Für den Titelartikel der letzten UnAuf Print-Ausgabe zum Thema #MeToo waren wir zu Besuch bei LARA in Berlin-Schöneberg, wo wir Fragen rund um die Themen Belästigung, sexualisierte Gewalt und Feminismus stellen konnten. Hier ist nun Teil 2 des Interviews mit Carola Klein, Beraterin und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei LARA

Meinen Sie, dass auch soziale Medien dazu beigetragen zu haben, dass die Sexismus-Debatte jetzt öffentlicher ist?

Man kann Social Media so und so sehen, aber es ist auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, um schnell, nicht mit komplettem Namen und nicht allzu großem Aufwand zu sagen: Ja das kenn ich, ich bin dabei und das sehe ich auch so. Das ist ja das Tolle an Social Media. Vor allem auch dass dies schichtübergreifend und international passiert.

Was könnte man tun, um dieses Thema noch langfristiger in der Öffentlichkeit zu halten? Damit trotz unserer schnelllebigen Nachrichtenkultur weiter und konsequent darüber gesprochen wird.

Wir befinden uns erst am Anfang einer langen Diskussion und ich denke das bleibt erst einmal so.  Ich sehe auch, dass es für mehr Frauen und Männer in der Öffentlichkeit und jenseits der Schlagezeilen schon mehr Thema ist. Also auch in den Schulen, in den Betrieben, am Arbeitsplatz, und das finde ich eigentlich interessanter. Der Medienhype und die Info, dass Angelina Jolie auch betroffen ist, hilft vielleicht insofern, dass sich „normale“ Frauen nicht mehr so furchtbar stigmatisiert fühlen müssen und denken, dass sie auch etwas sagen können. Ich finde es aber interessanter, dass das das Thema sexuelle Selbstbestimmung mehr in unser Alltagsregelwerk einfließt, zum Beispiel an Schulen. Was ist denn eigentlich okay? Wie nahe darf ich jemandem sein? Welche Sprüche gehen einfach gar nicht? Damit auch der letzte versteht, dass er sexistische Verhaltensweisen einfach nicht bringen kann. Dass Mädchen, und vor allem auch Jungs lernen, dass wir bestimmte Regeln beachten müssen und dass am Ende alle davon profitieren. Kinder lernen, wie man sich richtig auf ein Fahrrad setzt oder zu schwimmen und mit Tieren umzugehen, und das ist ja auch richtig, aber ich finde es auch wichtig, darüber zu reden, was im zwischenmenschlichen Kontakt okay ist und was nicht und dass wir uns darüber austauschen können. Auch darüber, wie Frau sich fühlt, wenn Mann übergriffige Dinge tut und sicherlich auch umgekehrt. Diese Achtsamkeit bei Kindern und Jugendlichen zu entwickeln, ist nicht nur Aufgabe der Eltern und der Schulen, sondern sollte auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

Auf ihrer Homepage steht, dass ihr Angebot für Frauen und Mädchen ab 14 Jahren gedacht ist. Weshalb diese Altersgrenze?

Wir sind explizit eine Beratungsstelle für Mädchen und Frauen, die nach der Pubertät einen sexuellen Übergriff erlebt haben, also sozusagen als Frau. Sexueller Missbrauch im Kindesalter ist ein noch komplexeres Thema. Trotzdem ist dies natürlich direkt und indirekt auch bei uns Thema, das können wir gar nicht ausblenden. Untersuchungen haben belegt, dass Frauen, die als Kinder schon missbraucht wurden, aus bestimmten Gründen auch später häufiger Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Deswegen lässt sich beides nicht wirklich trennen. Allerdings beeinflusst das Thema sexueller Missbrauch in der Kindheit sehr viel stärker die Persönlichkeit und zehn Sitzungen sind zu wenig, um sich damit ausreichend zu beschäftigen. Dafür gibt es andere spezielle Beratungsstellen, auch für Kinder. Wir sind in der LARA-Fachstelle in diesem eher therapeutischen Bereich nicht tätig und können das in unserer Beratung nicht abdecken. Viele der Frauen, die zu uns kommen, haben allerdings oftmals einen solchen Hintergrund und das berücksichtigen wir natürlich auch in der Beratung.

Was für gesellschaftliche Ursachen könnte es für sexualisierte Gewalt an Frauen und Männern geben?

Sexualisierte Gewalt ist natürlich in erster Linie Gewalt und somit eine Machtausübung. Das hat etwas mit unserem patriarchalen System zu tun. Es geht einerseits darum, dass die Frau in diesem System unter dem Mann steht, und dann auch viel um den Begriff der Ehre. Eine Frau wird als Eigentum angesehen, das entehrt oder beschmutzt ist, wenn sie vergewaltigt wurde. Das ist das Patriarchat. Wenn ein Mensch, und ich rede jetzt nicht von Mann oder Frau, obwohl es nun mal öfter Männer sind, Macht ausüben will und eine andere Person zerstören oder unterdrücken will und zeigen will, dass er mächtig ist, dann gehört es dazu, diese Macht, in Form von Sexualität auszuüben. Im Krieg und in kriegerischen Handlungen werden Frauen als Teil der Beute vergewaltigt. Frauen werden in einigen Kulturen auch verstoßen, wenn sie vergewaltigt wurden. Von daher: Macht und Patriarchat, das ist der Hintergrund. Deshalb ist es für Frauen auch so schwer, darüber zu reden, weil sie klischeehaft immer schön sauber und unberührt sein müssen. Für Männer ist es noch schwerer über sexuelle Gewalterfahrungen zu reden, weil dies zu der männlichen Position noch viel weniger passt, Opfer zu werden.

