, hatte ich das Gefühl, dass ich nicht so recht wusste, wie genau ich die vier Gurte jetzt verschnürt hatte. Nur das Wichtigste: nicht auf die Gelenkte und keine Gliedmaßen alleine Fesseln, konnte ich mir merken. Mein Mitbewohner hat ein besseres Gedächtnis für Fesseltechniken und beteuerte, dass er sich alles gemerkt habe.

Nach zwei Stunden lagen die zehn Judogurte auf dem Teppich und unsere Gliedmaßen erfreuten sich ihres gewohnten Freiraums. Zuhause angekommen bestellten wir sofort acht rote Judogürtel. Damit man das Gelernte nicht vergisst, muss man regelmäßig üben. Unser wöchentliches WG-Kochen wir jetzt um eine Fesselübung erweitert.

Neben den praktischen Fesselskills, muss ich die lockere Atmosphäre und unser offenes Gespräch über Sex, Erotik und leider noch verpönte sexuelle Vorlieben lobend erwähnen. Wie schön es doch wäre, wenn wir alle uns die Stöcke aus dem Arsch ziehen würden und etwas lockerer über Puppying, Fesseln und all diese gar nicht so dreckigen Schmuddeleien sprechen würden. Damit und mit einem herzlichen ‘tschüss’ verabschiede ich mich für dieses Mal. 


Titelfoto von Marita Fischer (Anm. d. Red)