Es besteht ein enormer Unterschied zwischen der Wahrnehmung des männlich und des weiblich gelesenen Oberkörpers – das wissen wir nicht erst seitdem eine Frau wegen ihrer entblößten Brüste einen Platzverweis erhielt. Der Fall ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr der Frauenkörper durch eine patriarchale Sichtweise geprägt ist.

Nacktheit stellte lange Zeit ein großes Problem für mich dar – nicht unbedingt die der anderen sondern meine eigene. Deshalb flog ich mit 18 Jahren auch mal hochkant aus der Sauna. Ich hatte meinen Bikini damals anbehalten, weil ich mich nackt oder oben ohne zu unwohl gefühlt hätte. Immerhin war mir bereits in der frühen Pubertät von männlichen Mitschülern und Lehrern eingetrichtert worden, dass der Wert einer Frau sich an ihrem Körper bemesse und die Intimzonen – nun ja – intim bleiben sollten. Der Saunameister forderte mich dann vor allen anderen Gästen, von denen unangenehm viele Männer und jenseits der 40 waren, dazu auf, entweder mein Oberteil auszuziehen oder zu gehen. Ich entschied mich für zweiteres. Hinaus begleitet wurde ich von den spöttischen Zurufen eines Mannes, der mehr als doppelt so alt war wie ich.

Umgekehrt erging es Gabrielle Lebreton an einem Wasserspielplatz im Plänterwald vor zwei Wochen. Dort maßte sie es sich an, ihr Oberteil auszuziehen und sich oben ohne zu sonnen. Nachdem die Frau sich den Aufforderungen von zwei Parkaufsehern widersetzte, ihre Brüste zu bedecken (und auf die Frage nach dem ‚Warum‘, die Antwort bekam, weil sie eben Brüste habe) – riefen diese die Polizei. Die Beamten forderten Lebreton dann dazu auf, entweder ihr Oberteil anzuziehen oder zu gehen. Sie entschied sich für zweiteres. Ihr ebenfalls oberkörperfreier Freund ging mit ihr, obwohl er bleiben hätte können – seine Nippel waren keine Ordnungswidrigkeit.

Dass die nackte Brust und damit der weiblich gelesene Körper sexualisiert wird – spätestens sobald er entblößt ist – das ist auf Social Media schon seit Jahren Thema. Denn Instagram löscht Postings, auf denen weibliche Nippel zu sehen sind, weil sie nicht den Community-Guidelines entsprechen. Im Alltag reicht auch schon etwas zu dünner Stoff aus, um als anstößig wahrgenommen zu werden. Denn wenn ich in Berlin mit einem Oberteil rumlaufe, bei dem zu sehen ist, dass ich keinen BH darunter trage, folgen mir häufig Blicke – oder besser gesagt meinen Brüsten. Eine Freundin hat mir dazu letztens erzählt, dass ihr Vater es provokant fände, wenn Frauen keinen BH trügen, weil sie dadurch nur Aufmerksamkeit wollten. Ich frage mich, wieso es provokanter ist, meinen Körper einfach Körper sein zu lassen, anstatt meine Brüste durch wattierte Cups in die Form von zwei Halbkugeln zu pressen.

Männer hingegen müssen sich mit solchen Kleinigkeiten nicht beschäftigen. Sie können so ziemlich immer und überall die Hüllen fallen lassen (eine Redewendung, die mir im Übrigen auch nur im Bezug auf Frauen geläufig erscheint). Das schlimmste was ihnen passieren kann, ist, dass sie damit vielleicht etwas am Dresscode vorbeischrammen. Aber ich habe noch nie von einem Mann gehört, dass ihm mehrere Augenpaare minutenlang an den Nippeln klebten. Auch nicht davon, dass er von Polizistinnen oder Polizisten dazu aufgefordert wurde, sich etwas überzustreifen, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Und über sich abzeichnende Nippel verschwendet vermutlich kein Mann auch nur einen Gedanken – solange es die eigenen sind.

Aber der gesellschaftliche Blick auf eine als Frau gelesene Person ist patriarchal geprägt. Immer noch maßen sich viele Männer die Entscheidungsgewalt darüber an, wann ein weiblicher Oberkörper entblößt sein darf und wann nicht. Während es also in der Sauna ein absolutes Muss ist, seine Brüste zur Schau zu stellen, wird im Alltag schon der Verzicht auf den BH mit Aufmerksamkeitsgeilheit und einer gewissen Luderhaftigkeit assoziiert. Und dieses vergleichsweise nette Urteil bekommt eine Frau auch nur, wenn sie mit einem Aussehen und Rollenbild ausgestattet ist, das sich sexualisieren lässt. Denn Frauen, die den gängigen Schönheitsidealen nicht entsprechen, trans, körperlich benachteiligt oder übergewichtig sind, wird ein freier Umgang mit ihren Körpern noch weniger zugestanden. Ebenso wenig Müttern, wie Lebreton, die im Plänterwald mit ihrem sechsjährigen Sohn unterwegs war. Und dass Brüste auch zum Stillen gut sind, wollen viele immer noch nicht in der Öffentlichkeit sehen.

Aber ebenso wie sich in den Sozialen Netzwerken bereits seit Jahren Widerstand gegen das Nippel-Verbot zeigt, führte auch der Fall im Plänterwald zu öffentlicher Empörung. Diese zeigte sich letzten Samstag besonders deutlich in Form dutzender oberkörperfreier Frauen in Kreuzberg. Dorthin hatte die Gruppe “Hedonistische Nationale” unter dem Titel “No Nipples are free until all nipples are free” zu einer Fahrraddemonstration geladen – und zwar Frauen oben ohne und Männer im Bikinioberteil. Auch das Bezirksamt Treptow-Köpenick reagierte auf den Fall Lebreton – mit einer Entschuldigung und einer Einladung zum Gespräch mit der Gleichstellungsbeauftragten. Fehler wurden öffentlich allerdings keine eingestanden, sondern noch einmal auf das auf dem Wasserspielplatz geltende FKK-Verbot hingewiesen.


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