Kitty Green nimmt uns in The Assistant mit in das Herz der Finsternis der patriarchalen Unternehmenskultur.

Einer der ganz heißen Tipps der diesjährigen Panorama-Sektion ist zweifelsohne Kitty Greens The Assistant. Bemerkenswert präzise zeichnet die gebürtige Australierin hier die Hierarchiegefälle einer New Yorker Filmproduktionsfirma im Stadtteil Tribeca nach, erzählt aus der Perspektive der ambitionierten Assistentin Jane (Julia Garner, Ozark), die erst seit fünf Wochen Teil des Unternehmens ist. Jeden Tag ist sie die erste im Büro und verlässt es am Abend auch als letzte. Wie vielleicht zu erwarten, besteht ihre tägliche Arbeit nicht bloß aus den Aufgaben ihrer Bürotätigkeit; sie kümmert sich um Geschirr, entpackt das Wasser für die Mitarbeiter*innen aus den Kartons, bringt ihren beiden CO-Workern Sandwiches zum Lunch, räumt im Büro des Chefs auf und bespaßt die Kinder der Kundinnen, die ihr diese, wie selbstverständlich, in die Arme drücken. Die Geschichte verlässt dabei nur in ganz spärlichen Momenten die Büroräume, denn auch unsere Protagonistin verlässt ihren Arbeitsplatz nur, wenn sie alles erdenklich Mögliche und darüber hinaus getan hat. All das erinnert zweifellos an die Ideen aus dem Silicon Valley, die Arbeit zum Zuhause zu machen — nur ohne Hängematten und andere Annehmlichkeiten. 

Wenngleich davon auszugehen ist, dass ein Film wie The Assistant vor ein paar Jahren noch weitaus effektiver gewesen wäre, hat die Geschichte dennoch nicht an Aktualität verloren. Einer der großen Vorteile der Mee-Too-Bewegung war gleichzeitig ein großer Nachteil: Der Feind bekam ein Gesicht. Denn während Männer à la Harvey Weinstein heute als Inbegriff des Bösen gelten, erweckt die Tatsache, dass man diese Männer nun aus dem Verkehr gezogen habe, bisweilen den Eindruck, als ginge es lediglich darum, ein paar Gesichter in den Führungsetagen auszutauschen. Kitty Green hingegen versteht, dass systematische Ungerechtigkeiten und Machtmissbräuche kein Gesicht haben können und stellt uns Janes Boss nicht weiter vor als als brüllende Stimme aus dem Telefonhörer, nachdem Jane einmal mehr Schwierigkeiten hatte, die vom Chef mit jüngeren, abwechselnden Frauen betrogenen Ehefrau zu beschwichtigen. Besonders in den leisen Momenten beweist The Assistant eine ungemeine Hellsichtigkeit. Wenn Jane darum bemüht ist, ihre Frühstückscerealien so leise wie möglich zu essen, um auch ja niemanden zu stören. Wenn sie sich, im Glauben, unbeobachtet zu sein, einen vom vergangenen Meeting übrig gebliebenen Donut genehmigt, und entgeisterte Blicke erntet, als sie dabei ertappt wird. Oder als sie ihr Geschirr abwäscht, und zwei Mitarbeiterinnen das ihrige kommentarlos dazustellen. 

Transparente Intransparenz

Es mag nur ein einziger Tag sein, den wir mit Jane verbringen, und doch scheint es so, als wüssten wir am Ende alles, was es da zu wissen gibt. Dass Janes Job nicht nur darin besteht, ihren Job zu erledigen, sondern auch die privaten Affären des Chefs zu verwalten, sei es, wenn dieser eine junge, attraktive Frau aus Oregon einfliegen lässt und diese in ein Luxushotel einquartiert, alles unter dem Deckmantel einer neu eingerichteten Assistenzstelle. Der nicht enden wollende Konflikt mit der Ehefrau, die es abzuwimmeln, aber nicht zu verstimmen gilt. Als Jane daran scheitert, weiß sie sofort, von wem der Anruf ist, der da reinkommt. Ihre zwei Mitarbeiter, indes selbst selten mit besonders ausgeprägter Empathie ausgestattet, haben auch sofort ein Entschuldigungs-Template, das, so gehöre es sich nun einmal, in solch einer Situation an den Boss zu schicken sei. Janes Lage erinnert an eine Passage aus Ocean Vuongs autobiografischem Roman On Earth We’re Briefly Gorgeous, wenn dieser vom Arbeitsalltag seiner Mutter in einem Nagelsalon berichtet: In the nail salon, sorry is a tool one uses to pander until the word itself becomes currency. It no longer merely apologizes, but insists, reminds: I’m here, right here, beneath you. It is the lowering of oneself so that the client feels right, superior, and charitable. In the nail salon, one’s definition of sorry is deranged into a new word entirely, one that’s charged and reused as both power and defacement at once.

The Assistant
Julia Garner als Jane in The Assistant. © Forensic Films

All das kulminiert dann in einem Gespräch mit dem Human-Resources-Leiter, als Jane die Situation nicht mehr hinnehmen will. Ihre Beschwerden erscheinen ihr als so klar, so selbstevident, dass man sie nur bemitleiden kann, als ihr vorgesetzter den angebrachten Problempunkte mit nüchterner Gleichgültigkeit begegnet. Von bitterbösem Humor ist es dann, als er der aufgelösten Jane aus einem meterhohen Taschentuchspender ein Schnupftuch anbietet. Die Verzweiflung, so zeigt sich, ist bereits institutionalisiert. Alles ist offensichtlich, offenkundig. Und doch spielen alle mit. Als Jane sich am Ende dieses langen Tages bei einem zerbröselnden Muffin in einem Deli hinsetzt und endlich ihren Vater anruft, dessen gestrigen Geburtstag sie vergessen hat, wirkt die Aussicht, dass ihr Vater den Abend mit einem Spaziergang mit dem Hund ausklingen lässt, wie aus einem anderen Leben gegriffen. Als gäbe es das Spiel gar nicht, dessen Regeln sie gerade auf so triste Weise lernen muss.

The Assistant

Regie/Drehbuch: Kitty Green

Filmlänge: 87min

Produktionsland: USA

 

(Fotos: © Forensic Films)