Gibt es denn auch äquivalente Beratungsstellen für Männer?

Ja es gibt ein paar, es gibt Strohhalm und einiges für schwule Männer zum Beispiel Maneo. Für Heteromänner, die als erwachsener Mann einen sexuellen Übergriff erlebt haben, gibt es wirklich nicht viel. Das Thema ist total unterrepräsentiert.

Warum ist LARA ein männerfreier Raum?

Aufgrund der Tatsache, dass Frauen, die zu uns kommen zu 99 Prozent Gewalt von Männern erlebt haben, ist LARA ein Ort, an dem sie Männern nicht begegnen sollten. Oft sind Partner, Ehemänner oder Väter aber auch sehr unterstützend, das schließen wir überhaupt nicht aus. Diese Unterstützer können sich auch an uns wenden. Frauen können außerhalb der öffentlichen Beratungszeiten auch mit männlichen Bezugspersonen beraten werden.  Die meisten Männer, die betroffene Frauen unterstützen haben damit keine Probleme und verstehen unsere Regelungen.

Die Frauen, die hierherkommen, haben den größten Schritt schon geschafft. Wie kann man Frauen erreichen, die diesen Schritt noch vor sich haben und sich noch nicht getraut haben, Hilfe aufzusuchen oder über ihre Vergangenheit zu reden?

Einerseits natürlich, indem wir versuchen unsere Arbeit in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, durch Interviews oder auch durch unsere aktuelle Kampagne zum neuen Sexualstrafrecht „Nein heißt Nein“. Dazu wird ein Clip in U-Bahnen und Wartezimmern von Ämtern und Jobcentern abgespielt. Wir versuchen außerdem, durch unsere Flyer weite Teile der Gesellschaft zu informieren.  Auch über das Internet finden Frauen, die Unterstützung brauchen, einfach zu uns. Der Kontakt kann telefonisch, per mail oder persönlich aufgenommen werden.
Wir arbeiten mit Kliniken, der Polizei, dem Jobcenter und Ärzten zusammen. Diese und andere wie zum Beispiel Beratungsstellen verweisen Frauen an uns.  Unsere Flyer liegen wie gesagt an vielen Orten aus und können von den betroffenen Frauen gefunden werden.

Kommt es also auch oft vor, dass eine Frau von einem Arzt zu LARA geschickt wurde?

Ja, das kommt öfter mal vor. Es gibt in Berlin das Projekt Signal, bei dem es um die Zusammenarbeit mit Hausärzten und Spurensicherung bei häuslicher Gewalt geht. ÄrztInnen erhalten darüber mehr Informationen, gewaltbetroffene Frauen zu behandeln und weiterzuvermitteln. Frauen werden auch von Psychologinnen und Psychologen zu uns vermittelt, wenn es um das spezielle Thema sexuelle Gewalterfahrungen geht und der/die TherapeutIn darauf nicht spezialisiert ist.

Auch interessant, dass Frauen dann von PsychologenInnen zu Ihnen kommen, obwohl es ja sehr oft anders herum ist.

Ja auf jeden Fall, das ist aber auch sehr gut so. Wir bieten auch Beratungen für professionell arbeitende Menschen an. Es kommt also auch gelegentlich vor, dass Lehrer oder eben auch Psychologen zu uns kommen, um sich zu erkundigen, wie sie an Schülerinnen oder Klientinnen herantreten könnten. Gelegentlich kommen auch BetriebsrätInnen und zum Beispiel auch Mitarbeiterinnen aus Sportvereinen, die betroffene Frauen und Mädchen gut unterstützen möchten.

Mit welchen anderen Zielgruppen arbeiten Sie bei LARA?

Ein sehr wichtiges Thema ist die Unterstützung von behinderten Frauen, denn diese erleiden erheblich mehr sexuelle Übergriffe als nicht-behinderte Frauen. Wir versuchen unsere Beratungsstelle auch für Frauen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Unabhängig von der Art der Behinderung stellen wir uns auf die Bedürfnisse jeder Frau ein. Unsere seit dem vergangenen Jahr eingerichtete mobile Beratung für geflüchtete Frauen unterstützt von Gewalt betroffene Frauen in Flüchtlingsunterkünften. Die Mitarbeiterinnen erreichen die Frauen direkt vor Ort und helfen ihnen eine sichere Wohnmöglichkeit zum Beispiel in einer Zufluchtswohnung zu finden.

Haben Sie denn auch Leute hier, die zum Beispiel Arabisch sprechen oder auch in anderen Sprachen Beratungen durchführen können?

