Der Journalist Patrick Stegemann hat mehrere Jahre Undercover in rechten Netzwerken recherchiert. Im Interview erzählt er, was die Stilmittel und Ideologien rechter Influencer*innen sind und was daran gefährlich ist.
Zur Person: Patrick Stegemann, Jahrgang 1989, hat Kommunikation, Sozialwissenschaften sowie Peace & Conflict Studies und Hebräisch an der HU Berlin, sowie in Erfurt, Haifa und Kairo studiert. Er arbeitet als Journalist und Autor in Berlin. Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich schon mit der Rechtsextremismus im Internet. So hat er zusammen mit einem Team aus Journalist*innen und Hacker*innen die Dokumentation „Lösch Dich – So organisiert ist der Hate im Netz“ gedreht und mit Sören Musyal das Buch „Die rechte Mobilmachung – Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen“ geschrieben.
UnAuf: Wenn man sich rechte Influencer*innen anschaut, dann sehen die ja auf den ersten Blick gar nicht so anders aus, wie „normale Influencer*innen“. Was sind denn eigentlich die Unterschiede?
Patrick Stegemann: Ja, das ist ganz richtig. Auf den ersten Blick sind sie oft nicht zu erkennen. Aber ich glaube, der große Unterschied ist, dass es eine politische Strategie gibt, nämlich ihrer menschenverachtenden radikalen Ideologie ein sympathisches Antlitz zu geben. Und das unterscheidet sie dann doch von anderen Influencer*innen, die Schuhe oder Shampoo verkaufen. Rechte Influencer*innen verkaufen eine Ideologie und versuchen, dieser Gesichter, Emotionen und Geschichten zu geben.
Und in was äußert sich das dann konkret?
Es sind vor allem Inhalte und Verschwörungstheorien, wie die des Großen Austauschs, die immer wieder benutzt werden oder auch rassistische Argumentationen. Aber natürlich gibt es auch Marken, die da auftauchen, wie Phalanx Europa, die Marke, die Martin Sellner mal gegründet hat, einer der zentralen Influencer und politischen Aktivisten der extremen Rechten.
Und wenn wir dann von der ersten oberflächlichen Ebene weg gehen und schauen, was die Leute vermitteln wollen. Was steht denn da für eine Ideologie dahinter?
Es gibt zwei, drei zentrale Ideologien dahinter. Das eine ist der Ethnozentrismus. Also der Gedanke, dass Kulturen „abgeschlossen seien“ und einen bestimmten Ort haben. Das ist eine neue Form von Rassismus, die wir aber schon seit den 90er-Jahren innerhalb der extremen Rechten haben. Also so wahnsinnig neu ist das nicht, aber sie verkaufen es als neu. Dieser Ethnopluralismus ist eines der zentralen Gedankengebilde und damit geht auch so etwas einher, wie die Verschwörungstheorie des Großen Austausches, also der Glaube, dass es einen Plan gäbe, die einheimische Bevölkerung irgendwie zu ersetzen.
Also verkürzt gesagt sind das einfach alte Themen unter neuem Mantel.
Ja, das könnte man verkürzt so sagen.
Und wie sehr geht es auch darum eine Diskursverschiebung zu erreichen? Also diese Theorien und diese Ideologie mainstreamfähig zu machen.
Genau das ist die Strategie. Den Diskurs zu verändern und ihn auch zu beenden. Das ist ja das was Martin Sellner mit Götz Kubitschek sagt: Wir wollen keine Beteiligung am Diskurs haben, sondern sein Ende als Konsensform. Das bedeutet nichts anderes als das Ende der bürgerlichen Debatte, des Geredes. Und das glauben sie erreichen zu können, indem sie den Diskurs schrittweise vergiften und Rassismus annehmbar und diskutierbar machen.
Und in was für Stilmitteln zeigt sich denn diese Diskursverschiebung? Also was machen die konkret für Formate?
Also es ist ganz unterschiedlich. Die Idee ist ja die einer Kontrakultur, so nennen sie das selber. Also eines geschlossenen subkulturellen Gebildes, in dem es für alle Kulturangebote des Mainstreams ein Gegenangebot gibt. Das bedeutet, dass wir im Grunde alles haben. Wir haben rechte Buchverlage, rechte Rapper*innen, rechte andere Musiker*innen. Wir haben YouTube-Kanäle, Instagram-Kanäle, Twitch-Streamer*innen, Sub-Reddits. Also die Idee ist schlicht, für jedes Mainstream-Angebot ein entsprechendes Gegenangebot zu schaffen.
Also eine Art Parallelwelt.
Genau eine mediale Parallelwelt, die dazu dienen soll, selber die eigenen Gedankengebilde billig zu verkaufen, aber natürlich auch Menschen vom Mainstream, von der Wahrheit und vom öffentlichen Diskurs zu entfremden.
