Instagram beschränkt sich nicht mehr auf Urlaubsfotos, Foodblogs und inspirierende Zitate: Die Präsenz von Aktivist*innen wächst. Vor allem während den Black Lives Matter Protesten im Sommer 2020 erhielten Bi_PoC Creators neue Sichtbarkeit. Gleichzeitig sind Antirassimus-Aktivist*innen systematisch von rechtem Hass und Shadowbanning betroffen. UnAuf hat mit Elli, Aktivistin und Gründern von @blackinwhitefamily, gesprochen, um die Frage zu beantworten: Ist es überhaupt möglich, Instagram wieder zu verlassen?

Was nach einer ganzen NGO klingt, basiert auf der Arbeit nur einer Person: Erst im Sommer 2020 rief Elli den Blog und die Instagram-Seite Black in white family ins Leben. Die Studentin will mit ihrem Aktivismus Schwarze Menschen und Menschen of colour vernetzen, die in weißen Familien leben. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Transracial Adoptees (kurz: TRAs), Menschen meist aus dem Globalen Süden, die wie Elli von Familien adoptiert wurden. Auf ihrem Blog schreibt sie von ihren Erfahrungen. Sie lässt andere teilhaben, was sie daraus gelernt hat, Rassismus mit ihren weißen Verwandten zu thematisieren und als Schwarze Frau in einer weißen Familie zu leben.

Der auslösende Moment dafür waren die Black Lives Matter Demos letzten Juni. „Ich hab‘ meiner Familie erzählt, dass ich da (Anm. der Red.: auf der BLM-Demo) war und ich mich freuen würde, wenn sie sich auch rassismuskritisch bilden und bin damit aber total gegen die Wand gefahren“, erzählt sie. Deshalb schreibt Elli persönliche und argumentativ starke Texte, die anderen Bi_PoCs Kraft geben sollen, sich zu vernetzen und Erfahrungen sichtbar zu machen. Gleichzeitig will sie weiße Eltern von nichtweißen Kindern bewegen, sich antirassistisch zu bilden.

Ellis Motivation zum Aktivismus entstand aus einem Vakuum heraus: Sie fand keine Austauschräume für TRAs , also schuf sie ihre eigenen. Sie suchte vergeblich nach Daten zur Adoption von nichtweißen Kindern in Deutschland, also entwarf sie ihre eigene Studie. Doch Elli brauchte eine Plattform, um ihre Zielgruppe zu erreichen. Instagram ist dafür sehr geeignet – fix ist ein Konto eingerichtet. Aus praktischen Gründen wählte Elli auch Instagram im Gegensatz zu anderen Social-Media-Plattformen. Sie hatte die App für den privaten Gebrauch bereits installiert. Ursprünglich wollte sie den Instagram-Account vor allem nutzen, um ihren Blog zu promoten, betont Elli. Jetzt ist er eine Plattform für sie, neben ihrem Blog und den vier Safer Spaces*, die sie für Bi_PoCs/TRAs bzw. weiße Eltern von nichtweißen Kindern anbietet.

Doch Instagram ist für Bi_PoC kein neutrales Terrain. Die Praxis des Shadowbanning machte in den letzten Jahren immer wieder Schlagzeilen. Viele Bi_PoCs entschieden sich dafür, die Plattform zu wechseln. Aber was ist Shadowbanning? Shadowbanning „ist eine Online-Moderationstechnik, die benutzt wird, um unerwünschtes Userverhalten zu bestrafen“, schreiben die Wissenschaftler*innen Erwan Le Merrer, Benoît Morgan and Gilles Trédan 2020 in einer Studie. Ohne das Wissen der Content Creators wird die Reichweite eingeschränkt, Posts gelöscht oder sogar der Account gesperrt. Das betrifft vor allem Bi_PoC, behinderte oder queere Menschen. Schwarze Stimmen werden stumm gemacht, antirassistische Bildungsarbeit gelöscht, während Rechte ihren Hass verbreiten dürfen? Klingt bekannt. Auch hier ist die virtuelle Welt der realen leider ziemlich ähnlich.