In der mobilen Beratung gibt es eine arabisch sprechende Mitarbeiterin. Wir bieten Beratung auf englisch, französisch und polnisch durch unsere Mitarbeiterinnen an. Für andere Sprachen ziehen wir Sprachmitterinnen hinzu.

Gehört das Projekt, in Flüchtlingsheimen Beratungen anzubieten, auch direkt zu Ihnen?

Ja, das ist ein Team, das uns angegliedert ist. Die geflüchteten gewaltbetroffenen Frauen kommen auch zu LARA. Hier können sie auch rechtlich beraten werden. Die Problemlagen sind viel komplexer als bei Frauen mit gesichertem Aufenthaltsstatus. Da geht es neben der Gewaltsituation auch um den das Recht hier zu bleiben, die geflüchteten Frauen sind sozusagen mehrfach bedroht. Es ist sehr gut, dass wir diese Stellen zusätzlich bekommen haben.

Da Sie vorhin erwähnt hatten, mit drogenabhängigen Frauen und Prostituierten gearbeitet zu haben: Gibt es eine spezielle Beratungsstelle für Prostituierte? Und wie sieht es mit speziellen Beratungsstellen für das Arbeitsfeld Prostitution aus?

Es gibt Hydra, eine Organisation, die vor allem Ein- und Ausstiegsberatung macht und sich mit den Rechten von Prostituierten und vielen damit zusammenhängenden Problemlagen beschäftigt.
Zu LARA kommen sehr wenig Frauen mit stofflichen Abhängigkeiten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Frauen, die die Konfrontation mit dem Schmerz verursacht durch sexuelle Übergriffe, nicht aushalten und sich deshalb täglich sedieren müssen, (noch) nicht in die Beratung kommen können.
Ein sehr wichtiges Thema in unsere Arbeit sind KO-Drogen-Delikte. Die Opfer können sich in der Regel nicht erinnern, was passiert ist.  Meist gibt es wenig oder keine Beweise für die Taten. Viele Frauen schämen sich und denken, sie hätten etwas falsch gemacht. Eine Anzeige ist häufig sehr schwierig und die Beweislage dünn.  Die Verantwortung kann aber nicht bei den Opfern liegen. Das Problem liegt im Übergriff. Aber auch bei diesem Thema fragt die Polizei leider immer wieder: „Sind Sie denn öfter mal betrunken? Oder machen Sie das öfter, sich einen Mann mit nach Hause nehmen?“ Das ist auch vor Gericht und in den Polizeiakten immer wieder Thema und das finde ich höchst diskriminierend. Denn selbst wenn, macht das keinen Unterschied. Und das trifft die Frauen enorm, solche Fragen. Ich hatte einmal vor Gericht die Frage, ob die Frau denn in den Mann verliebt war. Was geht den Richter das an, ich meine, ich weiß manchmal gar nicht, ob ich in jemanden verliebt bin. Und es geht ja darum, dass mir jemand Gewalt antut, um nichts anderes.

Sie sind denn auch persönlich bei Gerichtsverhandlungen vor Ort?

Ja, es gibt jetzt die psychosoziale Prozessbegleitung, Opfer von schweren Gewalttaten können eine qualifizierte Begleiterin beigeordnet bekommen. Eine Mitarbeiterin von LARA bietet diese Unterstützung und begleitet Frauen bei Gericht und bei der Vernehmung durch die Polizei.

Gibt es auch Frauen, die Jahre später nochmal zurückkommen und sich bedanken, oder das Gegenteil, so dass sie denken, dass es gar nichts gebracht hat?

Das Gegenteil kriegen wir dann meistens nicht mit, aber in der Regel ist es unsere Arbeit sehr effektiv. In relativ kurzer Zeit können sich betroffen Frauen stabilisieren und ihren Weg finden. Wir geben hier einen Impuls, sich selbst klarer positionieren zu können und den nächsten Schritt zu gehen. LARA arbeitet kostenlos und auf Wunsch anonym. Wenn Frauen keine Unterstützung haben, drehen sie sich sehr häufig im Kreis und behalten das Erlebte für sich. Das kann langfristig mit schweren Symptomen einhergehen. Die Selbstheilung muss sie trotzdem selber aktivieren, aber es ist meist schon nach wenigen Terminen einen Fortschritt zu sehen.  Das immer wieder zu erleben, macht unsere Arbeit sehr befriedigend.

 

Das Gespräch führte Sophie Neumann.

 

Wer eine Beratung oder Unterstützung in Betracht zieht, der kann sich unter folgenden Kontaktdaten an die LARA – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen* wenden:

Fuggerstraße 19
10777 Berlin – Schöneberg
3. OG

Beratung und telefonische Hotline, Terminvergabe
Montag – Freitag von 9 – 18 Uhr

Telefon: 030 216 88 88
Fax: 030 216 80 61
E-Mail: beratung@lara-berlin.de

Zu beachten ist, dass Männer während der Öffnungszeiten keinen Zutritt zu den Räumen von LARA haben.

 

Illustration: Laura Haselmann