Und das heißt dann auch, dass sie mit anderen Akteur*innen der rechten Szene zusammenarbeiten, wie etwa der AfD.
Das, was wir rechte Influencer*innen nennen, sind in Wahrheit rechte Aktivist*innen. Rechte Influencer*innen klingt nur netter.
Also der Begriff ist vielleicht auch ein wenig verharmlosend.
Genau, die Kritik nehme ich durchaus an. Weil es eben nicht nur Leute sind, die es irgendwie machen, sondern das sind meist Kader, die sich ganz bewusst entscheiden haben, diese Plattformen zu benutzen für Propaganda. Das unterscheidet sie ganz eindeutig von normalen Influencer*innen. Es sind Aktivist*innen und die Verbindungen zur AfD sind wahnsinnig eng. Die Partei bedient sich ihrer diskursiven Power für den Wahlkampf und ist der parlamentarische Arm dieser Leute.
Kommen wir nochmal zu den Plattformen an sich. Wie sehr schafft es denn die rechte Szene die Mechanismen der sozialen Netzwerke für sich auszunutzen?
Die Plattformen waren lange Zeit sehr schlecht darin, dagegen etwas zu tun. YouTube etwa neigt dazu, hohen Emotionalisierungen Raum zu geben. Gerade die Inhalte der extremen Rechten sind stark emotionalisiert und bedienen sich negativer Emotionen wie Angst und Wut. Das überträgt sich in sozialen Netzwerken besonders gut. Wir erleben das gerade in den USA mit dem QAnon-Verschwörungsmythos, dessen die Plattform überhaupt nicht Herr wird. Also die Frage ist eher, findet da etwas zusammen, wie gut ist die Neue Rechte darin, das auszubeuten.
Seit 2016 merken wir aber einen gewissen Wendepunkt. Die Plattformen machen zunehmend Warnhinweise und sperren. Sind die Plattformen deiner Ansicht nach stärker geworden?
Ich glaube, dass die globale Pandemie dazu beigetragen hat das Bewusstsein zu erhöhen. Erst gerade wurde Chris Ares gesperrt, ein rechter Rapper. Martin Sellner wurde gesperrt. Und auch im US-amerikanischen und britischen YouTube wurden extrem rechte Influencer*innen gesperrt. Das ist, wenn das gerichtsfest ist, erstmal eine gute Nachricht. Die Plattformen werden, glaube ich, tatsächlich besser wegen der globalen Pandemie, weil ihnen klar geworden ist, dass Desinformation tödlich ist.
Und glaubst du, dass das auch irgendwelche Auswirkungen auf Wahlen, etwa die US-Wahl, haben könnte?
Wir haben ja in den USA 2016 gesehen, wie wichtig die Trollosphäre war. Es wurde häufig überschätzt in seiner Wirkung, aber es erzeugt erst einmal billiges mediales Grundrauschen in den sozialen Medien. In Deutschland sehen wir etwas, nämlich dass die AfD als parlamentarischer Arm der extremen Rechten ein Influencer-Network hat. Das, was die AfD hat, kann sich keine andere Partei aufbauen.
Sie haben ja auch diesen Newsroom.
Es ist gar nicht so wichtig, wie die AfD organisationell aufgestellt ist. Ich glaube, die CDU hat den besseren Newsroom im Vergleich zur AfD. Aber die AfD hat ihre rechten Influencer*innen und das ist viel, viel mehr wert, weil die einen unabhängigen Eindruck machen und ähnliche Nachrichten in sozialen Netzwerke streuen. Extrem rechte Rapper wie Chris Ares machen Werbung für die AfD. Das kann man sich bei keiner anderen Partei vorstellen, dass jetzt MoTrip hingeht und sagt, wählt mal die Grünen.
Es gibt ja viele linke Influencer*innen, aber die wenigsten jetzt wirklich Werbung für Parteien machen.
Genau, ich glaube das hat unterschiedliche Gründe. Also sie schrecken auch davor zurück. Parteien versuchen ja auch Influencer*innen anzukaufen, kriegen sie aber nicht hin, weil Influencer*innen sich da nicht die Finger verbrennen wollen. Letztlich ist es ja deren Job, Sachen zu verkaufen und nicht Politik zu machen. Da war jetzt der Aufruf vor der Europawahl von Rezo eine der wenigen Ausnahmen.
Die Frage ist ja auch, was da linke Bewegungen dem rechten Netzwerk entgegenhalten? Die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) versucht es ja gerade mit einer Influencerschmiede.