Warum also ist Elli auf Instagram? Wie bereits erwähnt, wählte sie die Plattform vor allem aus praktischen Gründen. Elli lernte Aktivist*innen aus anderen Ländern kennen und wurde von vielen Transracial Adoptees aus Deutschland kontaktiert. Wenn Elli redet wird deutlich, dass ihr Aktivismus ein Community-Unterfangen ist. Sie betont oft, wie sie auf kollektivem Wissen und Erfahrungen aufbauen konnte: „Meine Inspiration sind eigentlich andere Aktivist*innen, teilweise sogar die weißen Eltern mit denen ich im Gespräch bin. Die sind meistens, nicht immer, eine leichte negative Belastung und Inspiration. Und natürlich auch BI_POCs und TRAs in weißen Familien.“ Die große Reichweite und einfache Vernetzung, die Instagram bietet, ist für Ellis Aktivismus also sehr wichtig!

Der Großteil von Ellis Aktivismus ist auf Instagram gar nicht sichtbar. Neben den Safer Spaces, die im Moment auf Zoom stattfinden, führt sie regelmäßig Einzelgespräche mit anderen Bi_PoCs oder TRAs. Denn Instagram ist kein magischer Ort. Es ist kostenlos und relativ niederschwellig. Gleichzeitig wird es regelmäßig kritisiert, Bi_PoC Creators gezielt zu shadowbannen.

Auch Elli hat den neuesten „Trend“ des Shadowbanning unter befreundeten Aktivist*innen mitbekommen. „Das hat mich so genervt“, erzählt sie, „und dann dachte ich mir irgendwie: Wenn die unseren Content eh nicht haben wollen, dann kann ich meine Energie auch auf eine Plattform übertragen, auf der ich wirklich bestimme, was ich schreiben kann, wo ich im Notfall die bin, die zensiert.“ Sie hat seither beschlossen, längere Posts wieder auf ihrem Blog zu veröffentlichen und Instagram nur zur Ankündigung zu nutzen. Außerdem denkt sie darüber nach, eine Patreon-Seite einzurichten. Dann müssten die Menschen für ihre Inhalte zahlen – was ihre Arbeit weniger zugänglich machen würde. „Ich bin auch nicht unbedingt der größte Fan von Instagram…“ Sie zuckt mit den Schultern und lacht. „Es ist aber leider wirklich praktisch!“

Ellie gesteht, dass sie ihren Blog ohne Instagram wahrscheinlich nicht betreiben könnte. Sie bleibt jedoch auch nicht aus Protest, sondern aus primär praktischen Gründen. Bi_PoC Aktivist*innen müssen die Vor- und Nachteile von Instagram also genau abwägen. Während manche die Plattform verlassen, bleiben viele andere, weil Instagram so beliebt ist und viele potenzielle Follower*innen mit sich bringt. Elli ist vielleicht nicht repräsentativ für alle Content Creators, weil sie quasi zufällig auf Instagram gelandet ist und es nicht als ihre primäre Plattform sieht. Wenn sie allerdings auf Instagram verzichten würde, wäre es schwierig für sie, so viele Menschen zu erreichen.

Instagram ist vielleicht eine virtuelle Realität, aber bleibt doch ein Spiegelbild der nicht-virtuellen Welt. In manchen Aspekten sind die Arten der Teilhabe und des Austauschs vielfältiger und niederschwelliger, aber das Beispiel des Shadowbanning zeigt, dass ebenso große, unbeeinflussbare Hürden vorhanden sind. Elli scheint sich dieser Konflikte bewusst zu sein. Trotz allem entscheidet sie sich, wie viele andere Bi_PoC Creators, Instagram für ihre Zwecke zu benutzen. Bis auf weiteres zumindest.


*Erklärung zu Safer Spaces: Wir kennen vor allem den englischen Begriff “safe spaces” für die Benennung von Schutzräumen. Darin können sich marginalisierte Menschen unter sich treffen. Der Komparativ “safer” (sicherer statt sicher) soll ausdrücken, dass aber auch diese Räume Menschen nicht 100% vor Diskriminierungserfahrungen beschützen können. Mit dieser abgewandelten Formulierung wird zugestanden, dass Verletzungen passieren können und der Raum geöffnet, diese Vorkommnisse teilen zu können.