„The Florida Project“

Rauchschwaden steigen in die Luft. In der Ferne brennt ein zerfallenes Ferienhaus. Und nach und nach öffnen sich die lilafarbenen Türen des Magic Castle, dem Reich der sechsjährigen Moonee. „Das ist besser als Fernsehen“, ruft ihre Mutter, Halley (Bria Vinaite), begeistert. Die Bewohner zücken ihre IPhones, dann machen sie sich auf den Weg zu dem Feuer. Disney World ist zwar gleich um die Ecke, aber der Brand ist ein Spektakel, das auch sie sich leisten können.

„The Florida Project“ erzählt von Menschen, die am Rande des Existenzminimums leben. Nicht von oben herab, sondern von ganz nah dran, aus den Augen der kleinen Moonee, herausragend gespielt von Brooklynn Price. Sie alle leben im Magic Castle, einem heruntergekommenen Motel, dessen fliederfarbene Pastelligkeit selbst vor den Bordsteinkanten keinen Halt macht. 38 Dollar kostet die Nacht, bezahlt wird wochenweise, der Pool ist inklusive. Manager Bobby (Willem Dafoe) hat ein Herz für die verlorenen Seelen, die in seinem Motel Unterschlupf finden. Ein bisschen gehört er selbst zu ihnen. Jeden Tag ist er damit beschäftigt, neben defekten Eismaschinen und Wäschetrocknern auch die soziale Ordnung in dem Wohnkomplex zu reparieren: eine barbusige Oma am Pool, ein Pädophiler auf dem Picknickplatz und immer wieder Moonee und ihre Freunde, die die fehlende Aufsicht ihrer alleinerziehenden Eltern in vollsten Zügen genießen. Gute Kinder seien sie, versichert Bobby seinem Chef, „meistens“. Kinder, die den schwülen Südstaatensommer damit verbringen, Kleingeld von Touristen zu schnorren, auf die Autos der Motelgäste zu spucken oder eben Ferienhäuser in Brand zu stecken. Und das immer mit lauten Kehlen und schmutzigen Worten.

Regisseur Sean Baker ist es nach Tangerine L.A erneut gelungen, die Marginalisierten sanft ins Rampenlicht zu rücken und die amerikanische Wohlstandsgesellschaft entsprechend aus dem Fokus zu nehmen. Natürlich ist „Magic Castle“ eine Metapher. Aber es ist auch real. Es steht für eine unbeschwerte Kindheit in einer prekären Umwelt. Dafür, dass jedes noch so kleine Loch mit Phantasie zu einem Schloss werden kann. Vielleicht passt das Leben zweier Menschen auf die Rückbank eines Kleinwagens, aber dafür gibt es ihnen die Freiheit, es irgendwo anders neu zu starten. Moonee lebt diese Metapher, sie ist glücklich. Aber auch sie weiß, dass andere Kinder nicht hinter lilafarbenen Motelzimmertüren wohnen. Sie sieht ja täglich die Familien, die an ihrem Ort vorbeikommen, wenn sie Disneys Freizeitpark besuchen. Die Mütter und Väter, die ihren Kindern ein Eis kaufen, die in dicken Autos vorfahren und nicht alle paar Tage ihr Essen aus dem Transporter einer Wohlfahrtsorganisation abholen müssen. Manchmal zeigt Moonee, dass auch sie sich nach so einem Leben sehnt, wenn sie in einem verlassenen Ferienhaus steht und sich ausmalt, wie es wäre, dort zu wohnen, ihre eigenen Möbel zu haben. Oder wenn sie in der Badewanne ihres Motelzimmers sitzt und verunsichert den Duschvorhang zuzieht als der Freier ihrer Mutter das Badezimmer betritt.

Das „Florida Project“ war der Arbeitstitel der Walt Disney World. Der alternative Name diente Baker und seinem Co-Drehbuchautor Chris Berdoch als Schablone für eine alternative Welt im Disneyparadies. Ein Ort, der zwar in genauso hellen Farben leuchtet und mit ebenso gezuckerten Beschreibungen lockt wie die Sternehotels in Orlando, aber der eben mehr verspricht als er geben an. Wenn Moonee und ihre Freunde „Geisterkacke“ finden und den Ausflug auf die Kuhweide zur „Safari“ machen, zeigt das die Romantik der Freiheit. Aber wenn sie und ihre Mutter am nächsten Tag vom Sicherheitsdienst gestellt werden, weil sie illegal Parfüms an Touristen verkaufen, dann offenbart das genauso die Härte der realen Armut, mit der sie täglich zu kämpfen haben. Das Magic Castle ist eben kein Disneyschloss und das Feuerwerk am Ende der Disneyparade gibt es auch nur von Weitem zu sehen.

Das weiß auch Motelmanager Bobby, der ein wachsames Auge auf Halley und ihre Tochter geworfen hat. Er weiß, dass die beiden Touristen abzocken, dass Halley mit ihren 22 Jahren oft selbst noch ein Kind ist und es mit der Erziehung ihrer Tochter nicht so genau nimmt. Als dann auch noch offensichtlich wird, auf welche Art Halley ihr Geld verdient, werden andere auf Moonees Situation aufmerksam. Bobbys schützender Schleier reicht eben nur bis zu dem Parkplatz mit den fliederfarbenen Grenzsteinen. Dahinter, wo die „Seven Dwarf Lane“ beginnt, ist sein Reich zu Ende und spätestens dort beginnt eine Realität, die sie alle früher oder später einholen wird.

 

The Florida Project, USA 2017 – Regie: Sean Baker. Buch: Sean Baker, Chris Berdoch. Kamera: Alexis Zabe. Mit Brooklynn Prince, Willem Dafoe, Bria Vinaite, Valeria Otto. Prokino, 115 Minuten.