Also der Versuch der RLS ist wirklich sehr süß. Das soll jetzt nicht abschätzig klingen, ich finde das erstmal richtig, das zu machen und sich diesem Raum anzunehmen. Das hat die Linke oder überhaupt die liberale Mehrheitsgesellschaft lange nicht gemacht, sich politisch des digitalen Raums anzunehmen und zu sagen: Der ist politisch. Da werden politische Themen verhandelt und wir müssen da da sein. Deswegen ist das, was die RLS gemacht hat, ein erster Schritt, den andere demokratische Bewegungen auch machen sollten. Diesen Raum ernst zu nehmen, dort präsent zu sein und den als Raum des Diskurses überhaupt zu begreifen.
Und vielleicht zum Schluss und um zu euren Recherchen zu kommen. Wie seit ihr denn da vorgegangen?
Wir sind vorgegangen, wie man als Journalist immer vorgeht. Wir haben 2016/17 festgestellt, dass es in der Bubble, in der wir uns hier bewegt haben, privat, aber auch als Journalisten, eine Welle von reaktionären Inhalten gibt. Von Menschen, die andere mundtot machen in der Art und Weise, wie sie kommunizieren und damit die Meinungsfreiheit einschränken. Wir haben uns diese Inhalte angeschaut und haben uns gefragt: Wo kommt eigentlich der Hass her? Wo kommt das Trolling her? Das war so der erste Schritt. Wir haben uns dann andere Identitäten zugelegt, viel Undercover recherchiert und uns sozusagen selber als Trolle und Rechtsextreme ausgegeben, um in diese Netzwerke zu kommen und zu schauen: Wie ist das organisiert?
Wir haben dann in einem zweiten Schritt diese Leute auch getroffen. Wir haben Martin Sellner, Malenki und viele andere Leute getroffen, um zu verstehen, was deren Strategie ist. Wir sind auch in die USA gereist und haben versucht zu verstehen, wie es da funktioniert hat 2016. Was die Idee ist, die davon nach Deutschland gekommen ist. Wir haben mit ehemaligen Google-Ingenieuren gesprochen, mit Managern von Instagram und Facebook, um zu verstehen: Wie passt das eigentlich zusammen? Also wie passen diese Logiken der Netzwerke zusammen mit dem wie die Influencer*innen funktionieren?
Macht das denn auch emotional etwas mit einem, wenn man sich als Rechter ausgibt oder auch mit diesen Menschen redet, die man ja selber wohl eher verabscheut?
Nicht unbedingt verabscheut, aber zumindest aus vollem Herzen ablehnt. In unserer ersten großen Recherche, die ja dann zu dem Film Lösch dich geführt hat, haben wir wirklich ’ne harte Zeit gehabt, weil wir einfach sehr viel in diesen Servern unterwegs waren, wo schlimme Sachen gepostet werden. Schlimme Bilder, schlimme Videos. Wir haben selbst diese Videos gesehen. Und irgendwann waren wir auch Teil dessen. Leute, die wir kannten, die mir nahe standen, wurden online verfolgt, wie Tarik Tesfu damals. Alle seine Accounts wurden gehackt. Und das hat natürlich was mit uns gemacht und auch uns paranoid gemacht. Ich glaube, wir sind aber besser darin geworden, davon Abstand zu nehmen. Wir recherchieren ja immer noch in dem Milieu, aber wir machen das nicht mehr so 24/7.
Es kam ja auch sicherlich ganz schön was zurück, als rauskam, dass sich zwei Journalisten mit Deckaccounts in diesen rechten Netzwerken rumtreiben.
Absolut. Und das hat uns auch belastet. Das war nicht so leicht. wir haben natürlich auch Sicherheitsvorkehrungen geschaffen.
Aber bisher ist noch nichts richtig schlimmes passiert?
Nichts, was uns vom Weitermachen abhalten würde.
Aber ihr geht dann schon gegen irgendwelche Hassmails strafrechtlich vor.
Wir sind auch schon gegen Sachen strafrechtlich vorgegangen, klar. Aber wie gesagt, wir sind cooler damit geworden und ziehen uns das alles auch nicht mehr alles rein. Ich glaube, dass ist auch diskursiv wichtig: Es ist wichtig, dass Leute das machen, was wir hier machen. Oberes gibt auch andere Themen. Wir beschäftigen uns auch mit Fragen, wie Gesellschaft besser wird, arbeiten investigativ auch an anderen Skandalen und ich habe ja auch einfach ’nen Job als Journalist, in dem ich mich auch mit anderen Themen beschäftige.
Diese Interviewreihe ist der erste Teil des Inlandprojektes 2020 der UnAufgefordert, das sich mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzt. Die beiden anderen Teile bestehen aus einer Heftveröffentlichung im Dezember sowie einer Online-Podiumsdiskussion am 7.12 mit dem Titel „World Wide Rechts – Wie Rechte in sozialen Netzwerken agieren”. Weitere Infos dazu findet Ihr hier.
Dieses Projekt wird gefördert durch die Humboldt-Universitäts-Gesellschaft.
Illustration: Jens Jeworutzki (Anm. d. Red.)